Ich bin demokratische Sozialistin - die Rede von Gesine Lötzsch

Die Debatte über die Äußerungen von Frau Lötzsch wird immer sinnloser und die möglichen Folgen werden immer schädlicher für unsere Demokratie. Denn was die rechten Medien aus ihren Äußerungen machen ist traurig, hier ist nun die Rede von Gesine Lötzsch, die sie am vergangenen Samstag auf einer Diskussionsveranschaltung der linken Zeitung "junge Welt" hielt. 
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz, herzlichen Dank für diesen herzlichen Empfang! Ich werde hier nicht noch einmal meinen Artikel, den ich für die junge Welt geschrieben habe, vortragen, wie es einige Zeitungen geschrieben haben, sondern ich werde einige Fragen beantworten. Und ich würde mich natürlich freuen, wenn möglichst viele den Artikel vollständig lesen und sich nicht in der Diskussionen auf unseriöse "Spiegel"-Artikel beziehen würden.
Ich komme zu sechs Fragen:
 
Erste Frage: Wer bin ich?
 
Mein Name ist Gesine Lötzsch. Ich bin demokratische Sozialistin! Ich wurde seit 1990 immer direkt, insgesamt acht Mal, in das Berliner Abgeordnetenhaus und in den Deutschen Bundestag gewählt; bei der Bundestagswahl 2009 mit fast der Hälfte aller abgegebenen Stimmen in meinem Wahlkreis. Ich habe von meinen Wählerinnen und Wählern den Auftrag bekommen, ihre Interessen in den Parlamenten zu vertreten. Im Mai 2010 bin ich mit 92,8 Prozent zur Vorsitzenden der Partei Die Linke gewählt worden. Wenn jetzt einige Politiker der Meinung sind, daß ich keine Demokratin wäre und nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünde, dann ist das eine Unverschämtheit!
Besonders die Politiker, die völkerrechtswidrige Kriege gegen die Mehrheit der Bevölkerung beschlossen haben, die sollen mir nicht erklären, was Demokratie ist! Weder meine Wählerinnen und Wähler in meinem Wahlkreis noch meine Genossinnen und Genossen, die mich auf dem Bundesparteitag gewählt haben, haben mir irgendwelche Denk-oder Sprechverbote erteilt. Daran und nur daran halte ich mich! Ich bin mit Haut und Haar Demokratin. Und ich sage Euch: Keine Partei in diesem Land nimmt die Demokratie so ernst, wie die Partei Die Linke.
Ich bin immer wieder entsetzt, wie CDU/CSU und FDP mit dem demokratisch gewählten Bundestag umgehen. Das jüngste Beispiel ist die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke. Und selbst der Präsident des Deutschen Bundestages beschwerte sich öffentlich über das undemokratische Verfahren der Bundesregierung im Umgang mit Bundestag und Bundesrat. Die Linke ist eine demokratische Partei, und sie wird mit demokratischen Mitteln dieses Land grundsätzlich verändern!
Zweite Frage: Warum bin ich hier?
 
