Ich bin dann mal offline! Digital Detox als Lösung?

Offline gehen

Ich habe bereits über die Herausforderungen der modernen Vernetzung geschrieben und erläutert, dass dies ein sehr aufwendiger Prozess sein kann. Und immer mehr Menschen erkennen die weiteren Probleme, die der technische Fortschritt mit sich bringt.

So ist ist die Smartphone-Sucht längst allgegenwärtig und Phubbing die neue Unkultur am Esstisch (leider nicht nur dort). Doch das ist nur symptomatisch für eine bedenkliche Entwicklung.

Moderne Aussteiger

Wollte man früher der Gesellschaft entfliehen, ist man als Eremit losgezogen. Heute ist der Ausstieg ein virtueller. Täglich werden wir mit Mails, Anrufen, Chats, Statusupdates und App-Hinweisen bombardiert. Diese Zerstreuung führt dazu, dass wir die Konzentration verlieren.

Auch bei Autoren lässt sich dieses Problem erkennen. Wissen Sie, was die größte Hürde beim Schreiben ist? Nicht die erste Seite, nicht das weiße Blatt Papier und auch nicht die fehlenden Ideen. Das können Schwierigkeiten sein, die auftreten.

Nein, das größte Problem ist der Selbstbetrug. Wir betrügen uns selbst in der digitalen Welt. Bereits vor zehn Jahren waren Handys wahre Konzentrations-Töter. Doch wir konnten sie ausschalten, uns damals am PC einfach aus dem E-Mail-Account ausloggen und schon waren wir nicht mehr mit dem Netz verwoben. Heute ist die Lage verzwickter.

Absturz im Flugzeugmodus

Zwar können wir theoretisch noch immer unsere Smartphones ausschalten oder in den Flugzeugmodus schicken. Doch die wenigsten können sich diesen Luxus im Alltag tatsächlich erlauben. Jedem Handynutzer ist klar, dass der Flugzeugmodus höchstens noch in 10.000 Meter über der Luft legitim ist. Und selbst da – der Technik sei Dank! (-Ironie aus-) – haben wir die „Chance“, auch über den Wolken auf digitale Bildschirme zu glotzen. Mit dem Flugzeug ist der letzte Schutzraum weggefallen.

Angebote für Aussteiger

Zusatzbild_Offline

Ironischerweise finden sich gerade im Internet eine Menge Möglichkeiten, Digital Detox umzusetzen. Es scheint dem modernen Menschen nicht mehr möglich zu sein, das Handy aus der Hand zu legen, den Computer herunterzufahren und das Tablet im Regal stehen zu lassen. Im Folgenden stelle ich drei Beispiele vor, die es erleichtern sollen, der digitalen Dauererreichbarkeit zu entgehen.

  • Offtime

Die App bietet in der kostenlosen Basisversion die Option, das Handy effektiv zum Schweigen zu bringen. Anders als im Offline-Modus oder im ausgeschalteten Zustand kann der User selbst entscheiden, welche Apps weiterhin in Betrieb bleiben und welche Personen nach wie vor anrufen bzw. Nachrichten schicken können. Alle anderen Anrufer bekommen eine SMS mit kurzer Erklärung zugeschickt.

Tipp: Lesen Sie auch das Interview mit Offtime-Gründer Michael Dettbarn.

Sicherlich ist das ein gewöhnungsbedürftiges Modell, aber effektiv und es dauert höchstwahrscheinlich nicht allzu lange, bis diese Form der gefilterten Kommunikation üblich ist. Mit dieser App gehen die Entwickler einen Schritt in die richtige Richtung.

Offlines.net richtet sich an Privatpersonen, Unternehmen und Bildungsträger. Im Vordergrund der Angebote steht eine veränderte Kommunikationskultur. In sogenannten One Day Offs und Workshops sollen Arbeitnehmer, Schulkinder oder einfach digital übersättigte Menschen in Fotolabor-Dunkelkammern und auf Waldspaziergängen neue Energie tanken. Das Ganze stelle ich mir wie einen skurrilen Wandertag vor, Snapchat- und Facebookverbot inklusive. Aber na gut, wem die räumliche Trennung hilft, wird hier bestimmt fündig.

Das SpaCamp versteht sich als „impulsgebende Ideenwerkstatt“. Innerhalb dieses Konzeptes finden auch sogenannte BarCamps statt, deren Regeln sich doch eher streng lesen:

The original Rules of BarCamp:

  • 1st Rule: You do talk about BarCamp.

  • 2nd Rule: You do blog about BarCamp.

  • 3rd Rule: If you want to present, you must write your topic and name in a presentation slot.

  • 4th Rule: Only three word intros.

  • 5th Rule: As many presentations at a time as facilities allow for.

  • 6th Rule: No pre-scheduled presentations, no tourists.

  • 7th Rule: Presentations will go on as long as they have to or until they run into another presentation slot.

  • 8th Rule: If this is your first time at BarCamp, you HAVE to present. (Ok, you don’t really HAVE to, but try to find someone to present with, or at least ask questions and be an interactive participant.)

Ich vermute mal, dass dieses strikte Programm für Menschen gedacht ist, die wirklich einen klar definierten Rahmen für den digitalen Entzug brauchen.

Einnahmen mit dem Ausbruch

In Übersee hat sich längst eine riesige Industrie um das Bedürfnis der digitalen Entgiftung formiert. Wie so oft schwappt der Trend von den USA nach Deutschland rüber. Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter inzwischen auch hierzulande in Digital-Detox-Kurse. Das ist in etwa so sinnvoll wie eine Schildkröte für ein paar Tage aus dem Wasser zu nehmen. Schließlich erwartet die Mitarbeiter bei ihrer Rückkehr dieselbe digitale Cloud wie zuvor.

