Holger Lendt: Lieber Sex statt Treue

Erstellt am 17. November 2011 von Newssquared @Oliver_schreibt

Holger Lendt: Lieber Sex statt Treue

Herr Lendt, Ihr Buch heißt Treue ist auch keine Lösung. Was ist so schlecht an der Monogamie?

Holger Lendt: Gar nichts. Sie ist eine wunderbare Lebensform. Das Buch wendet sich ja nicht gegen die Monogamie, auch wenn es über lange Strecken so aussieht. Sondern es wendet sich gegen das Dogma, das aus ihr gemacht wurde. Jedes Dogma schließt einen Teil von uns aus und das macht uns sehr unvollständig. Um es in Frage stellen zu können, müssen vor allem die Nachteile dargestellt werden. Das Liebesmodell der Monogamie scheitert regelmäßig sehr erfolgreich. Wenn man dem etablierten Paarberater Arnold Retzer glauben darf, sind 90 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen nicht monogam. Das ist ein verdammt hoher Prozentsatz. Eigentlich brauchen wir für diese Menschen ein neues Lebensmodell, weg von der Monogamie und dem alten Begriff der Treue, der nicht viel bringt.

Es ist also ein Buch für das Fremdgehen?

Lendt: Nein, denn Fremdgehen ist keine schöne Sache und wenig liebevoll dem Partner gegenüber. Wir haben das Buch gegen das Fremdgehen und für die Liebe geschrieben. Aber wir stellen uns die Frage: Warum müssen wir treu sein? Wenn man von der Wortbedeutung ausgeht und den Begriff von den Schlacken des Alltags befreit, ist Treue von der Wortherkunft her das, was eine Beziehung stark und fest macht. Das finden wir wunderbar. Unserer Meinung nach macht jedoch die Monogamie die Beziehung viel brüchiger und spröder. Unser Monogamie-Ideal verteufelt alles, was sexuell und sinnlich ist.

Fremdgehen nein, aber auch nein zur Monogamie? Das klingt nach einer Zwickmühle.

Lendt: Wir brauchen Flexibilität und Stabilität in der Liebe. Es ist nicht gleichzusetzen mit Fremdgehen, wenn sich zwei hinsetzen und besprechen: Wie wollen wir lieben? Wenn wir wirklich einen Menschen lieben, können wir monogam oder polyamor, aber immer individuell und exklusiv lieben. Die polyamoren Menschen, die ich kenne, lieben mehrfach exklusiv. So komisch sich das anhört. Wenn ich mit A zusammen bin, denke ich nicht an B oder vergleiche mit C. Das ist ein schöner Treuebegriff für uns. Mein Partner darf auch andere wollen, solange er mich weiterhin liebt. Das ist ein Gebot: «Liebe mich!» und kein Verbot: «Liebe keine anderen!»

Das hört sich an, als wäre Eifersucht schon vorprogrammiert. Wie lernt man damit umzugehen?

Lendt: Wir dürfen Eifersucht nicht als etwas Gott Gegebenes und Unabwendbares hinnehmen. Eifersucht ist kein klassisches Gefühl wie Freude, Trauer oder Überraschung. Eifersucht ist ein Sammelbegriff für viele verschiedene Gefühle. Wenn ich den Eifersüchtigen frage, was er für den Dritten im Bunde empfindet, kann er sich wüste Folterszenarien vorstellen. Das ist Wut. Wenn jemand das Gefühl hat, mein Partner entgleitet mir, ist das Angst und Trauer. Ein Sammelsurium von grundlegenden Emotionen. Wenn ich dagegen angehen will, sollte ich Eifersucht als Lehrmeister nehmen. Was sagt mir meine Verlustangst? Warum mache ich mein Selbstwertgefühl und Wohlbefinden so stark von jemand anderem abhängig? Und wie reagiere ich darauf? Kann ich daran wachsen?

Sie sind Paarberater. Mit welchen konkreten Problemen kommen die Menschen zu Ihnen?

Lendt: Es geht neben anderem schon viel um das Thema Untreue. Der für mich traurigste Fall ist immer, wenn zwei Menschen kommen und beide auf einem heißen Stuhl sitzen, weil beide bereits fremdgegangen sind. Sie bitten dann um Einzelsitzungen. Dann sitzt man da und darf nicht darüber sprechen und logische Konsequenzen daraus ziehen. Wenn beide bereits die Regeln gebrochen haben, müssten eher die Voraussetzungen geändert werden, als es unter gleichen Voraussetzungen wieder zu versuchen. Monogamie ist wunderbar, aber sie müsste erweiterbar, flexibler sein. Die meisten wechseln lieber den Partner als ihr Modell von Partnerschaft!

Die wenigsten Menschen leben in offenen Beziehungen. Und Polyamorie wird auch durch die Darstellung in den Medien eher als Kuriosum wahrgenommen. Sind das am Ende die besseren Formen des Zusammenlebens?