Ich wurde von der Zeitung junge Welt eingeladen, über eine zukünftige Gesellschaft in einem Artikel nachzudenken. Das habe ich getan. Ich komme in dem Artikel zu dem Schluß, daß der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist und daß dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört – so, wie es auch im Programmentwurf unserer Partei steht.
Es wurde ein enormer Druck auf mich ausgeübt, diese Konferenz nicht zu besuchen, aber ich lasse mir doch nicht von unseren politischen Gegnern vorschreiben, zu welchen Konferenzen ich gehe. Der Genosse Gregor Gysi würde sagen: "Ja, wo leben wir denn?"
In dieser Gesellschaft werden jeden Tag Menschen ausgegrenzt, ob Arbeitslose, Kinder, politisch Andersdenkende oder einfach nur Bürgerbewegte, die die Nase voll haben von Prestigeprojekten wie dem Stuttgarter Bahnhof oder dem Berliner Schloß.
Ich will eine andere Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der Menschen nicht ausgegrenzt werden. Das schließt Stalinismus und autoritären Sozialismus grundsätzlich aus. Nein, ich habe die Opfer des Stalinismus und des autoritären Sozialismus nicht vergessen, natürlich nicht, wie kann ich denn? Ich habe alle Veröffentlichungen, die unsere Partei und die Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Auseinandersetzung mit unserer eigenen Geschichte publiziert haben, zusammenstellen lassen. Das sind fünf laufende Meter!
Wir haben schon 1990 auf unserem Gründungsparteitag mit dem Stalinismus gebrochen und uns bei den Opfern entschuldigt. 20 Jahre lang haben wir nicht nur Artikel und Bücher geschrieben, sondern sehr intensiv diskutiert und mit unserer Geschichte gerungen. Viele Genossinnen und Genossen haben deshalb die Partei verlassen. Wer also immer noch behauptet, wir als Linke hätten unsere Geschichte nicht aufgearbeitet, der ist entweder ignorant oder böswillig. Beim Schreiben meines Artikels für die junge Welt habe ich natürlich an die Opfer des Stalinismus gedacht, und zwar an alle. Aber gerade deshalb wäre es falsch, den Mantel des Schweigens über die Idee des Kommunismus auszubreiten.
Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus: Hätte etwa Nelson Mandela Herrn Seehofer fragen sollen, ob er im ANC zusammen mit Kommunistinnen und Kommunisten die Apartheid stürzen darf? Wohl kaum. Wenn es nach der CSU gegangen wäre, würde es die Apartheid noch heute geben, und bayerische Konzerne würden immer noch unmenschliche Extraprofite auf Kosten der Mehrheit der Südafrikanerinnen und Südafrikaner erzielen.
Gregor Gysi wies in einem Zeitungsartikel kritisch darauf hin, daß unter dem Begriff des Kommunismus die Menschen an Stalin und die Mauer denken. Da hat er recht, deshalb müssen wir Aufklärungsarbeit leisten! Gregor Gysi hat aber nicht recht, wenn er meint, daß man den Begriff des Kommunismus nicht mehr verwenden darf. Übrigens bemerkt der Chefredakteur des Neuen Deutschland nicht ganz zu Unrecht in einem Kommentar unter dem Titel "Armselige Debatte" über den Vorwurf einiger Kritiker, daß ich mich nicht ausreichend zu den Opfern des Stalinismus in dem Artikel geäußert hätte: "Das kann man vereinbaren - wenn fortan auch das Wort Christentum nie mehr gebraucht wird, ohne dessen blutige Spur der Brandmorde an Hexen und Ketzern, der Kreuzzüge und der Kumpanei des Vatikan mit dem Hitler-Faschismus 'einen Viertelsatz zu widmen'."
Dritte Frage: Wer ist Kommunistin, wer ist Kommunist?
 
Wer Kommunist ist und wer nicht, das wird in dieser Gesellschaft durch Medienkonzerne festgelegt. Wer gestern noch als Reformer galt, kann schon morgen als Kommunist beschimpft werden. Da spreche ich auch aus eigener Erfahrung. Präsident Obama erlebt es auch gerade am eigenen Leibe. Wenn man die Stichwörter "Obama" und "Kommunist" bei Google eingibt, dann bekommt man 92 600 Einträge! Ist Obama ein Kommunist, weil er eine Krankenversicherung für alle Menschen will? Sicherlich nicht, doch dazu wird er gerade - gegen seinen Willen - von radikal fundamentalistischen Politikern gemacht, und das macht mir wirklich angst.
Vierte Frage: Warum reagiert das Establishment so hysterisch auf meinen Artikel?
 
