Ich bin bekanntlich Fetischist für Originale: Wenn’s um Filme geht, dann nach Möglichkeit bitte im O-Ton. Bücher auch am liebsten in der Sprache, in welcher sie geschrieben wurden. Ich will Authentizität und deshalb hatte ich auch lange Schwierigkeiten mit Hörbchern.
Wenn David Nathan (bekannt als deutsche Stimme von Johnny Depp) mir den „Ruf des Cthulhu“ von H.P. Lovecraft vorliest, dann ist das eben nicht Lovecraft, der über seinen Text mit mir spricht, sondern der gute Herr Nathan, der mir dolmetscht, was der alte Hypochonder aus Maine da erzählt. Ein Vorleser drückt einem Text mit seiner Stimme, seinen Betonungen und seiner ganzen Art einen eigenen Stempel auf. Es hört sich einfach anders an, wenn Detlef Bierstedt (Synchronsprecher für George Clooney) etwas vorliest, als wenn Götz Alsmann den selben Text spricht – das sollte es auch. Bei einem Hörbuch wird der Text durch den Vortrag des Sprechers gefiltert. Ein Hörbuch ist nicht das selbe, wie wenn ich den Text selber lese, sondern wird durch den Vortrag gefiltert und vom Sprecher geändert.
Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich alle Bücher in ihrer Originalsprache lesen und meine Existenz als multilinguales Genie genießen: Kein Text bliebe mir unverschlossen, ich hätte immer direkten Kontakt zur Essenz der Worte, der Intention des Autors, dem Hintergrund der Geschichte – bla, bla, bla, irgendwie so. Ich will mir ja nur selbst ein Bild machen und woher weiß ich da, dass an dieser einen Stelle, an der der Sprecher in ein beängstigendes Stakkato fällt, ich diese Passage nicht mit einer viel cooleren, sachlichen Lesart gelesen hätte? Das wird mir im Hörbuch abgenommen; selber interpretieren kann ich nicht.
Aber was heule ich rum? Ich liebe Hörbücher. All dieses Gerede von Original und Authentizität, oder wie sich das schreibt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich seit Monaten der Stadtbücherei Münster die Regale leerräume. Ich bin ohne Hörbücher nicht länger lebensfähig und habe schon mehr Romane auf diese Weise hinter mich gebracht und mir mehr schwerverdauliche Klassiker zugeführt, als jemals zuvor. Ich und Hörbücher sind dicke Freunde geworden, einfach wegen der altbekannten Geschichte vom guten Buch und faulem Leser: Dank der Stimmen aus den Boxen kann ich morgens auf dem Weg zur Arbeit Bram Stokers „Dracula“ „lesen“, ohne den Verkehr zu gefährden. Jede Fahrt von Essen nach Münster wird zur Lesereise.
Aber das ist noch nicht alles. Talentierte Sprecher können ein schlechtes Buch erträglich und mäßige Geschichten Spannend machen. Dank Detlef Bierstedt habe ich diesmal „Metro 2033“ fast bis zur Hälfte durch geschafft, ganz ohne mich am nächsten Baum zu erhängen.
So gerne ich Originale habe, über die Vorzüge von Hörbüchern komme ich nicht weg. Und wenn mir ein Buch ganz wichtig ist, dann kann ich es ja immer noch im Original lesen.