Vor ein paar Tagen kam eine Sekretärin vom Krankenhaus mit irgendeinem Brief in mein Büro. Weil hier ein kleiner Scherz immer gut ankommt, sagte ich ihr in scherzhaft-vorwurfsvollem Ton, “Und mir habt ihr dieses T-Shirt nicht gegeben.” Sie trug nämlich das Hemd, das vor ein paar Monaten extra zum 25-jährigen Jubiläum von Br.Ansgar, dem ärztlichen Direktor, angefertigt worden war. Kurz danach konnte ich für das Krankenhaus eine Angelegenheit mit der Bank klären, und am folgenden Tag lag ein Umschlag auf meinem Schreibtisch, der eines dieser besagten Hemden enthielt. Das war mir etwas peinlich, denn deshalb hatte ich es nicht erwähnt. Ich bedankte mich per SMS bei Joshua, dem Krankenhausverwalter. Seine Antwort: “Ich habe es dir geschickt, damit du es am Samstag tragen kannst, wenn wir Ansgar am Flughafen abholen.”
Am Samstag treffen wir uns, um gemeinsam zum Flughafen zu fahren, ich trage das T-Shirt, aber Joshua nicht. Seine SMS war also auch ein Scherz gewesen. Ich bin anscheinend inzwischen überangepasst: In der Annahme, dass die Afrikaner gerne Personenkult machen, habe ich mir das Hemd mit dem Porträt des Chefs angezogen, während Joshua, der Afrikaner, in der Annahme, dass die Europäer solchen Personenkult ablehnen, ein ganz normales, kariertes Hemd trägt. Ich sage, “Jetzt habe ich extra die Kamera mitgenommen, damit wir ein Foto von uns beiden mit dem Hemd machen können. Und du trägst es nicht.” Wieder einmal hatte ich weder beabsichtigt, noch erwartet, was dann kam: Er lässt den Fahrer zu sich nach Hause fahren, holt dort seinen Büroschlüssel, dann fahren wir zum Krankenhaus, wo er in sein Büro geht, und mit dem besagten Hemd wieder herauskommt. Wir kommen gerade noch rechtzeitig zum Flughafen. Solange wir (außer Joshua und mir sind noch Ansgars langjährige Sekretärin und sein langjähriger Fahrer dabei, also in der Mehrheit Afrikaner) im Auto sind, kommt mir alles völlig normal vor. Aber als wir dann in der Abtei Kaffee trinken, hoffe ich inständig, dass jetzt kein Deutscher vorbeikommt und denkt, “Was ist denn das für ein Schleimer ?” Das Porträt von Br.Ansgar prangt nämlich unübersehbar auf meiner Hemdbrust. (Wenigstens die Blumen, die Br.Ansgar auf dem Foto hält, sind nicht von mir, sondern von der Sekretärin.)
Hoffentlich sieht mich jetzt kein Deutscher
Autor des Artikels : rsk6400
Zum Original-ArtikelErlebnisse eines deutschen Mönchs im Alltag auf Kuba.