Damals hatt jeder Mensch sein Totemtier. Beim einen war es der Bär – noch heute gibt es Teddybären, auch ich hatte als Kind einen. Beim Andern ist es der Adler – beliebt sind diese grossen Vögel in Wappen und auf Fahnen. Dann war es auch der Wolf oder der Büffel – auch vor diesen bleibt man im Zoo gerne etwas länger stehen.
Als Kind lauschten wir den Märchen und da kommt dann ein Meerhäschen oder ein gestiefelter Kater des Wegs, ja, es hängt ein sprechender Pferdekopf Falada an der Wand, es gibt sieben Raben, Froschkönige und wilde Schwäne…
In Sagen sind die hilfreichen Tiere ebenso vertreten. So bringt beispielsweise der Specht die Springwurzel (Salomonssiegel) herbei, damit man eine verschlossene Türe öffnen kann. Nun gut, in der Sage sind viele Tiere auch weniger hilfreich, so der Höllenhund oder der Leibhaftige in Form einer Ziege.
Auch in religiösen Schriften kommen hilfreiche Tiere vor. So ist es in der Bibel zum Beispiel der Esel, welcher den etwas korrupten Propheten Bileam vor dem Engel ‘warnt’. Allerdings war auch hier das eine oder andere Tier nicht so hilfreich, so zum Beispiel die Schlange im Paradies – obwohl ihr „Apfel der Erkenntnis“ auch sein Gutes hatte.
Das Wort Totem kommt aus einer nordamerikanischen Indianersprache (wahrscheinlich Algonkin), und bedeutet nichts weiter als «Sippe». Denn das hilfreiche Tier gab dem Stamm den Stammesnamen, beschützte ihn und wurde im Stammeszeichen dargestellt. Es wurde als magischer Begleiter und Helfer verehrt. Das Totemtier gehörte also zur Familie – das ist ja heute auch noch so, bei Hund und Katze, selbst der Bauer gibt seinen Kühen so nette Namen wie Leni und Vreni.
Gerade jetzt sitzt vor meinem Fenster, auf einem Ast der grossen Esche, eine Ringeltaube. Sie guckt mich an, bewegt den Kopf, scheint etwas erklären zu wollen. Was ist es wohl? Schade, dass ich sie nicht recht verstehe. Das muss frustrierend für den hübschen Vogel sein. Aber ich kann mir ja ausdenken, was er mir sagt. Oft ist genau das gar nicht schlecht.
Nachts träume ich ab und zu von Tieren (ich schreibe mir jeden Morgen die Träume auf): Letzthin war ich in einem Nationalpark, und es hatte Bären hinter einem Kuhzaun. Sie waren sehr freundlich und sagten, ich soll den Zaun wegnehmen. Merkwürdig, nicht wahr? Ich werde versuchen, in meinem Leben die Kuhzäune zu entfernen. Obwohl ein Bär das eigentlich selber machen könnte.
Suche Deine Totemtiere! Sprich mit der Katze, die auf der Mauer sitzt. Frage die Ameise, was sie über Dich weiss. Horch am alten Baumstamm, was die Käferlarven, die dort drin wohnen, zu sagen haben. Befrag die Krähen, die sich in grossen Gruppen in den Platanen streiten.
Auf irgend eine merkwürdige Art wird man immer belehrt.
Bild oben: „Schick dein Totemtier vor“ 64cm x 45cm / GMF auf Zeichenpapier / 2011, Nr.11-026
In dem Multimedia-Bild sind es zwei Giraffen, die dem Pärchen mit Rat und Tat beistehen.