Humanismus und “neuer Atheismus” – humanismus aktuell 23

Von Nicsbloghaus @_nbh

[Erstveröffentlichung (in drei Teilen): Juni 2009]

Wer das Blog hier verfolgt, dem sollte klar sein, dass ich ein Heft “humanismus aktuell”, das als Thema “Humanismus und ‘neuer Atheismus’” trägt, kaufen und lesen musste. Es handelt sich hierbei um die letzte Ausgabe der “humanismus aktuell” – ab jetzt gibt der Alibri-Verlag die Texte der Humanistischen Akademie in Buchform heraus. Der erste Band ist das “Humanistische Sozialwort” – herausgegeben von Horst Groschopp – das ich natürlich auch schon bestellt habe.

Die Autorenliste liest sich wie das “Who is who” der säkularen Szene: Hubert Cancik, Horst Groschopp, Anna Ignatius, Joachim Kahl, Fiona Lorenz, Andreas Müller, Ulrich Nanko, Armin Pfahl-Traughber, Michael Schmidt-Salomon, Frieder Otto Wolf. Etliche der Namen sind mit bekannt aus den Veröffentlichungen des Humanistischen Pressedienstes (hpd), des Humanistischen Verbandes und der Humanistischen Akademie Berlin. Es gibt sogar Beiträge, die bereits im Wortlaut beim hpd veröffentlicht wurden; und Schmidt-Salomons Text “Vom neuen Atheismus zum neuen Humanismus” ist einer derer, die ich bereits mehrfach las und als Anregung nutzte.

Ich werde versuchen, zu fast jedem Artikel ein paar Worte zu verlieren; stellt diese Sammlung doch meiner Meinung nach eine relativ gute Übersicht über die verschiedenen Seiten der Szene dar. Allerdings kommen die sog. “neuen Atheisten” kaum zu Wort, Andreas Müller berichtet in seinem Artikel über die Gegensätze zwischen den “Brights” und den “neuen Atheisten” – aber weniger um die Positionen der “neuen Atheisten” kundzutun als vielmehr, die Abgrenzung zu den Brights darzustellen. Doch dazu später.

Die “neuen Atheisten” und der politische Humanismus

Dr. phil. habil. Horst Groschopp schreibt in seinem Vorwort über ‘atheistischen Eifer’, die Probleme des Atheismus und den ‘organisierten Humanismus’.
Nun muss man wissen, das Horst Groschopp der Direktor der Humanistischen Akademie und der Präsident des HVD ist. Dies vorausgesetzt, ist seine Analyse der Situation verständlich. Es ist die Sicht eines tief mit dem Verband verwurzelten Humanisten, der nicht nur seine persönlich, sondern (vermutlich auch) die Sicht des Verbandes darstellt.
Im Vorwort versucht Groschopp, das Heft und die in ihm versammelten Stimmen zu ordnen und sortieren; gar zu werten. So schreibt er:

Es ist unmöglich, über ein so junges kulturelle Phänomen wie den “neuen Atheismus” schon jetzt historische Urteile zu fällen. Denn erst seit zweieinhalb gibt es den Begriff… Seit dieser Zeit gibt es auch die “Brights”… Der im Artikel von Andreas Müller festgestellte Unterschied zwischen beiden Gruppen, nur die neuen Atheisten bekämpfen die Religion, ist anhand der ausgebreiteten Texte und Personalidentitäten nicht nachvollziehbar. (Seite 4)

Ohne vorgreifen zu wollen: ich sehen das differenzierter.

Weiter fährt Groschopp fort:

In den Beiträgen von Armin Pfahl-Traughner und Joachim Kahl wird deshalb das methodische Vorgehen vieler neuer Religionskritiker … kritisiert. Während Pfahl-Taughner in seiner Analyse einen “neuen” Atheismus gar nicht zu erkennen mag, Kahl den mangelnden geistigen Kontakt zu den Leistungen der Aufklärung vermisst, spricht Frieder Otto Wolf dem “neuen” Atheismus viele seiner Selbstansprüche ab. (Seite 5)

Das klingt spannend. Habe ich doch in diesem Blog bereits einige Male darum gerungen, eine Position zu finden (für mich zu finden), die die wie es scheint weit auseinander klaffenden Risse innerhalb der säkularen Szene überspannt (bzw. zusammen führt).

