Hörspiel: The Immortal Sherlock Holmes

Hörspiel: The Immortal Sherlock HolmesEine der berühmtesten literarischen Figuren, und in den 30ern sogar noch recht aktuell? Selbstverständlich konnte Orson Welles in seinen Radioadaptionen davon nicht die Finger lassen, und so bekommen wir auch die Mercury-Theatre-Version von Sherlock Holmes zu hören. Wie schon erwähnt schreibe ich über diese Hörspiele nun meine Zulassungsarbeit – erwartet jetzt aber in diesem Beitrag noch keine tollen Analysen, ich hab noch nicht angefangen ;) Hier also nur ein oberflächlicher Blick auf dieses Hörspiel – und was William Gillette damit zu tun hat.

Dieses Sherlock-Holmes-Hörspiel ist ein recht ungewöhnliches Projekt für das Mercury Theatre on the Air, denn in den meisten Fällen war Welles auf seine eigene Vision und Inszenierung aus und lies sich nicht von anderen kreativen Geistern drunterpfuschen, während dieses Hörspiel weniger Welles als William Gillette verpflichtet ist. Wem der Name nichts sagt: William Gillette hat 1899 das erste Sherlock-Holmes-Theaterstück geschrieben und die Hauptrolle gespielt; das Stück war enorm erfolgreich, wurde bis 1932 ca 1300 mal aufgeführt und ist für all die Klischees verantwortlich, die wir heute noch automatisch mit Holmes verbinden: der Deerstalker, die gebogene Pfeife, das “Elementary, my dear Watson”.

Wie sich dieses Hörspiel nun an Gillette anlehnt sieht man nun zum einen im Skript – hier wird nicht etwa eine der Holmes-Geschichten von Arthur Conan Doyle vertont, oder eine eigene Geschichte erfunden, sondern das beliebte Theaterstück von William Gillette gekürzt und fürs Radio adaptiert. Und zum anderen – und vielleicht noch verwunderlicher – beeinflusst Gillette auch ganz eindeutig, wie Welles seine Rolle als Holmes spielt.
Daran sieht man eindrucksvoll, wie umfassend William Gillette durch seine Theaterrolle das Bild von Holmes in seiner Generation geprägt hat. Orson Welles bringt das in seiner Ansprache vor der Radiosendung gut auf den Punkt – er entschuldigt sich gar, dass er nicht völlig die Erwartungen der Zuhörer erfüllen kann:

“For William Gillette was the aquiline and actual embodiment of Holmes himself. It is too little to say that William Gillette resembled Sherlock Holmes – Sherlock Holmes looks exactly like William Gillette. Sounds like him, too, we’re afraid, and hope devoutly that the Mercury Theatre and the radio will take none of the glamor from the beloved fable of Baker Street.”

Welles versucht also, Gillette stimmlich zu imitieren – man kann das gut feststellen, weil es von Gillette einen kurzen Ausschnitt einer Radio-Aufnahme seines Stücks gibt, und Welles ganz eindeutig versucht diese Intonation zu treffen statt seine normale Radio-Stimme zu verwenden. Das geht nicht wirklich gut – zum einen finde ich auch Gillettes Interpretation, soweit man das von diesem kurzen Ausschnit beurteilen kann, nicht sehr gut, und zum anderen spricht Welles nun mit einer unangenehm hohen (also, für Welles) Stimmlage und es wirkt gehetzt. Da wäre es sicherlich besser gewesen, wenn sich Welles getraut hätte, seinen Zuhörern eine eigene Interpretation der Figur zuzumuten.

Auch das Skript ist ein wenig konfus – ich bin nicht sonderlich vertraut mit der Vorlage von William Gillette, aber soweit ich das sehe, folgt Welles hier den Grundzügen, vereinfacht aber viel und kürzt auch einiges weg. Es bleibt also eine etwas zerfahrene Geschichte, die sich hauptsächlich bei A Scandal in Bohemia und The Final Problem bedient, wobei man Welles sehr dankbar dafür sein kann, dass er die von Gillette hineingeschriebene Liebesgeschichte für Holmes über Bord wirft. Watson dient als Erzähler, hat aber in der Handlung so gut wie nichts zu tun, Alice Faulkner ist ziemlich langweilig aber Moriarty macht durchaus Spaß.

Hier mal ein recht langer Ausschnitt aus dem Hörspiel: Moriarty besucht Holmes in seiner Wohnung. Diese Szene, ursprünglich aus The Final Problem, gibt es ja auch in vielen anderen Adaptionen, also bietet sich das an, wenn man vergleichen will:

Die Kommentare, die Welles nach seinen Hörspielern noch abgibt und die kleinen Small-Talks mit seinen Co-Schauspielern, die ich immer sehr gern höre, fallen diesmal leider aus, weil der Rest der Sendezeit Nachrichten weichen muss: Es ist der 25. September 1938 und die ganze Welt sieht gespannt auf Europa, wo gerade über die Annexion des Sudetenlandes verhandelt und ein paar Tage später das Münchner Abkommen geschlossen wird. Es ist immer ganz seltsam, über diese Zeitdokumente zu stolpern, weil man sonst diese Hörspiele unabhängig von der Weltkriegsrealität hört…

Also alles in allem ein ganz brauchbares Hörspiel, das aber nicht an den normalen Standard von Welles’ Hörspielen heranreicht und auch als Holmes-Adaption zu wünschen übrig lässt. Es gibt noch eine langlebige Sherlock-Holmes-Reihe mit wechselnden Sprechern (die bekanntesten wohl Rathbone und Bruce) – vielleicht schreib ich darüber auch noch einmal was.


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