Lendt: Ich wäre ein schlechter Berater, wenn ich ein Modell favorisieren würde. Ich favorisiere, dass Menschen Entscheidungsfreiheit haben und wissen, ich hab mehr als eine Option. Die anderen Liebesformen werden aber leider gar nicht als lebbare Optionen wahrgenommen. Ich nehme bei der Beratung jede Position ein und frage auch immer: Wie wäre es, wenn Sie sich jetzt trennen? Was wäre daran schlimm, was würden Sie verlieren? Die Leute sind nicht mehr romantisch, wenn sie zu mir kommen, sie sind im Verhandlungsmodus, in einer kaufmännischen Art zu denken. Das ist auch logisch, weil die Paare meist Viertel nach zwölf zu uns kommen und nicht fünf vor zwölf. Wir haben deshalb ein Buch geschrieben für morgens um neun, wenn ich aufstehen will und mich frage, was ist eigentlich Liebe und Partnerschaft? Manchmal ist der Partner nämlich tatsächlich offen für ein anderes Modell und andere Spielregeln.

In einer klassischen Beziehung erfordert es Mut, seinem Partner das auch mitzuteilen.

Lendt: Ja, wer auch nur andeutet, dass er nicht-monogame Wünsche hat, wird im üblichen Dogma schnell kriminalisiert, aber man muss weg von der Schuldfrage. Wirklich schuld an der Schuld ist vor allem die Moral selber, weil sie diese Dogmen der Monogamie entwirft. Ich führe die Paare zu dem Punkt, an dem sie sich fragen: Was wollen wir miteinander, wer können wir füreinander sein? Was ist Liebe, was will die von uns? Wie würde ich gern lieben? Das ist meist nicht wie im Film. Julia Roberts muss Richard Gere in Pretty Woman nicht nach 20 Jahren die Fußnägel aus der Badewanne duschen. Da sieht man keinen Alltag.

Sexuelle Treue spielt für Männer und Frauen unterschiedliche Rollen. Männern scheint es wichtiger zu sein.

Lendt: Das liegt schon in der Erziehung. Jungs werden auch von den aufgeklärtesten Eltern noch als starke Männer erzogen, die weniger Gefühle zeigen. Aber fragen Sie mal eine Prostituierte. Eine Mata Hari oder das Mädchen Rosemarie. Die ganzen Industriemagnaten, die im Bett plötzlich plaudern. Denn Männern löst es das Herz, wenn sie Sex haben. Sie werden emotional über den Weg der Sexualität, deswegen ist es für sie als Zugang zur Emotion so wichtig, deshalb sind sie verletzter, wenn die Frau sexuell fremdgeht.

Verändert sich die Gesellschaft denn hin zu einer freieren Liebe und Sie haben das Handbuch dafür geschrieben?

Lendt: Was wir jetzt haben, ist leider ein Trend zur Belanglosigkeit in der Liebe. Entweder gibt es die Traditionalisten, die auf Treue pochen – auch viele junge Leute. Die verstehen dann aber unter Treue serielle Monogamie. Wenn der Partner untreu wird oder ich drohe untreu zu werden, halte ich meine Weste sauber, indem ich mich trenne. Aber das ist ja nicht treu, also fest und stark. Das sind genauso Wegwerfbeziehungen, wie bei den anderen die eine Sexparty hier und eine da besuchen. Das geht in Richtung emotionaler Skorbut, da fehlt auf Dauer ein Vitamin, da fallen einem die Zähne aus, das hat keinen Biss. Mit dieser Unverbindlichkeit landen wir auch mit der Liebe in der Konsumgesellschaft. Wir benutzen uns nur. Bei diesem Trend wollen wir dazwischen gehen und halten die Idee der Verbindlichkeit bei gleichzeitiger Freiheit hoch. Ich glaube, für dieses Buch ist es schwer, uns zu lieben. Wir spucken mehr als einem in die Suppe, weil wir eine verantwortungsvolle Haltung zur Liebe propagieren, aber kein Modell für alle empfehlen – so was kann es nicht geben.

Brauchen wir dann eine gänzlich neue Auffassung von Liebe?

Lendt: Wir zeichnen ein anderes, romantischeres Bild von der Liebe, denn wenn sich immer wieder Menschen «fremdverlieben», kann die Liebe an sich ja nicht monogam-exklusiv sein und Romantik war im Kern das: Grenzen sprengen, über das Bekannte hinausgehen. Es ist durchaus möglich, dass ich zwei, drei Menschen liebe oder dass ich jemanden liebe, aber nicht begehre. Wenn wir uns unserer Sehnsucht stellen und dieser dann vorsichtig und einvernehmlich mit allen Beteiligten zusammen nachgehen, können wir mit unserer eigenen Art zu lieben wachsen. Dann ist die Liebe unsere Lehrmeisterin – das nennen wir Philophilia, die Liebe zur Liebe. Wir betrachten dann Beziehungsfragen vom Standpunkt der Liebe aus, nicht durch eine Brille normativer Moral. Dann werden oft sehr kreative Lösungen sichtbar, die unter dem Dogma der Monogamie nicht mal gedacht werden dürfen. Das Dogma ist das Problem. Deshalb: Gäbe es bei uns ein Dogma, mehr als einen Menschen lieben zu müssen, dann hätten wir wohl ein Buch über die wundervollen Möglichkeiten der Zweier-Partnerschaft geschrieben.

Holger Lendt ist Diplom Psychologe und Blog-Autor bei ElitePartner.de.

Lesetipp: Treue ist auch keine Lösung. Ein Plädoyer für mehr Freiheit in der Liebe, von Lisa Fischbach und Holger Lendt, 256 Seiten, Pendo Verlag, 16,99 Euro.

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Monogamie – Lieber Sex statt Treue

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