Groschopp legt Wert auf den Hinweis, dass

Vielen, auch Gutmütigen…und organisierten Humanisten erscheint dieser Stil [der "neuen Atheisten"] als nahe an der “Gier nach Skandalöffentlichkeit”. (Seite 5)

Und das wiederum führt dann zum Begriff “Krawallatheisten”, mit dem die “neuen Atheisten” teilweise bezeichnet werden.

Er definiert folgende sechs Probleme des (neuen) Atheismus:

  • mangelnde Reflexion der vielen Dimensionen des Atheismus durch die “neuen Atheisten” – d.h., die kulturellen und historischen Gegebenheiten, unter denen der Atheismus entstand, zu übersehen
  • Definition der Religion ohne Beachtung der kulturellen Funktion (in Vergangenheit und Gegenwart)
  • Gegensätze werden zwischen Religion und Nicht-Religion gezogen – dabei wird außer Acht gelassen, dass es auch atheistische Weltanschauungen gibt, die nicht zwingend nicht-religiös sein müssen
  • Durch die wortwörtliche Analyse der religiösen Texte wird verkannt, dass manchen davon (vor allem ihre Auswirkungen) eher ritualisiert, denn buchstabengetreu zu begreifen sind.
  • Ein allein auf evolutionsbiologischer Grundlage fundierter Atheismus lässt außer Acht, dass Menschen in soziale Gemeinschaften leben
  • Soziologische Befunde und “Zwischenstufen” werden nicht beachtet. Neuer Atheismus läßt sich auf Schwarz/Weiß-Malerei beschränken

Ich hoffe, ich habe Groschopps Thesen richtig wiedergegeben. Denn natürlich schreibt er das viel ausführlicher.
Was ein wenig stört (also: mich stört), ist, dass er die Gegenposition nur kritisiert – einem das Heft einleitenden Vorwort hätte es gut zu Gesicht gestanden, auch die Positionen der “neuen Atheisten” aus deren Sicht darzustellen.

Abschließend schreibt Groschopp:

In all diesen konzeptionellen Gemengelagen unter den Konfessionsfreien gilt es, Klärungsprozesse zu befördern. Dem dient auch dieses Heft. (Seite 11)

Irgendwo in meinem Blog habe ich mal geschrieben, dass ich unter anderem den hpd deshalb mag, weil er genau die Plattform bildet, in dem diese Diskussionen stattfinden, die die Klärungsprozesse ermöglichen. Und drum hat mich der Gedanke, dass der HVD aus dem hpd aussteigen könnte, so betroffen gemacht.
Auch, wenn ich relativ spät in diese Diskussionen eingestiegen bin (wenn man so sagen kann), verfolge ich sie doch mit Spannung und gebe meine unmaßgeblichen Meinungen dazu kund.

Antike Religionskritik und ihre neuzeitliche Rezeption

Über diesen Artikel von Hubert Cancik werde ich nicht so viel sagen.
Cancik gibt einen geschichtlichen Abriss über die Geschichte des Atheismus und vor allem der Religionskritik in der Antike. Das ist insofern lesenswert, weil er den historischen Kontext aufzeigt, in dem sowohl Religionskritik als auch Aufklärung stehen (und überhaupt erst entstehen konnten).

Ich zitiere nur seine abschließenden Folgerungen:

Die Antike war eine multireligiöse Gesellschaft; Religionskritik ist ein fester und wichtiger Bestandteil unseres antiken Erbes und damit der europäischen Religions- und Geistesgeschichte. Zum diesem Erbe gehört die individuelle Religionsfreiheit als Menschenrecht. Antike Religionskritik ist weitgehend gewaltfrei… Antike Religionskritik ist öffentlich, sie setzt Meinungsfreiheit voraus und eine Öffentlichkeit, die nicht von einer bestimmten Religion dominiert wird. Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, freie Öffentlichkeit setzen starke gesellschaftliche Institutionen voraus, die ihrerseits religionsfrei begründet sind. (Seite 18)

Daraus lassen sich etliche Lehren ziehen.
Letztlich kann die Forderung tatsächlich nur lauten: Trennung von Kirche und Staat. Solange die Trennung nicht vollzogen ist und die Amtskirchen noch einen ihnen nicht (mehr) zustehenden Einfluss im Staat haben, ist fast jedes Mittel gerechtfertigt, dass auf diesen Missstand hinweist. Allerdings bedeutet das – für mich jedenfalls – nicht, dass die, die Religion leben (ausüben) deshalb zu bekämpfen oder verächtlich zu machen sind – womit wir bei meinem persönlichen Vorbehalt gegen die “neuen Atheisten” sind.

