Zivilisation. Das Kontrastprogramm könnte nicht heftiger ausfallen. Die letzten Tage Provinz und Abgeschiedenheit. Und nun: Leuchtreklame, Bars und dickbäuchige Touristen in viel zu engen Shirts mit vietnamesischen Reishüten auf dem Kopf – die Kompaktkamera an der Hand baumelnd. (Fotos dazu erpare ich Euch)
Hue – die alte Kaiserstadt – die so alt gar nicht ist (aber trotzdem so genannt wird) war bis 1945 die Hauptstadt Vietnams. Ich hab Leute von Hue schwärmen hören. Mir ging sie nach den wunderbaren Erlebnissen der letzten Tage, bereits nach wenigen Minuten auf den Keks. Nicht schön genug um zu fesseln, nicht hässlich genug, um ihr was was abgewinnen zu können. Hue sieht aus wie die Vorstadt von Hanoi, wenn da nicht der Kaiserpalast wäre, der zumindest einiges wieder “rausholt”. Die Palastbauer hatten sich mit dem Bau um 1802, dicht am chinesischen Vorbild orientiert. Ich bin wie immer sehr früh aufgestanden und bereits 7.30 Uhr am Palast. Der Palast-Gärtner ist beeindruckt von meinem frühen Besuch und lädt mich zum Tee in sein Gärtnerhäusschen ein. Er scheint mit sich im reinen und wir reden: Er auf vietnamesisch – ich auf deutsch. Verstehen tun wir uns nicht, aber wir nicken und lachen, wenn der andere was sagt. So schön kann Leben sein. Einfach mal quatschen ohne was zu verstehen. Er erinnert mich irgendwie an Peter Lustig mit seinem Hut. Vor seinem Häuschen hat er einen Vogel hängen, der schön singt. Ich bin von der Ruhe und Aura des Palastes an diesem Morgen beeindruckt und dackele mit meiner Kamera allein durch die Anlage. Im Nachhinein war das frühzeitige Erscheinen hier die beste Idee, die ich haben konnte, denn als ich mich nach 90 Minuten wieder zum Ausgang bewege, stehen dort Massen an Reisegruppen mit lustigen, verschieden-farbigen Mützen und Reiseleitern, die lautstark “follow me” rufend mit einem Wimpel vorneweg latschen. Wäre ich jetzt erst gekommen, Hue hätte mich am Arsch lecken können!
Als zweites Ausflugsziel stand das Kaisergrab auf der Liste. Das sehr großzügig angelegte Grab von Khai Dinh, der 1916 – 1925 regierte, weiss im ersten Moment durchaus zu beeindrucken, schaut man jedoch ins Detail entdeckt man ne Menge Kitsch. Sieht ein wenig aus wie Neuschwanstein auf vietnamesisch. Bin trotzdem froh, dass ich dort war.
Wir fahren weiter in Richtung Wolkenpass, der so heisst, weil er die natürliche Wetterscheide zwischen Nord- und Südvietnam bildet und den Norden vom Süden klimatisch trennt. Ab jetzt hab ich dann also tropisches Klima. Als mein Fahrer sich kurz vor den Bergen wieder seine tägliche Portion “Ekliges” in einer Garküche besorgt, verzichte ich, laufe runter zum Wasser, setz mich in den Sand und beobachte Mädchen beim Muschelsammeln. Sieht super romantisch und anmutig aus wie sie da im Wasser sitzen. Es wirkt auf mich sehr beruhigend, ist wahrscheinlich aber ein Scheissjob. Ich frag mich, welche Chance man hier überhaupt hat, sich seine Bestimmung auszusuchen. Wenn ich das hier so sehe, finde ich es eigentlich Wahnsinn, welche Möglichkeiten wir als Westeuropäer haben unser eigenes Leben zu gestalten und wie wenig oft daraus wird. Wir ärgern uns daheim über Dinge, über die die Muschel-sammelnden Mädchen hier nur ungläubig die Stirn runzeln würden. Mit diesem Gedanken fahren ich weiter über den Wolkenpass in Richtung Da Nang. Da Nang – darüber sind sich alle Reiseführer einig, hat mächtig Federn an das wesentlich kleinere und nahegelegene Städtchen Hoi An lassen müssen – ein Besuch in Da Nang lohne nicht, heisst es. Ich erreiche Hoi An am Nachmittag und verabschiede mich von meinem Fahrer, der nun allein die Rückreise in die Halong Bay antritt. Ich werd von nun an ohne Auto unterwegs sein. Couchsurfing habe ich in Hoi An nicht gefunden. Ich nehme ein Hotel, falle ins Bett und verschlafe den Nachmittag.