Hörbuch: Mensch Junge von Helena Baum

Von Ute Schierwagen @Kabelljau

Ein Sommer bricht, ein Junge fällt, die Wahrheit rüttelt an seiner Welt. Er sucht den Weg durch Scham und Schmerz – doch Hoffnung flackert tief im Herz.

Cover vom Hörbuch: Mensch Junge

Ein Fehler wird zum Wendepunkt des Lebens. Doch im Dunkel wächst der Mut zum Weitergehen.

Eine Geschichte, die nicht erzählt wird, sondern unter die Haut wandert – Es gibt Geschichten, die nicht mit einem lauten Knall beginnen, sondern mit einem ganz leisen Riss. Ein Riss, der sich erst wie ein kaum wahrnehmbares Ziehen anfühlt und sich doch ausbreitet, bis ein ganzes Leben davon erschüttert wird. „Mensch Junge“ von Helena Baum ist genau so eine Geschichte. Sie führt uns zunächst in die flirrende Leichtigkeit eines Sommers, der alles in sich trägt: das erste Verliebtsein, die Sehnsucht nach Freiheit, das vorsichtige Erwachen eines Jugendlichen, der ahnt, dass die Welt groß und weit sein könnte. Doch diese Weite bricht plötzlich weg.

Und zurück bleibt ein Junge, der versucht zu verstehen, wie es zu einem Moment kommen konnte, der sein Leben in ein Davor und ein Danach teilt. Helena Baum nähert sich diesem Tabuthema mit einer Wärme, die zugleich unendlich viel Mut besitzt. Man spürt in jeder Zeile, wie bewusst sie mit Schmerz, Scham und Unsicherheit umgeht. Sie gibt Simon Raum, nicht um zu entschuldigen, sondern um ihn als Menschen zu zeigen – mit all seiner Zerbrechlichkeit, seinen Fehlern und seinem verzweifelten Wunsch nach Halt. Wenn du jetzt neugierig geworden bist, dann komm doch mit auf eine Lesereise. Auf geht’s…

Wenn Nähe Halt geben soll und doch zur Überforderung wird – Simon ist fünfzehn Jahre alt und eigentlich an einem Punkt in seinem Leben, an dem er zum ersten Mal spürt, was Freiheit bedeuten könnte. Die Welt wirkt offen, die erste Liebe taucht wie ein zaghaftes Leuchten am Horizont auf, und der bevorstehende Sommer erscheint wie ein Versprechen auf alles, was möglich sein könnte. Doch in seinem Zuhause entstehen Spannungen, die sich langsam wie Schatten über den Alltag legen. Simons Eltern bewegen sich an einem Punkt, an dem ihnen das Leben über den Kopf wächst. Die Erwachsenen kämpfen, und wie so oft in solchen Situationen werden es die Jugendlichen, die versuchen, aufzufangen, was eigentlich nicht in ihre Hände gehört.

Simon und Pauline rücken enger zusammen, nicht aus falscher Nähe, sondern aus echter Not: zwei Geschwister, die versuchen, die Zwillinge zu versorgen, die Familie zusammenzuhalten und sich gegenseitig Zuversicht einzureden, während ihre Welt ins Wanken gerät. Doch Überforderung ist ein stiller Gegner. Sie kommt nicht laut, sie kommt nicht mit Warnschildern. Sie entsteht in kleinen Momenten, in denen man mehr trägt, als man tragen sollte. Und dann geschieht etwas, das nicht hätte geschehen dürfen. Ein Moment, der aus Nähe, Verwirrung und emotionaler Überlastung entsteht – und doch eine Grenze überschreitet, die nicht überschritten werden darf. Simon versteht das Ausmaß seines Handelns nicht sofort. Aber die Geschichte zeigt uns, wie schnell ein Mensch stolpern kann, wenn niemand rechtzeitig sieht, wie sehr er taumelt.

Der Zusammenbruch – Jugendamt, Scham, der Verlust von Zuhause und der Beginn einer langen Reise zu sich selbst – Als Simon aus dem Unterricht geholt wird, bricht seine Welt in einem einzigen Atemzug auf. Die Frau vom Jugendamt, der stille Raum des Schulsozialarbeiters, die unausgesprochene Schwere – all das legt sich wie ein Schleier über sein Denken. Man spürt seine Scham, seine Angst, seine vollkommene Überforderung. Von diesem Moment an ist nichts mehr, wie es war. Er verliert sein Elternhaus, die Nähe seiner Geschwister, die Selbstverständlichkeiten seiner Jugend. Er verliert auch das Bild von sich selbst.

Und genau hier beginnt ein Weg, der härter ist als alles, was er bisher erlebt hat. Die Therapie wird zu einem Ort der schonungslosen Wahrheit. Simon muss Fragen beantworten, die tief in seine Verletzlichkeit schneiden. Er muss akzeptieren, dass sein Handeln Konsequenzen hat – für Pauline, für seine Familie, für ihn selbst. Doch zugleich zeigt die Geschichte auch, dass Heilung nicht bedeutet, den Fehler zu vergessen, sondern zu verstehen, wie er entstehen konnte, und Verantwortung zu tragen, ohne sich selbst zu entmenschlichen.