Alter und neuer Atheismus

Mit dem Autoren dieses Artikels, Frieder Otto Wolf, hatte ich bereits im Blog eine Diskussion. Und mein Interesse an der gesamten Thematik ist durch diese – wenn auch nicht angeregt, so doch verstärkt worden. Auslöser war damals ein Artikel Wolf’s im hpd “Für Humanismus mit Biss” über den ich damals einiges zu sagen hatte…

Hier in der “humanismus aktuell” ist Frieder Otto Wolf dann doch um einiges klarer und logischer in seinen Ausführungen. Fast bin ich geneigt, ihm unumwunden zuzustimmen wenn er schreibt:

Ich möchte eine These umreißen – nämlich, dass im “neuen Atheismus”, so wie er sich meistens präsentiert, ein bedauernswertes Ausweichen angesichts der wirklich dringenden Fragen unserer Zeit vorliegt. (Seite 19)

Das klingt ein bissel verworren; meint aber nur, dass die “neuen Atheisten” sich einzig damit beschäftigen, die Religionen (und Religiösen) verächtlich zu machen; aber über die tatsächlichen Probleme in der Welt hinwegzusehen scheinen.

Auch Wolf baut seine Argumentation “gegen” die “neuen Atheisten” auf historischen Erklärungen auf. Er schreibt über den “klassischen Atheismus”, der sich in Frankreich des Ancien Regime herausbildete – und gut dialektisch geschult – verweist aber auch darauf, wogegen sich der damalige, der “klassische Atheismus” wandte: nämlich gegen die Vormachtstellung des Adels und des Staates – zur Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft.

Aber sie [die Atheisten] haben in diesem Konstruktionsprozess immerhin den radikalen Gedanken ausgearbeitet, dass Herrschaft von Menschen über Menschen grundsätzlich zu überwinden ist – indem die gleiche Freiheit aller Menschen, ohne Ausnahmen und Ausgrenzungen, mit umfassender und allseitiger Aufklärung aller verknüpft wird.
[...]
Daher denke ich, dass wir heute allen Grund dafür haben, diese Tradition des klassischen Atheismus wieder aufzugreifen und neu zu beleben.
[...]
Ein relevanter “neuer Atheismus” kann und darf sich um die Frage der Herrschaftskritik einfach nicht herumdrücken.

(Seite 21 f)

Diese Sätze versöhnen mich mit Frieder Otto Wolf mehr als mich von seinen Auffassungen, mit wem, mit welchen Koalitionen, diese Ziele zu erreichen sind, trennt.

Ich könnte ihn noch in langen Passagen zitieren die das oben Gesagte vertiefen – aber das erspare ich mir. Denn erstens tun mir vom Tippen langsam die Finger weh und zweitens sollte sich jeder Interessierte das Heftchen selbst kaufen (oder ausborgen)… denn Zitate sind immer aus dem Zusammenhang und der inneren Logik eines Textes gerissen.

Nachdem sich Wolf dann noch mit den Positionen Richard Dawkins, die er im “Gotteswahn” darlegt, auseinandergesetzt hat (erstaunlich freundlich bleibt die Kritik) kommt Frieder Otto Wolf auf die Schlussfolgerungen für einen praktischen Humanismus zu sprechen.

Ein konsequent zeitgenössischer und praktischer Humanismus muss sich dadurch bewähren, dass er dazu beiträgt, das Anpacken der dringenden Herausforderungen zu erleichtern und zu unterstützen, vor denen jeweils eine vernünftige menschliche Praxis steht.
[...]
Damit wird vernünftige Praxis politisch. Nicht in dem Sinne, dass sie moralische Argumente fallen ließe, sondern in dem Sinne, dass sie sich nicht mit moralischen Urteilen allein zufrieden gibt sondern sich deren wirkliche Umsetzung vornimmt. (Seite 25 f.)

