I live by the river

Von Nicsbloghaus @_nbh

I live by the river! (eBook-Cover)

Ich gehe mal davon aus, dass eini­gen mei­ner Leser der Name Johnny Häusler erst ein­mal nichts sagt. Dabei hat der Mann sogar einen eige­nen Wikipediaeintrag.

Es mag selt­sam klin­gen; aber Johnny Häusler beglei­tet mich auf die eine oder andere Weise durch mein hal­bes Leben (er weiß es nur nicht): aber ich kenne ihn noch aus sei­ner Radiozeit; kenne ihn als Musiker und natür­lich vor allem als den Mann hin­ter dem Blog “Spreeblick“. Dort kün­digte er ges­tern ein Buch an, das ich schon mal vor­be­stellt habe. Und dort ver­wies er auch auf ein bereits seit Dezember 2011 ver­füg­ba­res: I live by the river. Das Buch ist nur als eBook ver­füg­bar. Doch jeder, der einen eBook-Reader sein eigen nennt, sollte sich das nicht ent­ge­hen las­sen.

Ich habe das Buch in einem Zug durch­ge­le­sen, obwohl es laut letz­ter Seite etwa 190.000 Zeichen beinhal­tet und musste mich zusam­men­rei­ßen, dass meine Liebste, die im Bett neben mir schon längst schlum­merte, von mei­nem leicht hys­te­ri­schen Lachen nicht erwacht.

Doch ist es nicht nur wit­zig; es gibt auch nach­denk­li­che und regel­recht lie­be­volle Momente.
Doch der Reihe nach.

Häusler erzählt mit einem Augenzwinkern von den Alltäglichkeiten des Lebens. Beginnend mit einem über­aus wit­zi­gen Bericht über einen Arztbesuch, den jeder über 40-Jährige über sich erge­hen las­sen soll…

Komplettuntersuchung, EKG, Röntgenbild der Lunge, alles mal ordent­lich ultra­be­schal­len, Krebsvorsorge, Finger in den Po, Blutbild … das ganze Programm eben, genau so, wie es die Werbebroschüre des Bundesgesundheitsministeriums emp­fiehlt. [...] Was man halt so alles machen soll, wenn man nicht mehr bei sei­nen Eltern wohnt.

Wer über 40 ist und das nicht kennt, was Häusler schil­dert… ähm… der ist noch nicht über 40.

Es gibt einen groß­ar­ti­gen Text, wie es dazu kam, dass “Plan B” als Vorband von “The Clash” auf­trat (wer etwas über Courage und Frechheit ler­nen will: lesen!) und wie lonesome Johnny bei­nahe in Moskau ver­lo­ren ging – und es nie­mand bemerkte.

Am Bemerkenswertesten finde ich jedoch die Geschichte “Die Mauer fällt noch die­ses Jahr”. Häusler schreibt – und das las ich so noch nie! – über die Diskussionen, die auch im “Westen” began­nen, als die Mauer fiel. Das rückt mein Weltbild wie­der ein klein wenig gera­der und ver­söhnt mich mit den Schamgefühlen, die ich emp­fand, als meine Nachbarn und Bekannten sich wie Verhungernde auf ein Stück Brot auf 25-Gramm-Seifen-Stücke stürz­ten, die von der Ladefläche eines mit der Aufschrift “coop” ver­zier­ten LKW in die Masse gewor­fen wurde. Es war für mich so unglaub­lich wider­lich: die, die das Zeug an die “armen Ostler” ver­schenk­ten und die mir ohne Stolz erschei­nen­den “Ossis”, die die­sen Dreck emp­fin­gen wie Katholiken die Hostie – oder kar­ne­vals­trun­kene Kölner die Kamellen.

Johnny Häusler sah das von der ande­ren Seite der Mauer. Und zwar so:

Unfassbare Szenen spiel­ten sich ab und es schien unmög­lich zu ent­schei­den, wer einem pein­li­cher sein sollte: die Ostler, die sich vor Sparkassen um die Hunderter prü­gel­ten oder die Westler, die grin­send der Verteilung bei­wohn­ten wie Triebtäter, die Bonbons an kleine Kinder ver­teil­ten. Als Westler ent­schied ich mich für Letzteres und schämte ich mich in Grund und Boden für unse­ren offen­bar geglück­ten Versuch, den Osten schlicht und ein­fach zu kau­fen.

