Jaipur. Die pinke Stadt Indiens.
Paläste, die im Wasser gebaut sind, Paläste die auf Hügeln gebaut sind und einfach Paläste die am Straßenrand stehen. Alles eingehüllt in einer pink-roten Farbe die in der Sonne schimmert.
Es ist ja allgemein bekannt, dass die Inder in der Hinsicht ihrer Reichtümer gerne den Vogel abschießen, aber die halbe Stadt pink zu streichen, nur weil ein Kronprinz zu Besuch kommt? Meiner Meinung nach ein klein wenig übertrieben. Rosarot, Rajasthans traditionelle Farbe der Gastlichkeit. Mister Kronprinz wird es wahrscheinlich gar nicht bemerkt haben.
Weiter ging es zum Jantar Mantar. Ein äußerst beeindruckender Ort im Hinterhof des Palastes. Ein damaliger Astrologe namens Jai Singh II, der zugleich der Maharaja Jaipurs war, hat sich ein Ziel in den Kopf gesetzt, fünf solche Anlagen in ganz Indien zu verteilen. Vier gibt es noch. Der Sinn besteht darin die Sternwanderungen, Tageszeiten und sogar die Intensität des Monsuns abzulesen. Ein Fortschritt der in der damaligen Zeit wie ein Zauber gewirkt haben muss. Doch das waren die Ahnen unserer Forscher, jetzige erforschen die Krebszellen und wie sie die Welt retten. Erfolglos.
Jaipur ist vor allem dafür bekannt, dass es eine riesige Industrie an Textil, Edelsteinen und Schmuck beherbergt. Entlang der Straße gepflastert findet sich so ziemlich alles was in europäischen Hemisphären scheinbar unbezahlbar scheint. Edelsteine, frisch geschliffen und poliert in allen Formen, Farben und Größen. Bei einem Besuch in einer solchen Werkstatt hat uns ein netter, gebrochenes deutsch sprechender Inder in die Geheimnisse der Edelsteine eingeführt. Sämtliche Steine wurden uns präsentiert und mit den Worten „very cheap“ unterstrichen. Bei der Frage nach dem Preis wurden uns noch mehr Exemplare gezeigt. Im Verhältnis war das alles hier mit Sicherheit verdammt billig, nur man kennt sich als normal sterblicher nicht mit den Merkmalen aus, die einen echten Edelstein ausmachen und so haben wir auch keinen gekauft. In diesen Hinterhof-Laden besteht außerdem eine große Chance an Ausbeuterei durch viel zu hohe Preise. Davon bemerkten wir bei dem nächsten Besuch in einer Textil und Teppich Fabrik nichts. Angekommen in einem erneuten unscheinbaren Hinterhof fanden wir eine andere Touristengruppe vor, die gerade mit einem Verkäufer über einen Teppich verhandelten. Es handelt sich um einen echten indischen Teppich. Man kann auch Lebenswerk dazu sagen, wenn man nach dem Buch „Der Haarteppichknüpfer“ von Andreas Eschbach geht. In der Geschichte geht es nämlich darum, dass ein Mann einen Teppich knüpft. Jeden Tag macht er das. Das Geld zum Überleben kommt vom Vater des Mannes. Er hat nämlich auch einen Teppich geknüpft. Sein ganzes Leben lang, genau wie dessen Vater. Dann kommt es im besten Falle auch irgendwann zu dem Tag, an dem der Teppich fertig ist und ein Käufer gesucht wird. Wird der Teppich verkauft, hat der Mann noch ein paar Jährchen Zeit um seinen Lebtag zu genießen. Und mit dem Geld lebt dann seine Familie. Wenn er einen Sohn hat, kann man sich den weiteren Ablauf vorstellen. Warum soll man also, wenn man unbedingt einen solchen Teppich haben will um mit seinen Füßen darauf herum zu trampeln, runterhandeln? Es könnte ein Leben darin stecken. Jede Reihe, die ein Man knüpft ist ein Teil seines Lebens. Und eine Reihe kann genauso viele Knoten haben, wie ein Lebensjahr Steine.
Das war aber das alte Indien. Im heutigen Indien sitzt zwar bei der Ankunft der Touristengruppen ein alter Mann am Boden und knüpft was das Zeug hält, geht man aber um die Ecke, verschwindet der Mann spurlos und erscheint erst wieder wenn man den Verkaufsraum verlässt. So kann das schon mal zwei Leben dauern bis ein solcher Teppich fertig ist. Wir haben uns keinen Teppich gekauft. Das Anfragen wie viel ein maßgeschneiderter Kaschmiranzug kostet hat uns mehr interessiert, und zugegeben, es ist verdammt billig. Klar, es steht wenn er fertig ist nicht „Hugo Boss“ oder „Armani“ in der Innenseite, aber er ist maßgeschneidert und besteht aus Kaschmir. Der teuerste Stoff der Welt.
