Gesetzeslücken endlich schliessen!
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, aber auch die Schweiz bekämpfen homophobe und transphobe Hassverbrechen nicht mit der nötigen Konsequenz und schützen nicht alle Bürgerinnen und Bürger gleichermassen vor Diskriminierung. Das stellt Amnesty International in einem Bericht fest, der am 18. September 2013 in Brüssel veröffentlicht wurde.
Der Amnesty-Bericht zu homophober und transphober Gewalt in Europa («Because who I am. Homophobia, transphobia and hate crimes in Europe») thematisiert Gesetzeslücken in vielen europäischen Ländern, in denen sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität nicht als Tatmotive für Hassverbrechen anerkannt werden. Der Bericht belegt ausserdem, dass die heutigen EU-Standards bezüglich Hassverbrechen nicht ausreichen, um homophobe oder transphobe Gewalt wirksam zu bekämpfen.
Dazu Stella Jegher, zuständig für lgbt-Rechte bei Amnesty International Schweiz:
«Die Bekämpfung von Diskriminierung ist eine völkerrechtliche Pflicht aller Staaten. Zur Erfüllung dieser Pflicht gehören wirksame Massnahmen gegen alle Formen von hassmotivierter Gewalt – also auch gegen Gewalt aus homophoben oder transphoben Motiven. Die heutige Gesetzeslage in vielen EU-Ländern und auch in der Schweiz erweckt aber den Eindruck, dass gewisse Gewaltverbrechen weniger ernst genommen werden als andere. Das verstösst gegen das Gleichstellungsgebot.»
Hassverbrechen unterscheiden sich durch ihr diskriminierendes Motiv von anderen Gewalttaten. Die Auswirkungen auf die Opfer sind oft umso nachhaltiger und schwerwiegender. Es ist deshalb äusserst wichtig, dass die Motive einer Tat sowohl bei den polizeilichen Ermittlungen als auch bei einem Strafprozess ans Licht kommen. Einer EU-weiten Studie zufolge werden 80 Prozent der homophoben und transphoben Gewalttaten gar nicht bei der Polizei gemeldet. Die Opfer haben Angst vor institutioneller Homophobie und Transphobie. In anderen Fällen verschweigen Homosexuelle gegen sie begangene Gewalttaten, weil sie ihre sexuelle Orientierung geheim halten wollen.
Auch in der Schweiz sieht das Strafgesetz bislang keinerlei Sanktionsmöglichkeiten gegen homophobe oder transphobe Verbrechen vor. Eine entsprechende Empfehlung aufgrund der letzten Universellen Periodischen Überprüfung (UPR) der Schweiz vor dem Uno-Menschenrechtsrat wurde bisher nicht aufgenommen. Amnesty International arbeitet gemeinsam mit anderen NGOs darauf hin, diese Lücke zu schliessen.
Einige europäische Länder wie Bulgarien, die Tschechische Republik, Deutschland, Italien und Lettland haben keine umfassenden gesetzlichen Bestimmungen zu Hassverbrechen; Übergriffe aufgrund der tatsächlichen oder angenommenen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität fallen nicht darunter. Andere Länder wie Kroatien und Griechenland haben zwar entsprechende Gesetze, diese werden aber nicht korrekt umgesetzt; manchmal wird das transphobe oder homophobe Motiv einer Tat von der Polizei nicht erfasst oder nicht gründlich untersucht.
Fallbeispiele aus dem Amnesty-Bericht:
Im Februar 2012 wurde Michelle, eine junge transsexuelle Frau, in der italienischen Stadt Catania von mehreren Personen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität angegriffen und geschlagen. Die Täter beleidigten sie dabei mit abfälligen Worten wie: «Widerlich! Du bist ein Mann, eine Schwuchtel!» Michelle meldete den Angriff der Polizei. Ein Verdächtiger wurde später identifiziert. Bei der Anklage wird das transphobe Tatmotiv allerdings nicht berücksichtigt werden, weil es dafür keine Gesetzesgrundlage gibt. Michelle sagte dazu: «Sie wollten mich abschlachten, nur weil ich bin, wer ich bin – weil mein Gesicht etwas zu maskulin ist und weil sie an meiner Stimme erkannt haben, dass ich eine Trans bin.»
Am 30. September 2008 wurde der Medizinstudent Mihail Stoyanov in der bulgarischen Hauptstadt Sofia ermordet, weil ihn die Täter für einen Homosexuellen hielten. Fünf Jahre nach dem Mord hat der Prozess gegen die beiden Verdächtigen noch immer nicht begonnen. Obwohl das homophobe Motiv während der Ermittlungen einwandfrei festgestellt wurde, wird es bei dem Prozess keine Rolle spielen. Die Prozessverzögerung ist für Mihails Mutter Hristina kaum zu ertragen, sie erhält keinerlei psychologische oder andere Unterstützung durch die Behörden.
Quelle: Amnesty International Schweiz