Von Stefan Sasse
Kennt ihr das Gefühl? Überall "graugesichtige Politiker"? Nur Partikularinteressen? Die Niederungen der Parteipolitik? Bürgerliche, manchmal gar mit einem Arbeiterhintergrund, mühsam ihre niedere Herkunft verbergend und nicht auf dem internationalen Parkett zu Hause? Kommunalpolitiker in Hintertupfingen, die nicht einwandfrei Englisch können? Landtagsabgeordnete ohne eigenes Schloss? Hadert nicht! Ursula von der Leyen und Karl-Theodor zu Guttenberg eilen herbei und retten den Tag!
Photo: Bundeswehr-Fotos
Das zumindest ist der Eindruck, den man gewinnen muss, wenn man die aktuelle Debatte um "Adel in der Politik" ansieht, die bei Frank Plasberg geführt und freundlicherweise auch von der SZ diskutiert wurde, damit man sich die 75 Minuten nicht wirklich antun muss. Dabei saß eine Reihe von Blaublütern mit Plasberg und Elitenforscher Hartmann zusammen und redete darüber, warum die Republik dringend des Adels zu ihrer Rettung bedarf. Klingt absurd? Ist es leider nicht.
Die Renaissance dieser eigentlich politisch abgehalfterten Klasse wirkt wie aus der Zeit gefallen. Woher kommt die Begeisterung, die Guttenberg und von der Leyen vornehmlich bei den Boulevardmedien von BILD bis Spiegel erwecken? Tatsächlich fällt Guttenberg ein wenig aus dem Rahmen, wenn man sich das Personal der großen Koalition vorher oder das nachrückende schwarz-gelbe Kabinett des Schreckens ansieht. Für einen Journalisten ist das großartig, sofern er die eigene Selbstachtung am Eingangsportal abgegeben hat, was in letzter Zeit auf deutlich zu viele Vertreter dieser Zunft zuzutreffen scheint, die mittlerweile auch selbst erkannt hat, dass sie sich den Zentren der Macht bedrohlich nahe geschleimt hat.
Einen Mann wie Guttenberg auf seiner Reise zu begleiten, ist mit Sicherheit deutlich spannender als eine wandelnde Sprechblase wie Westerwelle, die zudem noch lauter Unsinn absondert. Mit "KT" kann man sicherlich gute Gespräche führen, nachdem man - eloquent und "mit guten Manieren" natürlich - den politischen Pflichtteil abgehandelt hat. Wer weiß, vielleicht nimmt Gutti den Journalisten ja sogar mit in irgend so eine noble Ecke...? Und dazu die Bilder! Muss man nicht mal mehr selber machen. Dass manchem Vertreter der schreibenden Zunft da der journalistische Orgasmus kommt, ist nachvollziehbar, und Guttenbergs angebliche Beliebtheit beim Volk speist sich, wie der Postillon richtig erkannt hat, ohnehin nur aus seiner Beliebtheit beim Volk.
Was aber ist das für ein Bild, das da gezeichnet wird? Der Souveräne mag es offensichtlich nicht, wenn er sich beim Blick in Politikerfratzen allzusehr an einen Blick in den Spiegel erinnert fühlt. Wenn die Führungsriege sich auf die richtige Art abgehoben präsentiert - nicht das Abgehoben, das dem Aufstieg aus eben diesen bürgerlichen Niederungen folgt, sondern das Abgehoben sein qua Geburt. Die Begeisterung dafür, nicht von Menschen aus der eigenen Mitte "repräsentiert" und regiert zu werden, sondern von einer aus einer vollkommenen, wenngleich auch glitzernden und attraktiven Scheinwelt kommenden Führungsschicht, ist gefährlich. Eigentlich brauchen wir dann auch keine Demokratie, denn wenn es ohnehin eine sehr dünne Schicht Leute gibt, die für den Job wie gemacht sind - weil sie angeblich so unabhängig sind, was für die Journalisten mit dem schlechten Gedächtnis, die solchen Blödsinn wiedergeben, allein durch die zahlreichen Wirtschaftsverbrechen des FDP-Ahnherrn Otto Graf Lambsdorff widerlegt sein sollte -, wer braucht denn dann noch "Repräsentanten" einer Schicht, die offensichtlich nicht dafür gemacht ist? Eigentlich könnte man dann gleich in den Ständestaat zurück. Seit Sarrazin wissen wir ja, dass ohnehin alles in den Genen liegt; vermutlich haben die Adeligen also ein besonderes "Regieren-Gen".
Die aktuelle Begeisterung für den Adel liegt wohl hauptsächlich im Fehlen eines entsprechenden Gegenentwurfs begründet und dürfte nicht allzutief reichen, das sei zur Entwarnung gesagt. Unvorstellbar, dass diese Debatte auf diese Art geführt worden wäre, wenn Kaliber eines Schröder oder Fischer an der Regierung gewesen wären, deren Biographien die niedere Herkunft geatmet haben und die mit der Pflege der entsprechenden Legende ihr Image maßgeblich geprägt haben. Wo "Sozialdemokratie" aber von tatsächlich graugesichtigen und vollkommen uninispirierten Gestalten wie Steinmeier repräsentiert wird, wo Dauerbeleidigte wie Westerwelle als "Puffmutter der Wirtschaftsnutten" und "wandelnder Geschenkkorb" (Priol) die Republik verschachern, wo Philipp Rösler und Christina Schröder angeblich die "junge Generation" in der Politik verkörpern, wo die fröhlich herabhängenden Mundwinkel Merkels und ihre mitreißende Rhetorik das Maß aller Dinge sind, in einer solchen Atmosphäre kann der Adel völlig unbeeindruckt sein Comeback feiern und reaktionäre Ansichten geschickt mit edlen Bildern, Kokettieren mit Twitter und AC/DC-Shirt verbergen.
Wie fehlt in solchen Momenten doch Lafontaine, der den Finger in die Wunde legt! Wie fehlt der proletarische Charme, der Schröder - Agenda hin, Brioni-Anzug und Kanzler der Bosse her - stets auszeichnete! Wo Politik einfallslose Funktion wird, wo Leute wie Steinmeier und Merkel, die es unter den Größen der Republik maximal zum Kanzleramtsfunktionär gebracht hätten, da muss natürlich die einzig noch existierende Show besonders attraktiv erscheinen.