Mit dem Winter ist das so eine Sache hier an der Nordsee. Er ist das schwarze Schaf der Jahreszeiten Familie, der Loser. Und ein launiger Geselle dazu. Bequem auch. Einer, der es sich ab November auf seinem Stuhl gemütlich macht und richtig Sitzfleisch beweist. Er ist ein trister, unangenehmer Besucher, einer der außer allerhand Wolkenformationen in Grau, Grau und Grau, Wind, Sturm und Regen nicht viel mehr im Gepäck hat. Er geht mir gehörig auf den Keks und schlägt mir aufs Gemüt.
Nicht, dass ich nichts für den Winter im Allgemeinen übrig hätte. Ganz im Gegenteil sogar. Ich hab ein Auge seinen Bruder geworfen, den knackig kalten in seinem weißen Gewand. Der alles mit seiner Präsenz einhüllt und ganz still werden lässt und manchmal auch gehörig Chaos verbreitet. In meiner Heimat ist er mir schon des Öfteren begegnet. Ich habe ein bisschen Sehnsucht nach ihm, „Schneeweh“, Heimweh und „Freundeweh“ obendrein.
Wie sagt man so schön, wenn das Glück nicht zu Dir kommt, musst du eben zum Glück kommen. Ich verschreibe mir selbst die beste Medizin gegen meine Wehwehchen, buche mir rechtzeitig eine beste Freundin (spontan und immer verfügbar gibt´s die in meinem Mütterumfeld nämlich auch nicht mehr), einen Flug und ein Zimmer in der Hubertus Alpine Lodge in Balderschwang.
Raufkommen zum Runterkommen
Im Allgäu liegt das beschauliche Dörfchen Balderschwang samt Hotel Hubertus Alpin Lodge. Eingebettet in einem Hochtal auf 1.044 Meter Höhe. Deutschlands höchste und zugleich kleinste eigenständige Gemeinde, die früher nur über Österreich erreichbar war. Heute führt eine gut ausgebaute Passstraße in den Ort.
Nach Balderschwang fährt, wer echte Winter mag. Winter in denen sich der Schnee manchmal zu mannshohen Mauern auftürmt, dass sogar der spitze Kirchturm aus dem Sichtfeld verschwindet. Schneeketten im Gepäck können unter Umständen nicht schaden. Balderschwang ist mit Schnee gesegnet. Es hat schon seine Gründe, dass ihm das den Namen Bayerisch Sibirien eingebracht hat. Liegt in München zu unserer Abfahrt kein Fitzelchen Weiß, ist Immendorf schon mit Puderzucker besprenkelt. Und sobald uns der geborgte Yeti (das Auto!) meiner Eltern den Pass hinauf schiebt, verwandelt sich die Landschaft in eine malerische Winteridylle. Hier oben liegt das Hotel. Ein familiengeführtes Haus mit viel Kuschelfaktor und langer Tradition: Aus einer einst einfachen Bleibe mit Ferienapartments entwickelte sich ein schlichtmodernes Lifestyle-Resort.
Zarte Flöckchen rieseln auch bereits vom Himmel. Ich hätte es mir nicht besser wünschen können. Es fehlt nur noch, dass irgendwoher Bing Crosby Winter Wonderland” aus dem Äther trällert. Das ist nicht der Fall. Dafür kommt uns, kaum dass wir dem Yeti seinen Stall zugewiesen und die Koffer über die Türschwelle der Hubertus Alpin Lodge gehievt haben, eine freundlich trällernde Rezeptionistin mit zwei Prosecco entgegen.
So wünscht man sich das. Reinkommen. Ankommen. Runterkommen. Unser Wohlfühlbarometer schlägt gleich am Entree auf Behaglichkeit um. Alpenchic, Felle, viel Holz und noch mehr Liebe bis ins Detail.
Funkstille im Hotel Hubertus
Im Hotel Hubertus herrscht angeblich Funkstille. Nicht zwischen uns Mädels. Es gibt so viel zu erzählen. Fast 6 Monate, die ich nun nicht mehr in Deutschland wohne, wollen bequatscht und verarbeitet werden. Lange Gespräche, gemeinsam Schlemmen, Trinken, auf die Gipfel der Alpen schauen. Wer braucht da noch aufs iPhone Display starren?
Insofern lasse ich mich bereitwillig auf den Deal ein: Handy gegen Bergkäse. Wer sein Mobiltelefon bei der Ankunft im Hotel Hubertus an der Rezeption abgibt, bekommt einen Allgäuer Käse geschenkt. Wenn er durchhält.
Kein Problem. Die Modernität in Form eines stabilen Mobilfunknetzes ist sowieso im verschlafenen Balderschwang noch nicht angekommen. Lediglich in der Lobby gibt es verlässlichen Empfang. Das hat zur Folge, dass sich irgendwann alle Gäste dort versammeln.
Lammfelle, Holzmöbel, eine Welt aus Filz und Loden. An der Wand hängen Kuhglocken, draußen rieselt der Schnee. Mein niederländischer Landsmann serviert Glühwein, verführerischen Süßkram und schäkert mit mir. Ach, ich mag sie einfach, diese rotbäckigen Hünen.
Nach und nach verschwinden die Telefone der Gäste in den Taschen und es wird munter untereinander geklönt. Hier und da verabschiedet sich jemand ins Spa, ins Fitnessstudio, zum Kräuterworkshop, Faszientraining, zur geführten Winterwanderung oder einfach zum Dösen aufs Zimmer. Langweile kann im Hubertus gar nicht erst aufkommen. Es gibt ein abwechslungsreiches Wochenprogramm mit vielfältigen Aktivitäten, denen man sich kostenlos anschließen kann.
