Nachdem ich ein Trainingslager in der Höhe schon letztes Jahr auf dem Plan hatte (es sich dann aber leider zerschlug), wurde es dieses Jahr etwas und ich bin mega-glücklich darüber. Für alle, die das Engadin nicht kennen: Es ist ein Hochtal in der südöstlichen Schweiz im Kanton Graubünden. Das Base Level im Hauptort St. Moritz liegt bei 1800 m.ü.M. und ist dadurch perfekt für dieses Experiment geeignet. Ein Experiment ist es deshalb, weil die Datenlage alles andere als sauber geklärt ist. Ob ein Training in der Höhe überhaupt etwas bringt – da gehen die Meinungen weit auseinander. Hinzu kommt, dass es offenbar eine höchst individuelle Geschichte ist. Beim Einen sind fantastische Anpassungsreaktionen rasch zu erkennen, bei der Anderen passiert mehr oder weniger nichts (manchmal „leiden“ Athleten so sehr unter der Höhe, dass es einen positiven Effekt mehr als aufwiegt).
Letzteres ist bei mir schon mal nicht der Fall. Ich kann mich nur an einen Fall erinnern, bei dem ich als Kind mit meinen Eltern in einem Tag von zuhause (Bodensee, 400 m.ü.M.) nach Zermatt reiste und wir sogleich eine Skitour auf einen 4000er unternahmen (weil sich das Wetter verschlechterte). Das war dann auch für meinen Körper zu viel und mir wurde extrem übel (alle klassischen Symptome der Höhenkrankheit).
Aber hier ist es ja etwas komplett anderes. 1.800 Meter über dem Meer ist zuerst einmal nicht so dramatisch. Dann kann man die erste Zeit auf diesem Niveau bleiben und im Tal trainieren. Und schließlich sollte man es die ersten Anpassungstage (und im Grunde die gesamte Zeit) nicht übertreiben. Da hilft es, wenn man (1) über ein sehr gutes eigenes Körpergefühl verfügt oder (2) einen exzellenten Coach hat, der einen vor Ort betreut.
Es sind nämlich außer der Weltelite (v.a. Leichtathletik & Triathlon) jede Menge junge Sportler hier oben…und die tendieren ja gern zum Übertreiben und verfügen häufig (nocht) nicht über das nötige Quentchen Körpergefühl.
Talking about Elite: Da ist zum Einen die Squad von Star-Trainer Brett Sutton (u.a. sind Nicola Spirig und Daniela Ryf anwesend, wobei Nicola heute hinunter zum 5150 Zürich gereist ist und dort wahrscheinlich einmal mehr das ganze Feld – Männer eingeschlossen – demütigen wird). Der deutsche und holländische Kurzdistanz-Kader ist auch da (sehr nett, fern der Heimat die DTU-Trikots am Haus vorbeilaufen zu sehen). Heute Morgen kam mir bei meinem Long Run Richard Murray entgegen (und grüßte sogar!). Von der deutschen Langdistanz-Elite sind Patrick Lange und Laura Phillipp präsent (während Sebi lieber im benachbarten Livigno sein eigenes Süppchen kocht). Kurz: Man hat das Gefühl, dass man etwas verpasst, wenn man gerade nicht in St. Moritz trainiert.
Das aus Höhentrainings-Sicht entscheidende ist aber, dass es (1) nicht an besten Trainingsbedingungen mangelt (das Ovaverva-Bad ist 5 min. zu Fuß, die Leichtathletik-Bahn ganz 2 min.). Für mich als Naturliebhaber und Outdoor-Fan entscheidender ist jedoch, dass es „3 Milliarden“ der tollsten Trails auf diesem Planeten gibt – sowohl zum Trailrunning, als auch für’s MTB. Und da ich dieses Jahr nur noch XTERRA-Rennen anstehen habe, ist das perfekt für mich. Ganz schnell ist man dabei auf Höhen um die 2.500 Meter (z.B. Corviglia), es kann aber auch mal an den 3.000 Metern gekratzt werden (z.B. Piz Nair).
Und sonst so? Es ist so ein wenig die Stimmung wie in der Rennwoche in Kona. „Alle“ sind da, alle sind fit und alle trainieren wie die Irren. Man kann sich der positiven Energie kaum entziehen (aber wer würde das auch wollen?). In unserem Haus wohnen außer unserer 3er-WG noch jede Menge anderer Grüppchen aus aller Herren Länder. Wir haben eine komplett ausgestattete Küche, wodurch sich (1) die Kosten im Rahmen halten (die Schweiz ist ansonsten schier unbezahlbar, ein Liter Diesel kostet hier 1,85 CHF, ein Einkauf kommt schätzungsweise locker auf den doppelten Betrag wie zuhause), wir (2) kochen können wonach uns gerade ist und (3) wann wir wollen.
Gleichzeitig kann man nicht übersehen, dass St. Moritz eben auch St. Moritz ist. Die Dichte an sauteuren Supersportwagen ist gigantisch, ungeschminkte Damen sieht man nur bei den Sportlern (und ein paar versprengten Wanderern), die Luxusmarken der Welt haben alle eine Boutique in town und die Gulfstream Five’s dieser Welt segeln in der Tat erstaunlich häufig hier durch’s Tal zum Flughafen in Samedan.
Unsere Dreier-WG funktioniert tadellos, denn sowohl Sandrine, als auch Robert (Amerikaner) sind äußerst entspannte Zeitgenossen. Wir kochen gern zusammen, haben viel rund um das Thema Trainingslehre auszutauschen und machen auch die eine oder andere Einheit zusammen. Das Wetter ist soweit ein einziger Traum – wie geschaffen für mich, da es ja hier in der Höhen nie ganz so heiß wird, wie im Flachland. Die Beine sind auch gut, die Moral ist ausgezeichnet und so freue ich mich auf die weiteren Tage hier im Engadin.
Werbeanzeigen