Ich hoffe: nicht nur vornimmt, sondern tatsächlich tätig wird.

Dieser Schritt: von der Theorie zur Praxis, zu dem, was man in Namen eines praktischen Humanismus erreichen kann, wird ganz sicher das kommende Thema meiner Beschäftigung sein. Ich vermute, dass das oben erwähnte Buch “Humanistische Sozialwort” mir dafür ein paar Anregungen geben kann.


Vom neuen Atheismus zum neuen Humanismus?

Diesen Artikel von Michael Schmidt-Salomon kenne ich bereits von seiner Webseite. Ich meine, dass dieser Artikel einen neuen Schritt in seinem Gedankengebäude darstellt. Denn er geht über die (manchmal eingeschränkten) Positionen der „neuen Atheisten“ hinaus – und stellt damit auch eine neue Qualität in Schmidt-Salomons Denkweise dar. Schreibt er doch:

…aber es sollte klar sein, dass es für eine säkulare Position längst nicht mehr ausreichen kann, sich allein auf Religionskritik zu versteifen.
[...]
Auch dies ist ein Grund dafür, warum wir vom „neuen Atheismus“ zum „neuen Humanismus“ voranschreiten sollten. (Seite 28)

Zugegeben: ‚voranschreiten’ klingt für mich ein wenig nach Unterricht in Marxismus-Leninismus (die DDR schritt ständig „zum Siege des Sozialismus voran“…) aber hier formuliert Schmid-Salomon deutlich, was sich bereits im „Humanistischen Manifest“ abzeichnet. Eine rein auf Religionskritik beschränkte Sichtweise ist eine einseitige und unsoziale (bzw. asoziale).

Der Autor schreibt zur Klarstellung, was (seiner Auffassung nach) sich denn eigentlich hinter dem Begriff „Neuer Atheismus“ in Abgrenzung zum „alten“ verbirgt:

Meines Erachtens trifft [Frieder Otto] Wolfs Umschreibung sehr gut ein wesentliches Charakteristikum des neuen Atheismus. In der Tat besteht der Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Atheismus darin, dass der letztere eben nicht nur Gottesglauben an sich ablehnt, sondern auch den Respekt vor dem Gottesglauben attackiert. (Seite 28)

In der Folge definiert Schmidt-Salomon die Begriffe Respekt, Toleranz, Akzeptanz; eine Definition, die ich versuche, zu verinnerlichen – weil sie meiner Meinung nach tatsächlich nicht nur die Unterschiede, sondern auch die sich daraus ergebenen Konsequenzen aufzuzeigen vermag.

Das Wort Respekt (von lateinisch „respectus“: Zurückschauen, Rücksicht) bezeichnet eine Form der Achtung und Ehrerbietung gegenüber einer anderen Person, ihren Handlungen oder Überzeugungen. (Seite 29)

Toleranz ist eine Last. Das sagt schon die etymologische Herkunft des Wortes über das lateinische „tolerare“, das von „tolus“ (Last) abgeleitet ist und das man mit „ertragen“, „durchstehen“ oder „erdulden“ übersetzen kann.
Toleranz meint die Fähigkeit, störende bzw. verstörende Formen des Andersseins oder Andershandelns erdulden zu können. (Seite 30)

Leider wird der Begriff der Toleranz sehr häufig verwechselt mit dem der Akzeptanz…
Akzeptanz leitet sich vom lateinischen „accipere“ ab, das „annehmen“, „übernehmen“, „gutheißen“ bedeutet. Was man akzeptiert, das duldet oder toleriert man nicht nur, man ist mit ihm einverstanden. (Seite 30)

