Zwei Künstlerrebellen auf der Bühne des Lebens: Hugo Ball und Emmy Hennings geben ein biografisches Drama... Vorhang auf!
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Gläubige Nutte trifft verhinderten Doktor: Sie liebt seine Handschrift, er liebt ihren starken Auftritt. Emmy Hennings und Hugo Ball sind ein seltsames Paar. Beide sind verhinderte
Literaten von Weltrang. Ihre Bücher und Theaterstücke lassen nicht wirklich die Kasse klingeln, aber ihre Gedanken revolutionieren die konventionelle Kunst mit dem Dadaismus. Während
alle Welt in den Großen Krieg zieht, kämpfen sie mit verückter Nonsenskultur für den Frieden...
Die Zentrale des Wahnsinns heißt Cabaret Voltaire. Diese Züricher Künstlerkneipe ist die Wiege des Dadaismus. Eine Gruppe junger Literaten um Emmy Hennings und Hugo Ball findet das Verrecken in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs ziemlich aberwitzig. Man will das mit nationalistischem Pathos aufgeladene Völkerschlachten als das entlarven, was es ist: der reine Irrsinn. Und das Mittel der Wahl ist die ebenso sinnfreie Kunstform des Dadaismus: Sinnlose Texte, sinnlose Bilder, sinnloses Theater. Ganz nebenbei hinterfragt man damit auch den Heiligen Ernst der herkömmlichen Kunstbranche. Dabei geht es im Leben von Emmy und Hugo nicht minder drunter und drüber wie auf der kleinen Bühne des Cabaret Voltaire.
Emmy Hennings (1885-1948) war schonmal verheiratet, hat zwei Kinder zu Welt gebracht und dann bei ihrer Mutter abgegeben. Sie will Künstlerin sein und schläft mit Künstlern. Sie ist eine Muse, die sich Seelenverwandten leidenschaftlich gerne hingibt. Und weil sie merkt, dass sie den Männern gefällt, verkauft sie ihren Körper. Einmal beklaut sie einen Freier, wird erwischt, wandert ein, und schreibt darüber: "Gefängnis" heißt das Buch, das endlich den ersehnten Erfolg bringt - eine Autobiografie. Hugo Ball (1886-1927) ist irgendwie das Gegenteil von ihr. Ein bisschen verklemmt, ein bisschen verkopft (fast fertiggestellte literaturwissenschaftliche Doktorarbeit), ein bisschen zurückhaltender. Er ist nicht ganz so schnell mit Beziehungen, aber wenn er sich bindet, dann richtig. Er ist fixiert auf Emmy, nachdem sie endlich zusammenkommen. Gemeinsam geht man ins literarische Exil. Man könnte es schlimmer treffen als im Tessin - jedenfalls, solange das Geld reicht. In Italien genügen sich die beiden und suchen nun nach dem inneren Frieden.
Ob sie ihn finden, bleibt in der neuen Paarbiografie offen. Das tut ihr aber keinen Abbruch. Gekonnt schlüsselt Bärbel Reetz das schillernde Leben dieser beiden außergewöhnlichen Menschen auf, soweit das Dritte können. Herausgekommen ist ein packendes Buch, das das Unverständliche zum Erlebnis macht. Zugegeben: Es ist für Normalmenschen nicht immer ganz leicht, die flippigen Anwandlungen von Emmy und die Wandlungen von Hugo Ball zu verstehen, der sich vom advangardistischen Kunstrevoluzzer zum dogmischten Katholiken entwickelt. Aber hier punktet die Biografin Bärbel Reetz mit einer ausgewogenen und nur behutsam kommentierenden Darstellung, die auch das teils prominente Umfeld des Künstlerpaares schildert und einbringt. Überzeugend ist zudem, dass die beiden Künstler nicht auf ihre Dada-Phase reduziert, sondern in ihrer Widersprüchlichkeit ernst genommen werden.