Die Tatsache, dass man wenn man als weißer Mann in Indien herumirrt auch gerne mal von hier lebenden Familien nach Gruppen- oder Einzelfotos gefragt wird ist ein Punkt an dem man nicht vorbeikommt. Schon ein kleiner Spaziergang durch die engsten Gassen und prachtvollen Straßen kann dazu führen sich wie ein Prominenter vorzukommen. Doch hier in Jaipur gibt es auch eine Fraktion an Kindern die genau das selbe machen, den Spieß also umdrehen. Der kleine, aber feine Unterschied besteht darin, dass sie nach Geld fragen wenn man den Auslöser drückt und nicht ablassen ehe man ihnen einen zehn Rupien Schein zugesteckt hat. Heimlich am besten, denn wenn ein weiteres Kind das mitbekommt hat man schnell mal den Ordner des heutigen Tages voll mit freundlich grinsenden Kindern. Klar, man kann auch einfach weitergehen und das Kind da stehen lassen, aber was sind schon zehn Rupien. Ein Gedankenfehler, den man gerne am Anfang einer solchen Reise begeht. An jeder Straßenecke wimmelt es von Bettlern. Frauen mit dreckverschmierten Kinder auf dem Arm ziehen an deinem Ärmel und zeigen die Geste des Luft-Essens mit ihren Händen. Scheinheilige Sadhus stolzieren mit ihren Gehstöcken bewaffnet am Straßenrand entlang und nuscheln das Wort „Babba“ um ein bisschen was zu verdienen. Und wie bereits erwähnt, die Kinder, die in Scharen eine Verfolgungsjagd mit dir, als Spiel des Tages sehen.
Die Sadhus sind ein Teil von Indien. Meist alte Männer mit verfilzten Haaren ohne jegliche Struktur. Eine Allergie gegen den Kamm. Es scheint auch so, als hätten sie eine Allergie gegen Essen, denn alle von ihnen haben den Fußknöchel-Umfang eines „Okay-Zeichens“. Meine Vermutung für die Entscheidung ein Sadhu-Leben zu führen ist unter Ausnahme der religiösen Ansichten, die Tatsache, dass sie beruhigt überall wo sie sich gerade aufhalten kiffen können. Es ist in den meisten Regionen Indiens illegal. Genau wie der Genuss von sämtlichen anderen Drogen. Doch ist man einmal Sadhu, erlischt dieses Gesetz und man kann sich ganz den Genüssen dieses Betäubungsmittels hingeben. Als unheiliger kann man sich auch zu den Sadhus setzen und mitrauchen. Kein Problem. Es ist wie ein Schutzschild vor dem Gesetz welches sich aufbaut, wenn ein Sadhu dabeisitzt. Doch Respekt vor diesem Lebensstil habe ich allemal. Sie leben in den niedrigsten Verhältnissen. Sie gehen nicht arbeiten um Geld zu verdienen, Friseurbesuche und ähnliche Schönheitsverbesserungsanstalten sind natürlich auch tabu und vor allem besitzen sie kein Bett. Sie schlafen auf der Straße. In unseren Gebieten sind sie Penner. Doch meiner Meinung nach sind es, wenn man sie schon Penner nennt, Penner mit Stil. Es gibt natürlich solche und solche. Dann gibt es noch ganz andere und das sind die schlimmsten. Aber alles in allem sind es friedliche Menschen die einfach ihr Leben leben wie sie es für richtig halten. Man kann natürlich auch als weißer ein Sadhu werden. Allem abschwören und ein Leben ohne Zukaufteile führen. Doch dann ist da wieder das Ding mit der Tradition. Als weißer Mann passt das ganze nicht zusammen. Ich persönlich finde die weißen Sadhus wirken eher zugekifft bis obenhin und irgendwie ist es auch komisch mit anzusehen, wie sie umher stolzieren wie ein Pfau auf Brautschau. Es passt nicht.