Daraus ergibt sich für einen Humanisten, dass er einem gläubigen Menschen wegen seines Glaubens keineswegs den Respekt verweigern darf. Daraus ergibt sich weiter, dass man den Glauben und Gläubige tolerieren kann (nicht zwingend: muss!) und mit Gläubigen auch zusammenarbeiten (zum Beispiel in sozialen Bereichen) kann, ohne aber, dass man den Glauben akzeptieren muss.
Ich habe – wie im Blog bereits berichtet – auch gläubige Freunde mit denen ich mich auch über das Thema Religion unterhalten kann. Der Glauben ist Teil ihrer Persönlichkeit – und da ich sie Freund nenne, schließt das ein, dass ich sie respektiere. Und den Glauben, ihren Glauben, toleriere – auch wenn er (und das gesamte Gedankengebäude) fremd sind und inakzeptabel. Aber da Gleiches auch für die Freunde mir gegenüber gilt… können wir gut miteinander auskommen.
Grantig, ja regelrecht intolerant werde ich jedoch, wenn mir ein Gläubiger, der meint, die Weltweisheit mit Löffeln gefressen zu haben, entgegenkommt… wenn Jemand meint, meine atheistische Einstellung wäre nicht tolerierbar.

Nachdem also diese Grundlagen geklärt sind (und Schmidt-Salomon noch eine kleine Lanze für die Aufklärungsarbeit der „neuen Atheisten“ gebrochen hat), nimmt er Abschied vom neuen Atheismus.

Der „neue Atheismus“ war bzw ist vielmehr die sichtbare Vorhut eines viel grundlegenderen Veränderungsprozesses. Wenn man so will, ist der neue Atheismus nur die religionskritische Spitze eines weltanschaulichen Eisberges. (Seite 32)

Und genau das gibt – meiner Meinung nach – Aktionen wie der Buskampagne, wie Andreas Müller manchmal zornig-boshafte Worten die Grundlage ihrer Daseinsberechtigung.

Hier sehe ich – bei allen Einschränkungen – die eigentliche Aufgabe der „neuen Atheisten“: Aufmerksamkeit erregen. Meinetwegen auch: Lorbeer einheimsen (der möglicherweise gar unverdient sein kann) aber auch die Dresche einfangen, die sich logisch aus Provokation ergibt.
Und tatsächliche Arbeit, gedankliche wie tätige, wird von Stilleren, von den gescholtenen „Organisierten“ getan.

Schmidt-Salomons Definition des neuen Humanismus macht in seiner zu End gedachten Konsequenz sogar mir Angst. Einfach, weil das ein wirklich neues Denken ist; ein reines naturalistisches. Doch das weiß der Autor selbst natürlich auch:

Der neue Humanismus dürfte erstens für viele Menschen eine noch größere Provokation darstellen als der neue Atheismus. Denn er greift nicht nur ihr Gottesbild an, sondern darüber hinaus ihr Selbstbild. (Seite 33)

Aber, führt er weiter aus:

Anders als der neue Atheismus versteht sich der neue Humanismus nicht bloß als Opposition, sondern ganz bewusst als säkulare Alternative zur Religion. (Seite 33)

Und ganz im Sinne Dawkins, der sich bereit erklärte, seine Überzeugungen über den Haufen zu werfen, wenn es einen wissenschaftlichen Gottesbeweis gäbe, schreibt Schmidt-Salomon abschließend:

Das kritisch-rationale Fundament, auf dem er gründet, macht den neuen Humanismus zu der wohl ersten Weltanschauung, die den Anspruch hat, sich selbst aufzuheben, wenn ihre grundlegenden Prämissen sich als falsch erweisen sollten. (Seite 33)

Schmidt-Salomon weist noch einmal darauf hin, dass der neue Humanismus ein tätiger, ein politischer Humanismus sein muss, um nicht in theoretischen Überlegungen zu verbleiben. Damit kommt er Frieder Otto Wolf’s Ideen sehr nahe.

Die Brights und ihre Ziele

Andreas Müller schreibt leider nicht über seine Sicht, was die „neuen Atheisten“ darstellen – ist er doch einer der Protagonisten der Bewegung. Sondern er schreibt darüber, wer (oder was) die Brights sind und wie sie sich als Gruppe, als Bewegung fanden (und worin sie sich von den neuen Atheisten unterscheiden).
Er weist darauf hin (und nach), dass die Brights-Bewegung eine US-amerikanische Bewegung ist, die zwar in Deutschland „Ableger“ hat, deren Ziele dort und hier sich jedoch – aufgrund der gesellschaftlichen Stellung der Atheisten – grundlegend unterscheiden.