Ich muss auf der Hut sein, dass es für mich nicht in Freizeitstress ausartet. Zappelig wie ich bin, wäre ich gerne gleich überall dabei.
„Fokussieren“, schärft mir Georg passenderweise in der Sunrise Yogastunde ein, „und aaatmen“. „Das tue ich doch schon mein Leben lang“, sage ich. „Aber nicht bis in den Bauch. Nur das hilft uns, schnell wieder vom Kopf in den Bauch zurückzukehren, sodass sich der Geist beruhigen kann“.
Ich atme also, denke an nichts, bzw. versuche es. Die Gedanken kreisen trotzdem – immerhin langsamer und ich schaffe es, das Schneegestöber hinter der Stirn im Yoga Stadl zurückzulassen. Ich fühle mich ausgeruht und bereit für den Tag.
In der Nacht hat es weiter geschneit. Auf den Hügeln und Bergen des Hochtals liegt feinster Powder (verdammt, warum habe ich keine Skier dabei), in dem die Schneeschuhe ihre Yeti-Spuren hinterlassen. Lustig purzelt ein kleines Grüppchen vor Freude gackernd den Hang hinter dem Haus hinunter.
Schneekönig für einen Tag
Man könnte locker den ganzen Tag im Hotel Hubertus abhängen, doch uns zieht es hinaus ins Winterwunderland. Eine herrliche Wandertour durch das Balderschwanger Tal beginnt quasi vor der Tür. Draußen im schönsten Winterkleid wirkt die Landschaft und Stille des Naturparks Nagelfluh wie Balsam für die Seele. Eine Welt wie in Watte gepackt. Wir freuen uns wie Schneekönige, als die dicken Flocken uns die Nase kitzeln. Die Luft ist kalt aber weich. Ich atme tief ein. Ja. Natürlich bis in den Bauch. Im Nu bin von innen in Watte gepackt. Atme Watte ein, atme Watte aus.
Bei so viel weißem Füllmaterial im Bauch kommt kein Hunger auf, könnte man annehmen. Weit gefehlt. Beim Anblick des Buffets läuft uns das Wasser im Mund zusammen.
Zum authentisch naturnahen Konzept des Hotel Hubertus passen die liebevoll angerichteten Speisen, die vital, saisonal und mit herzhaften Allgäuer Schmankerln immer auch regional ausgerichtet sind. Es gibt immer vegane, vegetarische und ayurvedische Varianten. „Wir nennen unseren Ansatz Wohlfühl-Kulinarik“, erklärt uns Karl Traubel, der Inhaber. Ich nenne es schamlose Verführung. Es gibt ein sagenhaft reichhaltiges Frühstücksbuffet bis 11.30 Uhr, gefolgt von einem „Light Lunch, der süßen nachmittags Jause, Plätzchen und einem mehrgängigen Abend Menü.
Bei all dem Futtern, den Aktivitäten, Wellness und Gequatsche kommt nur eins zu kurz: das Lümmeln im Hotelzimmer. Fast ein wenig schade, verbreiten die Zimmer mit ihrer lässig-alpine Einrichtung aus Holz, Stein, Fell und Loden doch eine besondere Wohlfühlatmosphäre. Das Ambiente ist mit Feingefühl und einen Touch Coolness arrangiert. Es hebt sich erfrischend ab vom allzu traditionellen alpenländischen Muff.
Das Hubertus am eigenen Leib erfahren
Über Zimmergrößen, Kategorien und auch über den großzügigen einladenden Spa Bereich kann jedermann in den einschlägigen Bewertungsportalen lesen. Was da jedoch nicht drin steht, sind die charmanten Gastgeber, die allgegenwärtig sind, damit es auch wirklich jedem gut geht. Wie gut man im Hotel Hubertus aufgehoben ist, wenn man gerne aktiv ist und trotzdem Entschleunigung als Gegenpol zum hektischen Alltag sucht.
Wie es sich anfühlt, in den Hanging Eggs im »Raum der Stille« die Seele baumeln zu lassen und eine „Alpyurveda-Massage“ frei nach der Erfinderin, der Hausherrin, zu bekommen – mit heimischen Pflanzenölen aus Enzian und Arnika in Kombination mit der uralten indischen Massagetechnik.
Garantiert erfährt man auch nicht, was es mit dem gestopften Loch in Stubendecke auf sich hat** (Auflösung unten) und was die vielen alten Fotografien in der Stube von Früher erzählen. Das alles bekommt man nur mit, wenn man selbst hinfährt, nicht in sein rechteckiges Display starrt, sondern es menscheln lässt und mit jenen auch spricht.
Auf das bayerisch sibirische Erlebnis, den Yeti aus den Schneemassen von drei Tagen Dauerschneefall auszubuddeln und dem Umweg über Österreich aufgrund nicht eingepackter Schneeketten, hätte ich persönlich dann aber doch verzichten können.
Aber so ist das eben mit dem Winter. Ich habe es ja nicht anders gewollt.
** Angeblich ist eines Tages dem alten Herr Traubel eine Maus von der Decke aus in die Suppe gefallen.
Disclaimer: Vielen Dank an das Hotel Hubertus, das es mir möglich gemacht hat, dem elenden Nordseegrau die kalte Schulter zu zeigen. Hätte es mir dort nicht ganz hervorragend gefallen, hätte ich es Euch erzählt.