Die Unterbekleidung besteht aus Tüchern in allen Farben, zusammengebunden und luftig. Egal ob das ein oder andere Geschlechtsteil mal rausblitzt. Sadhus dürfen das. Sie sind heilige Männer. Würde das einem normal sterblichen auf öffentlicher Straße passieren und ein falsches Augenpaar würde das zu Gesicht bekommen, nicht auszudenken. Hier ist es nicht mal erlaubt seiner Liebsten einen Kuss auf die Backe zu geben wenn es jemand sehen könnte, was bewirkt dann wohl ein Freiluft-Penis? Eine Verletzung des Hindu-Glaubens allemal. Lustiger Weise ist es aber üblich, wenn man mit seinem besten Freund auf der Straße oder sonst wo unterwegs ist, seine Hand zu nehmen und sie zu halten. Man sieht also keine Pärchen auf der Straße, die die Finger nicht von sich lassen können, sondern nur zwei Männer, die die Finger nicht von sich lassen können. Und das ist ok. Eine komische Welt.
Unser Hotelzimmer besaß ein großes Doppelbett mit Blick auf einen Fernseher, ein Bad mit einer nicht abgetrennten Dusche neben der Toilette und einem Tisch der an einem vergitterten Fenster stand. Entweder ist die Selbstmordrate hier besonders hoch oder die Einbrecher können fliegen, denn das Zimmer lag im 4.Stock. Ein böser indischer Superman? Nicht auszudenken was das für Folgen haben könnte. Es war also alles sicher und man konnte machen wozu man gerade Lust hatte. Zum Beispiel einer Hochzeit folgen. Sah man nämlich aus unserem Fenster, konnte man eine Art Sportplatz erkennen auf der den ganzen Tag schon ein Fest aufgebaut wurde. Und bis zum Abend war uns nicht klar was das sein sollte, denn indische Hochzeiten sind dafür bekannt, ein Ausmaß zu hegen, was wir uns in unseren ländlichen Gebieten gar nicht vorstellen können. So wurden an die 300 Tische und Stühle angeschleppt, ein Buffet mit gefühlten 50 Gerichten aufgetischt und eine Bühne aufgestellt auf der um die Abendstunden, als es langsam dämmrig wurde das Brautpaar Platz nahm um wahnsinnig viele Hände zu schütteln. Und das war eine kleine Hochzeit. Manche gehen über eine ganze Woche, wurde uns erzählt. Ein Festival, mit rund um die Uhr Livemusik, Essen und endlos vielen Menschen. Ein Kontrast, welcher das Bruttoinlandsprodukt enorm in die Höhe schießen lassen muss.
Doch was soll das ganze Tam-Tam eigentlich mit diesen enorm teueren Hochzeiten? Man gibt eine Unmenge an Geld aus, lädt so ziemlich jeden ein den man kennt, lässt alle futtern was das Buffet hergibt, alles nur, weil man in diesem Moment so glücklich und zufrieden ist. Tolles Leben. Nicht das mein Neid gerade aus mir spricht, aber ich finde es ist, wenn man einen Menschen wirklich liebt nicht nötig sich gleich in einen riesigen Schuldenberg zu stürzen. Man kann doch auch an einem schönen ruhigen Ort mit den wichtigsten Menschen an seiner Seite ein schönes Fest feiern an dem alle sich kennen und nicht die Hälfte um die Tische sitzt und sich fragt, wer denn jetzt eigentlich der komische Typ da drüben an dem anderen Tisch ist. Aber was soll`s. Tradition ist nun mal Tradition und Indien ist Indien.
Fernsehen ist hier auch nicht gerade das gelbe vom Ei. Man zappt durch gefühlte 300 Kanäle, die Hälfte davon besteht aus amerikanischen Dauerfilmsendern, die alles spielen was in den letzten achteinhalb Jahren in den Kinos lief. Die andere Hälfte sind indische Bollywoodstreifen. 24/7.
Der Palast von Jaipur, auch „Palast der Winde“ genannt befindet sich inmitten von Armut und Chaos. Ein Maharaja mit dem Nachnamen Singh, welcher in unseren Landen etwa dem Namen „Müller“ entspricht, ließ ihn erbauen um den wahrscheinlich schönsten Frauen des 18. Jahrhunderts den Ausgang unschmackhaft zu machen. Man konnte an der Fassade stehen und auf die Straße blicken und wurde von unten nicht gesehen. Warum dann raus gehen? Außerdem hat man durch die luftige Bauweise immer eine frische Brise um die Nase.