Atheismus wird in den USA assoziiert mit einer unmoralischen Haltung, mit Profitstreben und Materialismus. Ein Atheist gilt als oberflächlich und unromantisch, sogar als dumm. (Seite 37)

Die dann folgende Definition der Brights ist die „offizielle“ Definition, die auch auf diversen deutschen Webseiten zu finden ist:

Ein Bright (ist) eine Person mit einen naturalistischen Weltbild. Das Weltbild eines Bright ist frei von übernatürlichen und mystischen Elementen. Die Ethik und Handlungen eines Bright basieren auf einem naturalistischen Weltbild. (Seite 38)

Weiter schreib Müller:

Bright ist als positiver Begriff für Menschen mit naturalistischem Weltbild erfunden worden. Er soll nicht zur Abwehr anderer Weltbilder dienen. (Seite 38)

Nachdem er im Weiteren noch die Ideen (auch der deutschen) Brightsbewegung darstellt, erklärt er die Unterschiede zwischen den Brights und den „neuen Atheisten“:

Die Brights sind eine Bewegung von Individuen mit einem naturalistischen Weltbild, welche die politische Gleichberechtigung von Naturalisten anstrebt, ohne Religionskritik zu betreiben. Die Neuen Atheisten sind Intellektuelle, ebenfalls mit einem naturalistischen Weltbild, die öffentlich und medienwirksam die Religion bekämpfen. (Seite 40)

Nach Allem, was ich bereits geschrieben habe, wird klar, dass ich mich dann eher zu den Brights hingezogen fühle (und ja tatsächlich auch zur Berliner Gruppe gehöre).
Wirklich bitter stößt mir auf, dass Müller hier in der (nicht nur) von mir arrogant vorkommenden Art der neuen Atheisten mitteilt, dass nur die Neuen Atheisten Intellektuelle sind (was ich anzweifle, wenn ich mir manche Kommentare in den diversen Blogs ansehe). Das lässt den Zirkelschluss offen, dass man nur als Intellektueller klug genug ist, “neuer Atheist” zu werden.

Müller schreibt – auf den Einwand Horst Groschopps bezogen – darüber, dass sehr wohl Brights auch neue Atheisten sein können und umgekehrt. Um im nächsten Satz sofort wieder den Unterschied herauszustellen:

Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass die Brights von sich aus einen „Nichtangriffspakt“ mit der Religion geschlossen haben [...], also mit Religionsvertretern zusammenarbeiten, um ihre Gleichberechtigung, den Frieden und ähnliche Dinge zu befördern. Die Brights wollen die Religion nicht bekämpfen. (Seite 40)

Das ist hanebüchener Unsinn. Denn erstens gibt es – zumal in der deutschen Brights-Bewegung – sehr wohl auch Stimmen, die die Religionen verächtlich machen (wollen) und verbal bekämpfen. Sich gegen Irrlehren wehren und Diskussionen mit Gläubigen führen.

Was aber richtig kurzsichtig ist – und hier halte ich Andreas Müller seine Jugend zu Gute – ist, zu sagen, dass für ihn offenbar Werte wie Gleichberechtigung und Frieden gegenüber Religionskritik mindere Werte darstellen. Das ist undialektisches, eingeschränktes, dummes Denken!
Auch der Bauchnabel eines Andreas Müller – selbst als Mittelpunkt der Welt gesehen – ist nicht unabhängig von der Welt. Und wenn diese in Kriegen, Klimakatastrophen, sozialen Unruhen untergeht ist es absolut belanglos, ob und welcher Religion die Aussterbenden anhängen.
Wer sich weigert, mit anders denkenden Menschen im Angesicht der Katastrophe zusammenzuarbeiten, erinnert mich an einen Ertrinkenden, der nicht zum Rettungsring greift, weil der die falsche Farbe hat.
Da ich aber Andreas Müller für ein kluges Köpfchen halte denke ich, dass er das mit wachsendem Alter auch noch erkennen wird.