Digital Detox entstammt dem Silicon Valley und genau hier liegt der Hund begraben: Erst durch die Innovationen in Kalifornien sind die Probleme der Vernetzung überhaupt entstanden. Nun versucht die Branche, sich mit den eigenen Händen am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Die Anbieter der Lösung sind in ihrem Denken zugleich die Verursacher des Problems. Ein Dilemma.

Nicht die Essenz des Giftes

Digital Detox mag beim Einzelnen Wirkung zeigen, doch es verändert nicht die besitzergreifenden Strukturen der Systeme und Netzwerke, die uns tagtäglich umgeben. Vernetzung ist nicht mehr zu einer freien Wahl, sondern zu einer Notwendigkeit geworden. In einem Beitrag bei Zielbar habe ich daher den digitalen Kehraus vorgeschlagen.

Die Verwischung der Grenzen

Eine Überschrift auf der Webseite des SpaCamp lautet:

„Beim SpaCamp ist man per DU!“

Doch was ist, wenn man das gar nicht möchte? Was, wenn der Mensch eine klare Trennung zwischen Arbeit, Kollegen, Vorgesetzten und dem Privatleben braucht? Und was geschieht, wenn diese Trennung in diesem Kontext aufgelöst wird? Fördert es tatsächlich den Austausch oder werden dadurch Privaträume übergangen?

Was wirklich hilft

Ein wirklich tiefgreifender Digital Detox muss im Alltag erfolgen und sollte eine Reduktion der digitalen Angebote darstellen. Folgende Fragen könnten sicher zu guten Resultaten führen:

  • Müssen Mailclients permanent geöffnet sein?
  • Lassen sich für die Nutzung von Diensthandys feste Zeiten vereinbaren?
  • Welche Tools sind absolut unnötig und stressen die Mitarbeiter?
  • Muss jeder Social-Media-Kanal auch tatsächlich genutzt werden? Welche Kanäle passen überhaupt zu mir / zum Unternehmen?

Das Wort ‚Abschalten‘ war noch nie so treffend wie in der heutigen Zeit. Für so manchen sind das Netz und seine technischen Besuchsmöglichkeiten zu einer Sucht geworden. Wir können im Bett liegen und unser Facebook-Profil checken. In der Bahn schreiben wir schnell eine Skype-Nachricht und auf der Toilette – nunja, das Handy muss ja nicht überall dabei sein. Oder?

Tipp: Mehr dazu, wie Sie einen gründlichen digitalen Hausputz betreiben, lesen Sie in meinem Gastbeitrag für die OSK.

Damit will ich nicht sagen, dass digitale Freiheit schlecht ist. Ich bin kein Verweigerer, der sich in die multimediale Steinzeit wünscht und technische Vielfalt negiert. Klar, ich habe darüber geschrieben, warum ich keine E-Books mag.

Aber ein sinnvoller, verantwortungsbewusster Umgang, ein kritischer Blick, nicht nur auf das eigene Surfverhalten, sondern auch auf Datensicherheit und die Transparenz von Unternehmen wäre nicht nur wünschenswert, sondern dringend notwendig.

Seit Jahren werfe ich zum Beispiel die Frage in den Raum, warum wir nicht endlich ein Netzwerk wie Diaspora nutzen, anstatt unsere Fotos, Chats und Daten dezentral agierenden Social-Media-Netzwerken überlassen. Vielleicht haben Sie eine Antwort darauf?

Was uns die Digitalisierung Gutes bringt

Zunächst einmal sind die digitalen Werke genau das: Werke der Menschheit, die bei erster Betrachtung weder gut noch schlecht sind. Entscheidend ist der Umgang mit diesen mächtigen Werkzeugen. Ein Smartphone kann eine ultimative Schaltzentrale sein, in der sämtliche Kanäle zusammenfließen, kombiniert mit Mobilfunk. Wir können mit ihm unser gesamtes Online-Verhalten steuern und mal nebenbei eine SMS schreiben. Ist das nicht wunderbar?

Denken wir an das Angebot an Kultur. Sicher, so mancher Filmfan echauffiert sich über Streaming-Dienste. So wie die Filmfans, die sich über Blu-ray echauffiert haben. Oder die, die den Kulturverfall mit dem Ende des Stummfilms beklagten.

Zum Problem wird diese Technik erst, wenn nicht wir sie, sondern sie uns kontrolliert. Das ist die Lehre vieler SciFi-Filme: Die gesunde Neugier des Menschen, sein Bedürfnis nach Fortschritt, gerät außer Kontrolle. Er erschafft Dinge, die mächtiger sind, als er imstande ist zu begreifen, geschweige denn zu kontrollieren. Gefährlich wird es also, wenn wir nicht mehr mit der technischen Evolution schritthalten. Wenn es keine Evolution, sondern ein Putsch der Technik wird, der unsere Kapazitäten sprengt.

Fazit

Digital Detox oder der Ausstieg aus der digitalen Dauervernetzung ist dringend nötig. Allerdings bringt es langfristig wenig, nur temporär die Reißleine zu ziehen. Viel sinnvoller ist eine ebenso schonende wie dauerhafte Diät – und der konsequente Verzicht auf überflüssige (und zu häufig verwendete!) Technik.

Was ist Ihre Meinung zu Digital Detox? Brauchen wir eine Entgiftung?


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