Wir hatten bis zu diesem Moment noch kein Geld gewechselt. Es war also mehr als notwendig. Am Bankautomat, der von einem uniformierten Menschlein bewacht wurde bekamen wir dann auch ohne Probleme unsere ersten Rupien. Verständlicherweise hat uns der Bankautomat große Scheine ausgespuckt. 500 Rupien. Ein Schein hat den Wert von ca.15 Euro und bedeutet hier eine Unmenge an Geld. Wenn man beispielsweise in einem Kiosk ein Wasser und ein paar Kippen kaufen will, wird man erstmal schief angeschaut, wenn man mit 500 Rupien bezahlen will. Der Schein wird im Lichtschein auf Echtheit geprüft. Echtheit gecheckt. Nächstes Problem war das Wechselgeld. Keiner dieser Kiosk-Besitzer hatte mehr als 300 Rupien Wechselgeld in der Kasse. Entweder die Abgaben an sonstige übergeordneten Händler erfolgt sofort nach Erhalt des Geldes oder der Tagesumsatz besteht aus diesen 300 Rupien. Man kann also mit viel Geld nicht viel erreichen. Zumal, wenn man die kleinen Dinge des Lebens benötigt, seien es Zigaretten oder Soft-Drinks.
Die Blicke der Menschen, die einen täglich und zu jedem Moment dann auf der Straße treffen, ziehen einem ab und an ganz schön die Nerven lang. In den meisten Fällen ist es zwar Neugier, aber die Blicke die einen von einer Gruppe junger Männer in einer dunklen Nacht treffen sind aus anderen Gründen präsent. Man schwächt diese ab, indem man an diese Aussage meines kotzenden Sitznachbarn denkt: „Indian people are not like in Slumdog Millionaire. The movie represents a complete wrong meaning! And i tell you the truth, i am drunk as hell..“ Trotzdem glaube ich an nächtliche Übergriffe auf Touristen oder reich aussehende Menschen.
Unvorstellbare Zustände.
Sexualität ist hier ein absolutes Tabuthema. In Filmen werden die aussagekräftigen Sexszenen einfach weggeschnitten, egal ob es der Kern des Films hätte sein können. Auf öffentlicher Straße ist wie bereits erwähnt das Küssen verboten. Das Benutzen von Schimpfwörtern oder das Sprechen über Sex ist ebenfalls absolut nicht geduldet. Auf der anderen Seite werden aber die Frauen in den Bussen vergewaltigt. Meiner Meinung nach müssen diese männlichen Inder so dermaßen voller Sperma sein, dass sie für einmal abspritzen gleich die Todesstrafe oder lebenslange Haft riskieren. Unglaubliche Tatsachen herrschen hier. Alle 18 Minuten wird eine Frau vergewaltigt. Umgerechnet sind es etwa 80 an einem Tag. Und das sind nur die gemeldeten Fälle.
Warum passiert sowas? Warum wird der Trieb gekürzt und vollendet sich im Tagesablauf eines jeden Menschen?
Die Polizei ist zwar meistens präsent, macht aber nichts. Sie stehen auf einem Haufen. An die 20 Beamten, die ihre Macht genießen. Wird ein Verbrechen geplant, drückt man ihnen umgerechnet fünfzig Euro in die Hand und begeht es. Korruption ist hier wie in jedem armen Land an der Tagesordnung. In Delhi gehen tausende von Frauen und Männer auf Demonstrationen und versuchen dem Polizeistaat eine Hose anzuziehen. Laut neuesten Mitteilungen wurde ein 5-jähriges Mädchen tagelang festgehalten und misshandelt. Wie kann man so etwas verantworten? Als eines der größten Länder der Erde. Mit einem der einnehmendsten Glaubensart die es gibt. Frauen haben Angst bei der Dämmerung auf die Straße zu gehen. Sie demonstrieren für ihr Recht auf Freiheit und Sicherheit.
Geburten in ländlichen Gebieten sind wie ein Spiel. Die einzige Regel, männliche Babies gewinnen. Weibliche verlieren. Das ist zwar nicht überall der Fall, aber man hört von einigen Regionen in denen das Gang und Gebe ist. Wenn der Junge mal groß ist, kann er arbeiten. Das Mädchen kostet nur Geld, also wird es wie eine kleine Katze entweder erstickt oder in einem Sack an einen Baum geworfen, denn eine große, wie bereits erwähnte Sorge der Eltern ist das Heiraten oder besser gesagt das Finanzieren. Die indische Tradition besagt nämlich, dass beide Teile der Familie die Hochzeit bezahlen. Bei einer Frau, muss man alles bezahlen, sie hat im Normalfall kein erspartes Geld. Der Junge eventuell schon.
Ob man hier auch an das Karma denkt?