Ist der Atheismus auch eine Religion

Dieser Frage geht Armin Pfahl-Traughber (über den ich nur sehr wenig weiß) nach – eine Frage, die Atheisten häufig gestellt (oder besser: vorgeworfen) bekommen.
Denn schließlich

…sei die Ablehnung Gottes doch nur auf eine andere Art ebenfalls auf Gott bezogen und insofern allenfalls eine Anti-Religion. (Seite 42)

Der Autor schreibt dann recht ausführlich über die Begriffe „Religion“ und „Atheismus“ und kommt zu dem (nicht überraschenden) Ergebnis

Da nun aber gerade die konstitutive Eigenschaft der Religionen von den Atheisten fundamental abgelehnt wird, macht es keinen Sinn, von einem „religiösen Atheismus“ zu sprechen. (Seite 43)

Pfahl-Traughber setzt sich im der Folge noch mit den Absolutheitsansprüchen auseinander, die er zum Beispiel bei Dawkins findet. Ich gebe zu, mir gefällt die leise Unterstellung nicht, die hier anklingt:

Exemplarisch steht Dawkins Absolutheitsanspruch auf die Gültigkeit seiner Positionen für eine Haltung von Atheisten, wonach man jeweils allein die Gesetze der Geschichte begriffen, die biologischen Entwicklungsabläufe erkannt oder die Gebote der Vernunft verstanden habe. (Seite 44)

denn gerade Richard Dawkins wiederholt in seinen Büchern häufig, dass er vor Irrtum nicht gefeit ist.

Aber generell verstehe ich Pfahl-Traughber, denn diesen herausposaunten Absolutheitsanspruch kenne ich zur Genüge…
Einen wichtigen Hinweis gibt der Autor (und plädiert hier im Sinne Frieder Otto Wolfs), wenn er schreibt:

Die Reduzierung von Religion auf die Inkarnation des „Bösen“ und des „Schlechten“ macht auch blind für die soziale Funktion von Religion als Erkenntnis-, Integrations- und Orientierungsfaktor. (Seite 45)

Ich fasse das auch so auf, dass man diese drei Funktionen begreifen muss, ehe man beginnt, gegen Religionen zu Felde zu ziehen. Dieses Begreifen muss vor jeder Tat stehen. Anderenfalls sind fremde Kulturen nicht zu verstehen; nicht einmal, wenn sie in der gleichen Stadt wie wir leben. Und auch ohne sie zu akzeptieren müssen wir begreifen, dass man den Islam nicht einfach nur verbieten kann um sog. Ehrenmorde zu verhindern. Hier braucht es Aufklärung. Und die benötigt Grundwissen.
Auch wenn Pfahl-Traughber schreibt, dass die Konflikte in Nordirland, in Israel/Palästina zwar im Namen irgendeiner Religion ausbrechen; dass aber die tatsächlichen Ursachen wirtschaftliche und soziale sind, stimme ich ihm zu. Hier kritisiert der Autor einen der schwächsten Punkte in Dawkins Argumentation. Zu Recht.

Allerdings schlägt der Autor anschließend etwas ziellos um sich – und begeht genau den Fehler, den er anderen vorwirft: er setzt gleich. Hier die Brights und die neuen Atheisten – beiden wirft er ein Denken vor, dass auf einer Stufe mit den philosophischen Diskussionen des 17. und 18. Jahrhunderts (Seite 47) steht. Das – so scheint mir – zeugt eher von Unkenntnis denn von tatsächlicher Beschäftigung mit der Bewegung, der er Fundamentalismus vorwirft. Das mag für Protagonisten gelten, für lautstarke … und Pfahl-Taughber gerät hier genau in die Falle, die die neuen Atheisten aufgebaut haben.

Ein aufgeklärter Atheismus unterscheidet sich darüber hinaus von der kritisierten fundamentalistischen Variante durch sein entwickeltes Maß an Selbstkritik und Selbstreflexion – welches auch gegen Absolutheitsansprüche und Dogmatismus steht. (Seite 48)

Weder Gottes- noch Atheismuswahn

Mit dem Autor dieses Artikels, Joachim Kahl, habe ich mich schon einige male auseinandergesetzt. Auch scheint er ein Lieblingsdiskussionsgegner von Schmidt-Salomon zu sein. Nichtsdestotrotz hat er – neben seiner geistreichen aber wenig konstruktiven Polemik – einiges mitzuteilen.
Er ist ein erklärter Gegner der „neuen Atheisten“ und schreib über diese

