Gedenk-Tage haben so ihren Sinn darin, sich eine komplexe Angelegenheit ins Gedächtnis zu rufen und wenigstens einmal im Jahr darüber nachzudenken. Gesellschaften benötigen das, weil im hektischen Alltag so vieles an uns vorbei geht und die Zeit eine äußerst schnelllebige ist. Dies kann und darf aus meiner Sicht mit dem heutigen Holocaust-Gedenk-Tag nicht geschehen. Nicht um stetig rückwärts zu schauen, oder eventuelle ‚Schuldgefühle’ aufrecht zu erhalten, nein, um sich einer gesellschaftlichen Verantwortung wieder und wieder bewusst zu sein. Denn ein 'NIE WIEDER' kann sich nur aus dem Wissen um die Fakten und aus dem Erinnern heraus bilden. Die Stimmen, die die Ereignisse der NS-Zeit dem Vergessen zuordnen wollen, können viele Argumente entgegengehalten werden, zum einen ist auch nach einem ganzen Menschenleben nicht alles historisch aufgearbeitet, emotional ist das schon mal gar nicht geschehen und wenn wir heute den Blick schweifen lassen, so müssen wir, leider, zur Kenntnis nehmen, dass der Geist dieser monströsen Zeit immer wieder auftaucht und das nicht etwa in fernsten Winkeln dieser Welt, sondern ganz nah vor unseren Haustüren. Dem können wir nur durch unser Wissen und Fühlen etwas entgegen setzen, das aber standhaft und ohne zu Weichen. Ein weiterer Anlass für einen solchen Gedenk-Tag ist es den Opfern einen Platz in unserem Gedächtnis zu erhalten, auch wenn diesen dadurch keine Gerechtigkeit widerfahren wird, so können wir dem brutalen und völlig sinnfreien Morden wenigstens gedanklich eine Absage erteilen, und den Opfern einen Platz einräumen, der ihnen im Leben verwehrt wurde. Auch gedenken wir der Überlebenden, die mit schwer verletzten Seelen oftmals uns gütig ihre Hand reichten und wir nahmen diese häufig viel zu bedenkenlos und hielten das für so befreiend, uns dem Thema nicht mehr stellen zu müssen. Doch dem ist nicht so, dieser Tag hat eine solch unermessliche Bannbreite des Gedenkens, das für jeden von uns über 80 Millionen Deutschen mindestens ein Aspekt dabei ist, zu gedenken.
Am 27. Januar 2013, also heute, jährt sich die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee zum 68. Mal, doch dieser Tag ist mehr, wie schon angedeutet, mehr als ‚nur’ die Befreiung von Auschwitz, denn im Laufe der Jahrzehnte hat sich ‚Auschwitz’ auch zum Synonym des Massenmordes insgesamt an Juden, Sinti, Roma, Behinderten, Alten, Kranken und anderen ‚unliebsamen’ Personen entwickelt. Dies schmälert die Opfer von Auschwitz in keiner Weise, wenn wir so aller Opfer gedenken, aber doch auch wohl wissend um die Geschehnisse in Auschwitz und Birkenau. Um das von Deutschen hervorgerufene Leid an Millionen von Männern, Frauen und Kindern zu erfassen, benötgen wir die Zeit des Innehaltens, um auch nur für kurze Zeit, diese Tatsachen zu ertragen. Halten wir so für all die Opfer inne und versuchen wir uns der Ungeheuerlichkeiten des NS-Regimes bewusst zu werden. Ich weiß, dass das gar nicht so einfach ist, denn was sich deutsche Gehirne in dieser Zeit erdachten und dann an Millionen von Menschen ausführten, ist m.E. noch heute schier unerträglich zu begreifen. Mit Fassungslosigkeit möchte man sich von diesem Grauen abwenden und es der Perversion einer Zeit zuschreiben, die es heute so nicht mehr gibt. Das ist eine durchaus menschliche Reaktion, wenn wir dies als ‚losgelöstes’ Ereignis reduzieren wollen. Doch so einfach ist das nicht. Natürlich können wir die erschreckenden Ereignisse in Auschwitz und den anderen Todeslagern isoliert als ‚Ereignis’ der Geschichte betrachten, doch dem Gedankengut, dem diese Perversionen zu Grunde liegen können wir nicht auf die Geschehnisse es NS-Regimes reduzieren, da sie in vielen, viel zu vielen Köpfen weiter leben; zwar modifiziert durch die Zeit, in ihrer Konsequenz aber nicht weniger gefährlich sind. Ja, und hier müssen gerade wir Deutschen aufstehen und unsere Verantwortung aus der Geschichte heraus übernehmen und genau das benennen, was es ist, faschistoid und menschenunwürdig. Doch bevor wir uns dementsprechend erheben, sollten wir selbst in uns hineinschauen um nach Überresten von Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Intoleranz zu forschen. Denn diese Arbeit an uns selbst, kann einem niemand abnehmen und ist immens wichtig, denn bevor ich oder jemand anderes, den Finger auf die Wunde anderer legen kann, beziehungsweise darf, muss ich mir meiner eigenen Ressentiments und Vorurteile bewusst sein. Dies ist ein ganz wichtiges Unterfangen für sich selbst, aber auch für unseren dringend benötigten gesellschaftlichen Prozess. Denn auch wenn wir davon ausgehen, dass die erschreckenden Ereignisse um und in Auschwitz zum größten Teil aufgearbeitet sind, so sind es die Befindlichkeiten innerhalb der Gesellschaft nach fast 80 Jahren ganz und gar nicht; denn dieser Ungeist des Nationalsozialismus lebt auf ganz unterschiedlichen Ebenen weiter. Und wir machen es uns auch damit zu einfach, diesen Ungeist nur gewissen unverbesserlichen Glatzköpfen zuzuschreiben, manches Gedankengut sitzt weitaus tiefer in den Gehirnen und Seelen einer breiten Masse, als wir es uns selbst eingestehen wollen. Ja, es ist fatal, ein ausgrenzendes Gedankengut nur Randgruppen zuzuordnen, um dabei intolerante Strömungen aus der Mitte der Gesellschaft zu übersehen. Hier geht es nicht ohne Selbstreflexion oder einer inneren Aufarbeitung, um auch einer emotionale Aufarbeitung Raum zu geben, sollten wir uns öffnen, um dahingehend einen Diskurs zu führen, denn hier geht es nicht nur um das BEGREIFEN von Fakten, sondern auch um das ERFÜHLEN des Leidens und den damit verbundenen Konsequenzen der eigenen leidvollen Gefühle. Das heißt für mich, sich einem solchen Gedenk-Tag nicht nur rational zu nähern, sondern auch seine Emotionen dazu fließen zu lassen. Denn nur in einer solchen ‚Ganzheit’ können wir unsere deutsche Geschichte schultern und ihr heute mit Verantwortung begegnen und diese Verantwortung an die nächsten Generationen weitergeben. Auschwitz ist Ausdruck des Rassenwahns und das Kainsmal der deutschen Geschichte, sorgen wir dafür, dass niemand solch Leiden wieder erleben muss, weder im Heute noch in der Zukunft.