IAB-Studie: „Etwa ein Viertel der Erwachsenen hat keine ausreichenden Lese- und Rechenkompetenzen“

Von Aristo
Gegenüber Studien lasse ich immer äußerste Vorsicht walten. Vor allem dann, wenn die Medien nur Teilergebnisse einer Studie präsentieren und zu eigenen Schlußfolgerungen kommen.
Bei Studien spielen die Bewertungskriterien und die Methodik eine entscheidende Rolle.
Hier ein kurzes Beisiel. Vor wenigen Tagen geisterten die Werte einer Studie der Bertelsmann-Stiftung durch die Presse. Es ging um die Zahl der Schulabbrecher in 2009.
Für das Bundesland Bayern war die Stadt Kempten mit 20 % die Nummer 1 bei den Schulabbrechern.
Daten der Bundesländer als PDF
In der Regionalpresse kochten die Stimmungen hoch. Dieses Ergebnis wurde unter die Lupe genommen und siehe da, es wurden eklatante Fehler entdeckt.
Bertelsmann-Stiftung macht Kempten zum Schlusslicht
Schulabbrecher: «Studie zeichnet falsches Bild» - Stadt und Schulamt weisen Zahlen zurück
Von einem «Schlag ins Gesicht» für Schüler, Lehrer und die Stadt sprechen die Oberallgäuer Schulräte Hans Fasser und Thomas Novy. Und Kemptens Schulreferent Benedikt Mayer erkennt in dem Zahlenwerk ein «falsches Bild der tatsächlichen Situation».
Was die Fachleute so aufbringt, ist die neueste Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung. In dieser tauchte Kempten vergangene Woche als bayerischer Negativ-Spitzenreiter bei den Schulabbrechern auf (AZ berichtete). Über 20 Prozent der Kinder hätten 2009 die Schulen in der Stadt ohne jeden Abschluss verlassen.
Das aber wollen die Fachleute so nicht stehen lassen. Tatsächlich, so Schulreferent Mayer, habe die Quote der Schulabbrecher 2009 viel niedriger gelegen. Wie aber kommt es zu diesen unterschiedlichen Einschätzungen? Zum einen, sagen Schulräte und Schulreferent, weil in die Studie der Bertelsmann-Stiftung auch die Kinder aus den vier Kemptener Förderschulzentren eingeflossen seien. Diese bekämen einen Förderschulabschluss - wurden aber in der Rubrik «ohne Abschluss» gewertet. Die Förderschulen seien überdies einzigartig in der Gegend und würden dementsprechend von Kindern aus dem gesamten Umland besucht.
Verzerrungen bemängelt
Bei den Prozentzahlen in der Studie gebe es ohnehin «Verzerrungen». So komme nämlich nur rund die Hälfte der Kemptener Abschluss-Schüler wirklich aus der Stadt - die andere Hälfte stamme aus der Umgebung. Die rote Laterne für Kemptens Schulen - sie ärgert die Fachleute auch noch aus einem anderen Grund: Vor ein paar Jahren nämlich gingen tatsächlich alarmierend viele Hauptschüler ohne Abschluss ab - 2004 waren es laut Kultusministerium rund 25 Prozent gewesen.
Seither müht man sich im Gegensteuern - etwa mit der Initiative «Zukunft bringt´s» und Spezialklassen für Jugendliche ohne Abschluss. Für Schulrat Hans Fasser sind die Aktionen Erfolgsgeschichten und «der richtige Weg». So seien unter den 125 «abschlusslosen» Schülern der Studie lediglich 24 Hauptschüler gewesen. Im vergangenen Jahr seien gar nur fünf Neuntklässler ohne Hauptschulabschluss abgegangen.
«Man muss einfach genauer hinsehen», pflichtet Schulrat Thomas Novy bei.

all-in.de
Nun aber zu der o.g. IAB-Studie.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt in der Studie „Arbeiten und Lernen im Wandel“ (ALWA) zu einem erschreckenden Ergebnis.
- Etwa ein Viertel der Erwachsenen zwischen 18 und 52 Jahren hat keine ausreichenden Lesekompetenzen, um den Alltag problemlos zu bewältigen.
- Knapp ein Fünftel der Erwachsenen zwischen 18 und 52 hat keine ausreichenden Rechenkompetenzen, um den Alltag problemlos zu bewältigen.

Anmerkung: Auf einer Bewertungsskala von 0–500 Punkten wurden fünf Kompetenzniveaus definiert, wobei Niveau 1 das niedrigste und Niveau 5 das höchste ist.
Quelle: IAB-Erhebung ALWA 2007, gewichtete Ergebnisse.
Da muß die Frage erlaubt sein: Wie ist so etwas möglich? Vorausgesetzt, die Studie wurde methodisch korrekt durchgeführt.
Bei den Kompetenztests erhielten die Befragten ein Heft mit unterschiedlich schwierigen Lese- und Rechenaufgaben, die der oben genannten ALL-Studie entnommen waren. Da der internationale Vergleich jedoch nicht Ziel von ALWA war, wurde die Auswahl und Anordnung der Aufgaben für die vorliegende Untersuchung deutlich verändert, sodass keine Vergleiche mit den Ergebnissen der ALL-Teilnahmeländer möglich sind. Die Aufgaben messen, wie Erwachsene schriftliche Informationen aus durchgehenden Texten aufnehmen und wie sie den Umgang mit Zahlen, Mengen und Größen bewältigen. Im Unterschied zur PISA-Studie werden hier keine schulnahen Kenntnisse erfasst, sondern Fähigkeiten, die Erwachsene immer wieder im Alltag benötigen – auch wenn sie nicht erwerbstätig sind.
Auf Basis der beantworteten Aufgaben und ihrer Schwierigkeit wurden für jeden Befragten die Lese und Rechenkompetenzen geschätzt und in eine Skala von 0 bis 500 Punkten eingeordnet (vgl. Infokasten auf Seite 6). Bei den Analysen mit der ALL-Studie konnten einige Schwellenwerte auf dieser Skala identifiziert werden, anhand derer sich fünf Kompetenzniveaus unterscheiden lassen. Die internationalen Experten erachten die Niveaus 1 und 2 als ungenügend für eine problemlose Bewältigung des Alltags und eine erfolgreiche Teilnahme an der Arbeitswelt in modernen Gesellschaften. Niveau 3 gilt als ausreichend und die Niveaus 4 und 5 übersteigen die Grundanforderungen im Alltagsleben Erwachsener.

IAB-Kurzbericht
Was besonders erschreckend ist, ist folgende Tatsache.
Die internationalen Experten erachten die Niveaus 1 und 2 als ungenügend für eine problemlose Bewältigung des Alltags und eine erfolgreiche Teilnahme an der Arbeitswelt in modernen Gesellschaften.

Beim Lesen liegen 8,9 % der Testpersonen mit Abitur nur bei Niveau 1 + 2!
Mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluß liegen 5,4 % der Testpersonen nur bei Niveau 1 + 2!
Beim Rechnen liegen 8,4 % der Testpersonen mit Abitur nur bei Niveau 1 + 2!
Mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluß liegen 5,1 % nur bei Niveau 1 + 2!
D.h., jedem 12ten mit Abitur und jedem 20ten mit Hochschulabschluß fehlen die erforderlichen Grundkompetenzen für eine problemlose Bewältigung des Alltags und erfolgreiche Teilnahme an der Arbeitswelt!