Er beschreibt die Nachwendezeit bei Radio Fritz (das eine Fusion vom (west­li­chen) Radio4U und dem (öst­li­chen) RockradioB (vor­mals DT64, spä­ter Sputnik) war. An einige der Diskussionen um die Personen, die von ihrer Stasi-Vergangenheit ein­ge­holt wur­den, erin­nere ich mich auch noch. Ohne Namen zu nen­nen beschreibt Häusler den Fall des Lutz Bertram, der sei­ner­zeit viel Aufregung ver­ur­sachte (und heute so gut wie ver­ges­sen ist). Doch wie er das beschreibt:

…nun saßen wir da wie zu den Anfangszeiten. Westler auf der einen, Ostler auf der ande­ren Seite. Gut gegen Böse. Ein paar nicht wirk­lich erhel­lende Erklärungen sei­tens des betref­fen­den Moderators, unglaub­li­ches Missverständnis auf Seiten der Westmannschaft. Und ich war genervt. Sehr. Ich war genervt von den heuch­le­ri­schen Reaktionen mei­ner West-Kollegen. „Erschüttert“ und „ver­letzt“ waren sie. „Nie wie­der“ könn­ten sie „ihm ver­trauen“. Wie konnte er nur. Als hätte er sie per­sön­lich ver­ra­ten, trotz sei­ner Beteuerungen, nie­mals irgend­je­man­den ver­ra­ten zu haben und ohne jede Kenntnis der dama­li­gen Situation. Er, der sich immer in den künst­le­ri­schen Kreisen des Ostens bewegt hatte, habe Kontakt zur Stasi gehabt, wie so viele, aber wich­tige Informationen habe es von ihm nie gege­ben. Egal. Es flos­sen West-Tränen. Unglaublich. Genervt war ich aber auch von den Ostlern. Wie wär’s denn jetzt mal mit Klappe auf­ma­chen? Den Mann ver­tei­di­gen, Zustände erklä­ren, Stellung bezie­hen? Nichts. Schweigen. Kopf run­ter oder gegen die Decke gerich­tet.  Ein paar halb gare Versuche, doch die Vergangenheit hatte uns ein­ge­holt. Wir waren dort gelan­det, von wo wir uns schon lange ent­fernt ver­mu­tet hat­ten. Ein Trugschluss der fet­tes­ten Art. Was für ein Scheißland, selbst unter wie­der­ver­ei­nig­ten Intellektuellen.

Dieser Part der Geschichtsaufarbeitung ist bis heut kaum gesche­hen. Noch immer gibt es die­ses “wir hier drü­ben” und “ihr dort drü­ben” – der Grund auch für die Drommersche Strittmatter-Biografie.

Nur am Rande noch ver­merkt: dass Häusler Lutz Schramm erwähnt, ist wit­zig. Damals im Jugendklub, den ich (co)leitete und in dem Lutz aller vier Wochen neue Musik vor­stellte, die erst gar nicht, spä­ter dann in sei­ner Sendung “Paroktikum” lief… habe ich auch das erste mal von Johnny Häuslers Band Plan B gehört… Der Kreis schließt sich.

Wenn man selbst die vier­zig über­schrit­ten hat und sich selbst nicht wirk­lich ernst nimmt – was mit zuneh­men­den Alter immer bes­ser gelingt –  kann man sich zu Tode amü­sie­ren, wenn man “Die Frauen der Männer über 40″ liest. (Das war der Moment, wo ich das Schlafzimmer ver­las­sen musste, um meine junge Liebste mit mei­nem Kirchern nicht zu wecken.)

Ich darf noch ein­mal lang zitie­ren:

Doch nicht nur aus Gründen des gegen­sei­ti­gen Verständnisses ist die Wahl einer etwa gleich­alt­ri­gen Frau für den erwach­se­nen Mann ab 40 wich­tig, denn wer sonst könnte es ohne Lachkrampf ertra­gen, wenn du am Sonntagmorgen nackt aus dem Badezimmer springst und in alter Tradition (weil sie das in eurer Studentenzeit immer so sexy fand) „La Bamba“ sin­gend einen Handtuchtanz auf­führst und deine Bewegungen dabei eher an Bernd das Brot als an John Travolta erin­nern? Eine 25-Jährige? Get a life.
Die immer wie­der auf­tau­chen­den Beteuerungen eini­ger Männer, dass bedeu­tend jün­gere Frauen als Partnerinnen vor­zu­zie­hen sind, da ihre fri­sche und vom Leben noch unge­zeich­nete Haut in wun­der­vol­lem Einklang mit ihrer sexu­el­len Energie steht, die an den nicht zu brem­sen­den Spieltrieb einer junge Katze erin­nert, sind alle­samt rich­tig und ein nicht zu unter­schät­zen­des Argument. Das Problem ist nur, dass deine eigene Energie, die der eines 18-jährigen Cocker Spaniels ent­spricht…

Anschließend daran zeigt er, dass Kinder das Böse und Schlechte aus dem Leben zu ent­fer­nen, denn “du liest nie wie­der in Ruhe eine Zeitung.” Und dann gibt es da noch eine wun­der­volle kurze Geschichte über Väter und Söhne: Wenn Punker lie­be­volle Väter wer­den…

Ach ja, der ganze Spaß kos­tet lächer­li­che 99 Cent. Und wer jetzt nicht auf die unten ste­hen­den Links klickt ist selbst Schuld.

Ich jeden­falls freu mich schon wie Bolle auf das neue Buch!

Nic