Die Figuren – Jede einzelne ein Spiegel menschlicher Verletzlichkeit – Pauline (seine zwölfjährige Schwester), deren Stärke und Verletzlichkeit in denselben Atemzügen existieren. Die Eltern, die in ihrer eigenen Hilflosigkeit gefangen sind. Jessi, Ruby, Conny, Loko „Zack“ – jede Figur besitzt Konturen, Geschichte, Wärme und ihre eigenen Schatten. Helena Baum zeichnet keine Rollen. Sie zeichnet Menschen. Menschen, die versuchen, richtig zu handeln, und manchmal scheitern. Menschen, die lieben, schützen, weglaufen oder schweigen – und damit oft mehr sagen als mit Worten. Die Ich-Perspektive lässt uns Simon so nah kommen, dass man an manchen Stellen instinktiv die Luft anhält. Man versteht nicht alles, aber man spürt, wie sehr er ringt, wie sehr er sucht, wie sehr er sich selbst verliert und zugleich nach einem Funken Licht tastet.

Der Sprecher – Torsten Leiss verleiht Simon nicht nur Stimme, sondern eine Seele – Was dieses Hörbuch besonders macht, ist die Stimme von Torsten Leiss. Er liest nicht einfach – er fühlt mit. Er interpretiert Simon nicht aus der Distanz, sondern aus einer tiefen, warmen Nähe heraus. Seine Stimme trägt die Brüche, die Unsicherheit, die Scham und die leise Hoffnung dieses Jungen mit einer Echtheit, die man kaum beschreiben kann. In seinen Pausen liegt Nachdenklichkeit. In seinen leisen Momenten liegt Schmerz. In seinen warmen Tönen liegt Mitgefühl, das nie bevormundet, sondern begleitet. Durch ihn wird die Geschichte zu etwas, das nicht nur gehört, sondern gespürt wird. Er schenkt Simon die Menschlichkeit, die ein Thema wie dieses dringend braucht.

FAZIT: Ein Roman, der herausfordert, aber gerade dadurch heilt – Dieses Hörbuch (und auch das Taschenbuch) muss gehört/gelesen werden und bekommt deshalb von mir eine absolute Leseempfehlung. „Mensch Junge“ ist eines dieser Bücher, die man nicht einfach zuklappt und weitermacht. Es begleitet einen weiter – im Kopf, im Herzen, in den Fragen, die man sich selbst stellt. Es zeigt, wie zerbrechlich Jugendliche sein können, wenn das Leben zu viel verlangt. Und es zeigt, dass Verantwortungsübernahme nicht bedeutet, die eigene Menschlichkeit zu verlieren, sondern sie neu zu definieren. Simons Weg ist schwer. Er ist unbequem. Er fordert uns heraus. Helena Baum erzählt einen Weg, der schwer ist, unbequem, manchmal schmerzhaft – aber auch voller leiser Hoffnung. Und dennoch trägt er in sich eine Hoffnung, die man nicht erwartet.

Die Erzählweise in der Ich-Form schenkt dem Leser eine Nähe, die tief ins Herz geht, und die Sprecherleistung von Torsten Leiss hebt diese emotionalen Schichten auf ein Niveau, das nur möglich ist, wenn Text und Stimme in vollkommener Harmonie zusammenarbeiten. Dies ist ein Buch, das gehört/gelesen werden sollte. Mehr noch: Es ist eines, das man fühlen muss. Es ist leise, aber wirkungsvoll. Schwer, aber notwendig. Schmerzhaft, aber menschlich. Es zeigt uns, wie komplex das Werden eines jungen Menschen sein kann und wie sehr wir uns manchmal wünschen, jemand würde rechtzeitig sehen, wenn eine Seele beginnt zu stolpern.

Persönliches SchlusswortEin Buch, das mich nicht loslässt – Als ich die Geschichte beendet habe, war da keine schnelle Meinung. Keine einfache Reaktion. Nur ein stilles, tiefes Nachspüren. Genau dieses Nachspüren zeigt, wie sehr dieses Buch berührt. Simon begleitet mich. Nicht als Täter, nicht als Opfer, sondern als Mensch in einer Ausnahmesituation. Ein Mensch, der stolpert, fällt, weint, kämpft – und doch versucht, wieder zu sich zurückzufinden. Ich empfinde großen Respekt für Helena Baum, die dieses schwerste Thema mit einer solchen Wärme und Ehrlichkeit trägt, und tiefe Dankbarkeit für Torsten Leiss, dessen Stimme diese Geschichte zu einem lebendigen, fühlbaren Raum macht.

Dieses Buch geht nicht einfach vorbei. Es bleibt. Es arbeitet weiter. Und genau darin liegt seine Kraft. Ich werde dieses Buch nicht vergessen. Und ich werde es jedem ans Herz legen, der bereit ist, sich auf eine Geschichte einzulassen, die Mut braucht – und die dafür umso mehr schenkt. Mir bleibt jetzt nur noch dir eine schöne Lesereise oder angenehme Stunden beim Hören zu wünschen, denn „Mensch Junge“ ist ein wichtiges, berührendes, forderndes Buch – es ist eines, das bleibt – und das uns daran erinnert, dass Menschlichkeit vor allem dort wichtig ist, wo es am schwersten

Wieder habe ich ein sehr sehr schönes Buch beendet und es war ein tolles Erlebnis, aber auch eines, was zum Nachdenken anregt. Ich habe sehr oft beim Hören gedacht: „Mensch Junge“ – aber ich glaube, so ging es einigen Anderen auch. Ich schau jetzt mal, welches Schätzchen auf meinem Reader auf mich wartet. Bleibt also neugierig und bis bald