Ich weiß aus vielen Mails, Anrufen und Internetforen, daß das Interesse an Ideen und Visionen von einer gerechten Gesellschaft überwältigend ist. Die hysterischen Reaktionen einiger Politiker und Medienvertreter – nicht aller - auf meinen Artikel kann ich mir nur so erklären, daß die Unsicherheit in den Reihen der Neoliberalen dramatisch zugenommen hat. Vor der Finanzkrise hätte dieser Artikel wahrscheinlich nur eine geringere Aufmerksamkeit gefunden.
Heute habe ich aber in ein Wespennest gestochen. In einer Mitteilung der Linksjugend des Hamburger Landesverbandes, wo ich heute auf dem Parteitag gesprochen habe, zu meinem junge-Welt-Artikel steht: "In der kapitalistischen Gesellschaft hungert heute jeder siebte Mensch auf der Erde. Laut den G-8-Staaten besitzen über 1,3 Milliarden Menschen keine angemessene Gesundheitsversorgung, etwa dieselbe Zahl von Menschen lebt (...) in absoluter Armut." Doch auch in den Zentren des Kapitalismus, hier bei uns, erleben viele Menschen, daß die Gesellschaft auseinanderdriftet und wir in einer Klassengesellschaft leben.
Ist es nicht Ausdruck einer Klassengesellschaft, wenn Herr Zumwinkel, der Jahrzehnte Millionen an Steuern hinterzogen hat, mit Bewährung davonkommt und gleichzeitig Obdachlose, die ohne Fahrkarte erwischt wurden und ihre Strafe nicht zahlen können, im Gefängnis sitzen?
Ist es da verwunderlich, daß Menschen von einer klassenlosen Gesellschaft träumen, in der vor dem Gesetz alle gleich sind? Nicht das Nachdenken über eine gerechtere Gesellschaft, sondern der Kapitalismus heutiger Prägung ist ein Skandal! Und darum wird jeder Gedanke an eine andere Gesellschaft von den Herrschaften als Bedrohung empfunden. Denkverbote werden ausgesprochen, und der Einsatz des gesamten Repressionsapparates wird angedroht. Doch das schreckt immer weniger Menschen. In Anbetracht der Finanzkrise gibt es ein großes Bedürfnis, über eine neue, eine andere Gesellschaft zu diskutieren. Im Juni 2010 gab es sogar eine Konferenz in der Volksbühne in Berlin über "Idee des Kommunismus".
In Krisen denken die Menschen über gesellschaftliche Alternativen intensiver nach. Der Verkauf des Marxschen "Kapital" stieg während der Finanzkrise sprunghaft an. Wir erleben täglich, daß diese Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, Grundprobleme zu lösen, da ist es doch legitim, über eine bessere Gesellschaft nachzudenken.
Fünfte Frage: Warum lehnt die Partei Die Linke Terrorismus zur Erreichung unserer Ziele ab?
 
Es gibt Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind und bereit sind, sich als Terroristen in Pakistan ausbilden zu lassen und ihr Leben zu opfern. Ich finde das furchtbar! Unsere Gesellschaft muß sich endlich ernsthaft mit dem Terrorismus auseinandersetzen. Die Frage, was Terrorismus ist, hat Oskar Lafontaine kurz und präzise in einer Bundestagsrede beschrieben: "Für die Linken ist Terrorismus das Töten unschuldiger Zivilisten zum Erreichen politischer Ziele."
Wenn die NATO in Jugoslawien Brücken und Kirchen bombardierte und die NATO heute in Afghanistan versucht, gegen den Willen der Afghanen, die Demokratie herbeizubomben, dann ist das für mich Terrorismus. Deshalb fordert die Partei Die Linke einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan – und ich füge hinzu: Das ist auch der beste Schutz für die Soldaten der Bundeswehr!
Unsere Stärke als Partei Die Linke ist Transparenz und Offenheit. Nur so können wir die Menschen gewinnen und überzeugen und im engen Kontakt mit den außerparlamentarischen Bewegungen bleiben.
Sechste Frage: Warum der demokratische Sozialismus mit demokratischen Mitteln erreichbar ist?
 
Die Linke lehnt Terrorismus ab. Wir sind von unseren Ideen so überzeugt, wir halten sie für so bestechend und einleuchtend, daß wir davon ausgehen, daß wir Mehrheiten für diese Ideen in der Gesellschaft erlangen können.
Der Bundesregierung ist der freie Markt, oder nennen wir es doch einfach Kapitalismus, aus den Händen geglitten. Sie ist nicht mehr Herr der Lage und läßt sich von Lobbyisten auf der Nase herumtanzen. Deshalb ist es so absurd, daß sie bei jeder Gelegenheit unter der Bevölkerung Kompetenzillusionen verbreitet.
Wir müssen aufpassen, daß wir als Linke von den Menschen nicht mit den Herrschenden in einen Topf geworfen werden, weil wir bewußt oder unbewußt den Eindruck vermitteln, daß wir wüßten, wie diese Gesellschaft krisenfrei gesteuert werden könnte.
Unsere praktischen Vorschläge zur Bewältigung der Finanzkrise sind besser als alle Vorschläge von sogenannten Experten, von der Bundesregierung ganz zu schweigen, doch wir dürfen nicht die Illusion vermitteln, als ob wir Lösungen für die gravierenden Menschheitsprobleme im Rahmen dieser Gesellschaft hätten. Deshalb sind wir der Meinung, daß der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist und daß dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört! Vielen Dank.
Gefunden auf der Homepage der Linken.

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