Hugo Hamilton: Der irische Freund - Buchtipp und NDR-Lesung in Hannover, Mai 2011

Von Helge

Hugo Hamilton: Der irische Freund - Buchtipp und NDR-Lesung in Hannover, Mai 2011


"Der irische Freund" heißt der Roman - nicht "Mein irischer Freund" - das hätte einen gleich misstrauisch machen können: Nähe, die die Möglichkeit der Distanz gleich mit umschließt. Und tatsächlich: Diese Freundschaft trägt nicht auf Dauer, vielleicht war es nie eine.

Hugo Hamilton erzählt von dem Serben Vid, den es nach Dublin verschlagen hat und der sich sehr bemüht, Irland und die Iren zu verstehen. "Ihr seid schon komisch hier", so fängt der Roman an. "Zum Beispiel, was die Freundschaft angeht. In diesem Land ist die Freundschaft einmalig, ich kenne nichts Vergleichbares. Sie kommt aus dem Nichts. Mit voller Wucht. Ganz oder gar nicht. Ich habe an Orten gelebt, wo man die Freundschaft wie eine Balkonbepflanzung sorgfältig über einen langen Zeitraum pflegt. Hier scheint sie wild zu wachsen."

Kevins Freundschaft kommt tatsächlich aus dem Nichts und trifft ihn mit voller Wucht - Vid hatte sein Handy gefunden, es zurückgegeben und wurde dafür mit überbordender Dankbarkeit belohnt. Die führt sogar zu gut entlohnter Arbeit, Vid bekommt den Auftrag zu gründlichen Renovierungsarbeiten in dem Haus, das Kevin mit Freundin Helen, jüngerer Schwester und Mutter bewohnt. Dabei entsteht eine (scheinbare) Nähe, die den Keim zur Distanz unweigerlich in sich birgt. Aber es sind vor allem die Geheimnisse - es werden immer mehr im Verlauf der Geschichte -, die die beiden auseinander bringen müssen: das eine ist ein Familiengeheimnis, das mit einem Geschehen auf Dursey Island zu tun hat; das andere ein akutes Gewalt-Ereignis, das die beiden durch ein Gemisch aus Loyalität und Schuld ineinander verstrickt (und das sind nur die zwei wichtigsten der Geheimnisse).

Das Buch liest sich flüssig, und ich dachte erst: gute Unterhaltung, was ja auch nichts Schlimmes ist. Aber da habe ich mich auf eine falsche Fährte locken lassen oder vorschnell geurteilt - denn der Roman wird immer vielschichtiger. Wenn wir das einmal als Maßstab für Qualität in der Kunst nehmen: die Vielschichtigkeit, dann ist der Roman besser als sein erster Anschein.  Das Thema Eigensein (Heimischsein) und Fremdsein wird auf verschiedensten Ebenen immer wieder gebrochen und gespiegelt. Auch Ellis, die jüngere, immer schon rebellische Schwester Kevins hat sich Haus und Familie entfremdet, als sie schwanger und von Helen (die sich inzwischen von Kevin getrennt hat) und Vid aus dem Haus entführt werden muss, damit sie ihr Kind annehmen und bekommen darf.

Verblüffend wirkt es für den Leser, dass Vid am ehesten so etwas wie Freundschaft erlebt, als Kevins Vater, der die Familie vor Jahren unangekündigt verlassen hatte (ausgewandert war), wieder auftaucht und sich mit Vid verbündet. Der Bruch mit Kevin ereignet sich im Grunde schon in der Mitte des Buches, als Vid ihm ein Geschenk des Vaters überbringen soll, die Oberfläche des Gutmenschentums reißt sofort auf: "'Du beschissenes serbisches Arschloch', brüllte er (Kevin). 'Warum?' 'Ich dachte, du wärst mein Freund', schrie er. 'Ich habe alles für dich getan, und du revanchierst dich auf diese Art.' 'Was habe ich denn getan?', fragte ich. 'Was habe ich falsch gemacht?' ... Ich begriff nicht, was ich verbrochen hatte. 'Misch dich nie, nie in meine Familienangelegenheiten ein. Ich habe dich davor gewarnt.' ..."

Sehr empfehlenswert!

Hugo Hamilton: Der irische Freund. Roman: Luchterhand (Random Hous): München 2011. 285 Seiten, EUR 19,99.

Eindrücke von der Lesung werden folgen!