Von oben herab wird Religion als Humbug angesehen. Erforderlich wäre es dagegen, sie gedanklich zu durchdringen, ihren historischen Werdegang und ihre gesellschaftliche Funktion zu erklären und in einen kritischen, auch polemischen Dialog mit ihren Anhängern zu treten. (Seite 53)

Kahl’s Steckenpferd scheint die Philosophie der Aufklärung zu sein. Und auch in diesem Text hier wirft er den neuen Atheisten vor, diese zu wenig zu beachten und in den gesellschaftlichen Kontext zu stellen.
So richtig das ist scheint es mir hier – wie auch bei anderen Kritikern – darum zu gehen, als könne allein deshalb, weil kein „Gelehrtenwissen“ dahinter steht, eine Kritik gegen die „neuen Atheisten“ formuliert werden. Das vergisst jedoch, dass eine neue Generation herangewachsen ist, die sich anderer Mitteln und Medien bedient.
Nachdem (auch er) sich mit Dawkins auseinander gesetzt hat, schreibt er über die beiden Säulen des Atheismus:

Es gibt erstens keinen Gott, der die Welt erschaffen hat.
[...]
Es gibt zweitens keinen Gott, der Tiere und Menschen aus ihrem Leiden erlöst (Seite 57)

Lesenswert ist vor allem der letzte Absatz seines Artikels, in dem er darüber sinniert, weshalb es keinen Gott geben kann, denn dieser schließt sich selbst aus.

Ist Atheismus gegenüber dem Glauben eine kalte Weltanschauung?

Diese Frage stellt sich Anna Ignatius.

Es scheint, als können der Atheismus und die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, auf denen er beruht, keinen adäquaten Ersatz für das bieten, was der Gottesglaube den Menschen gibt. (Seite 61)

Damit spricht die Autorin die subjektive Sicht auf die Religion(en) an, wie sie der Mensch individuell erlebt. Hier spielt es eine Rolle (nach Meinung der Autorin), wo der Mensch in der Welt steht und sich vor allem stehen sieht.
Sie setzt sich dann damit auseinander, dass der Mensch Religion zu benötigen scheint, um sich in der „bösen Natur“ zurecht zu finden; halt in ihr zu finden. Allerdings

ist es fraglich, wie sinnvoll es ist, die Natur als gleichgültig und grausam zu bezeichnen. Gleichgültig und grausam kann eigentlich nur sein, wer einen bewussten Willen hat. (Seite 62)

Und das kann man bei der Natur nun wahrlich nicht voraus setzen.
Anna Ignatius kommt denn auch zu der Folgerung, dass es hilfreich sein kann, zu begreifen, dass Natur eben nicht sinnlos und planlos ist, sondern Gesetzen unterliegt. Dies zu wissen und auch subjektiv zu übernehmen kann Vertrauen mit sich bringen.

Diesem Denken nach entzaubern die Naturwissenschaften die Welt nicht, wenn sie versuchen zu erklären, sondern sie geben mit jeder richtigen Erklärung die Möglichkeit, der Natur und damit auch der eigenen Natur besser gerecht werden zu können. (Seite 63)

Aus dem Gesagten schlussfolgert die Autorin, dass es Aufgabe des Humanismus ist, genau diese hoffnungsvolle Perspektive aufzuzeigen:

Denn das Ignorieren der geistigen Ebene, auf der die Menschen Geborgenheit und Trost suchen, ändert nichts an ihrer Existenz – es verpasst bloß die Chance, sie zu erfüllen. (Seite 64)

Letzte Bemerkungen

Fiona Lorenz schreibt noch über Gespräche mit Ungläubigen und Abtrünnigen, mit denen sie Interviews geführt hat. Gut, aber nicht sonderlich aufregend und, da sie keine Gläubigen befragte, ein wenig langweilig.

Ich kann nur – abschließend – dringend empfehlen, dieses Heftchen zu lesen. Und würde mich freuen, darüber noch die eine oder andere Diskussion führen zu können.

Nic


Anmerkung 2010: Spannend finde ich, dass ich einige der Autoren inzwischen persönlich und/oder auf jeden Fall besser kenne und einordnen kann. Einiges von dem oben Geschriebenen würde ich heute noch immer so sagen; Anderes eher nicht.