Humanist oder Tötungsphilosoph?

Peter Nowak schreibt bei Telepolis über die Ethikpreisverleihung der Giordano Bruno Stiftung:

Ausgezeichnet werden sollen beide „für ihr engagiertes Eintreten für Tierrechte“, beispielsweise die Initiierung des Great Ape Project, das sich neben Menschen- auch für Affenrechte einsetzt. Die beiden Preisträger haben die Debatte um Tierrechte mit ihrem 1993 erschienenen Buch The Great Ape Project: Equality Beyond Humanity wesentlich angestoßen. Deshalb sieht die Giordano Bruno-Stiftung in der Wahl der Preisträger auch ein „Signal für Tierrechte und aufgeklärte Streitkultur“. (…)
Für die Giordano Bruno- Stiftung dürfte die von der Preisverleihung ausgelöste Debatte daher nicht überraschend gewesen sein. Schließlich stand Singer wegen seiner utilitaristischen Philosophie seit Ende der 80er Jahre in der Kritik von Selbstorganisationen der Behinderten, aber auch von antifaschistischen Initiativen. So wurde er nach heftigen Protesten 1996 von den Organisatoren eines Heidelberger Science Fiction-Kongresses, wo er als Redner eingeplant war, wieder ausgeladen. Andere Veranstaltungen konnten nur unter Polizeischutz stattfinden. Auch zahlreiche Bücher beschäftigten sich schon vor 20 Jahren kritisch mit Singers Thesen und lieferten einen wichtigen Beitrag zur Debatte um Behindertenrechte. (…)

Mit der Preisverleihung lebte die Singer-Kontroverse in Deutschland sofort wieder auf. Der in der Berliner Behindertenbewegung aktive Publizist Michael Zander nannte Singer einen „Philosophen der Angst“, und Peter Bierl, Autor zahlreiche Beiträge zur Humanisten- und Tierrechtsszene, weist auf historische Bezüge der wiederaufgelegten Debatte hin, die auch das politische Feld erreicht hat.

So bezeichnete der behindertenpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen Markus Kurth die Auszeichnung als falsches Signal: „Peter Singer plädierte in der Vergangenheit unter anderem dafür, behinderte Kinder bis zum 28. Lebenstag töten zu können. Der Preis für Singer ist ein Schlag ins Gesicht aller Menschen mit Behinderungen“, heißt es in der Erklärung des Politikers.

Auch der behindertenpolitische Sprecher der Bundesregierung Hubertus Hüppe teilt die Kritik an den designierten Preisträger und sparte dabei nicht mit starken Worten.(…)

Die Giordano Bruno-Stiftung spricht von einer Diffamierung ihres Preisträgers und fordert Hüppes Rücktritt als Behindertenbeauftragter. Der Vorsitzende der Stiftung, Michael-Schmidt-Salomon, sieht die Auseinandersetzung auch als Folge von Missverständnissen.

Fakt ist: Würde ich von Peter Singer nur dieses eine, immer wieder zitierte Spiegel-Interview kennen, hätte ich ganz bestimmt nicht zugestimmt, ihn mit einem Ethik-Preis auszuzeichnen. Allerdings gibt dieses Interview Singers Positionen streckenweise nur sehr verzerrt wieder – während der Anfang des Interviews in Ordnung ist, ist der Schluss geradezu ein Musterbeispiel für schlechten bzw. politisch manipulativen Journalismus.

Mit dieser wohlfeilen Presseschelte macht es sich Schmidt-Salomon aber entschieden zu einfach. So gibt es in dem Interview verstörende Textpassen, die nicht durch Sprachprobleme oder andere Verzerrungen erklärt werden können:

Singer: Wenn Sie vor der Implantation an einem Embryo einen Gentest vornehmen und dann entscheiden, dass dies nicht die Art von Embryo ist, die Sie wollen, dann habe ich keinen Einwand dagegen, ihn zu zerstören.

SPIEGEL: Spielt es in Ihren Augen denn gar keine Rolle, dass dieser Embryo zwar keine Vernunft hat, aber doch immerhin das Potenzial, Vernunft zu entwickeln?

Singer: Nein – jedenfalls nicht in dieser Welt, in der wir keinen Mangel an Menschen haben. Wir haben ja kein Problem damit, die Weltbevölkerung zu vermehren – wenn überhaupt, dann mit dem Gegenteil.

Allerdings sucht Schmidt-Salomon auch zu zeigen, dass sich die Position Singers verändert habe, sie sei nicht „behindertenfeindlich“, sondern „behindertenfreundlich“. Die aktuelle Debatte könnte so auch die Frage nach den Grenzen des Humanismus aufwerfen, wenn sie nicht nach der Verleihung sofort wieder abebbt[...]

Die Hervorhebung des letzten Satzes ist nicht bei Telepolis erfolgt. Sondern eine Einladung an uns, diese Debatte zu führen.


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