Seelenkogel, Ramolkogel und Manigenbachkogel – drei Dreitausender für einsame Abenteuer in Obergurgl.
Österreichs höchstes Kirchdorf gilt als das Eldorado für Bergsteiger und als exzellenter Ausgangspunkt für Hoch- und Gletschertouren. Wen wundert’s, liegt Obergrugl doch auf fast 2.000 Meter Seehöhe und die umliegenden Dreitausender-Gipfel alle vor der Haustür.
Wir stellen dir zwei Hochtouren vor, auf die du direkt vom Ort Obergurgl aus starten kannst. Wer gut zu Fuß ist, schafft beide Touren locker an einem Tag und muss keine Übernachtung in einer Hütte einplanen. Willst du dir mehr Zeit nehmen, kannst du eine Nacht im Ramolhaus oder in der Langtalereckhütte verbringen.
Der einsame Grat: Über den Manigenbachkogel zum Ramolkogel
Den Manigenbachkogel und den Nördlichen Ramolkogel verbindet ein kaum begangener Grat. 3.314 und 3.427 Meter sind die beiden Gipfel hoch, zwei Kilometer voneinander entfernt. Der Grat zwischen ihnen: eine logische, wunderschöne Möglichkeit, die Berge zu kombinieren.
Der Wanderer darf sich auf eine einsame Unternehmung einstellen. Denn die Tour ist selbst unter den Einheimischen schon in Vergessenheit geraten. Unverständlich. Wird man doch mit abwechslungsreichem Gelände, tollen Ausblicken, feinen Kletterstellen und völliger Abgeschiedenheit belohnt.
Von Obergurgl auf den Manigenbachkogel
Wir starten direkt im Ortskern von Obergurgl und wandern vom südwestlichen Ortsrand am Weg Nr. 37 Richtung Ramolhaus. Nur langsam machen wir Höhenmeter. Der Steig zieht sich flach weit ins Tal hinein. Bis zur nicht bewirtschafteten Küppele Alm bleiben wir auf dem Weg.
An der Küppele Alm zweigt rechts der Weg Nr. 38 ab. Spätestens jetzt lassen wir die Zivilisation hinter uns. Die übrigen Wanderer gehen geradeaus Richtung Ramolhaus weiter. Wir nehmen den Steig 38 und folgen diesem ins Weixelmahderkar bis auf eine Höhe von etwa 2.500 m.
Kurz vor dem Gletscherbach, der über die saftigen Almwiesen döst, biegen wir ins weglose Gelände ab. Ab jetzt sind wir auf uns selbst gestellt und müssen uns eine logische Linie durch Berghang suchen.
Wir halten uns zuerst links des Baches und überwinden eine Felsstufe, über die sein Wasser plätschert. Der Untergrund wird immer unwirtlicher, das Gras karger. Fels und Schotter knarren unter den Schuhen. Das Geröll ist gut verfestigt und angenehm zu gehen.
Der Weg führt entlang des Baches vom Manigenbachgletscher, immer unterhalb der Lehnerkarschneide, bis man auf 2.780 Metern Höhe auf den Beginn einer markanten Moräne trifft.
Die Moräne eröffnet uns den Zutritt zum Gletscher. Ihr folgen wir, bis wir einen Schritt vom Fels auf Eis machen können. Wir legen die Steigeisen an. Auf das Seil verzichten wir, da der Gletscher komplett frei von Spalten ist.
Wir queren den Manigenbach-Ferner in einem weiten Linksbogen, bis wir an der Scharte zum Neederseiten-Ferner auf den Gipfelgrat des Manigenbachkogels stoßen. Die Steigeisen können wir wieder verpacken. Der Grat ist schneefrei und wird es bis zum Ramolkogel bleiben.
In leichter Kletterei (II) über mal größere, mal kleinere, mal ziemlich lockere Steinblöcke erreichen wir den ersten Gipfel der Tour.
Auf eigene Faust: Auf zum Ramolkogel!
Vom Manigenbachkogel können wir endlich den Weiterweg einsehen. In der Ferne machen wir den Ramolkogel aus. Ziemlich weit und ziemlich unwirtlich finden wir. Genau unser Ding! Vorfreude durchströmt uns. Wir sind positiv aufgeregt und leicht angespannt. Bisher haben wir niemanden getroffen. Ein wenig unheimlich ist sie schon, diese absolute Einsamkeit. Wir verdrängen die Unsicherheit und stürzen uns ins Abenteuer.
Der Grat zieht sich S-Förmig vom Manigenbachkogel bis zum Nördlichen Ramolkogel. Markierungen gibt es keine – nicht einmal Steinmännchen. Braucht es auch nicht. Die Route ist durch den Gratverlauf vorgegeben.
Der Grat verläuft zunächst horizontal, kurz müssen wir etwas abklettern, um dann wieder zum Neederseitenjoch (3.321 m) aufzusteigen. In einfacher Block- und Gratkletterei geht es mal bergauf, mal leicht bergab. Hin und wieder ist die Felsqualität ausgezeichnet, dann wieder grottenschlecht. Aber genau das macht die Tour so abwechslungsreich.
Eineinhalbstunden kraxeln und wandern wir am Grat. Dann erreichen wir den Nördlichen Ramolkogel.
Über das Ramolhaus zurück nach Obergurgl
Schon während der Gratwanderung haben wir das Panorama der Hohen Tauern bewundert, das wir jetzt in Ruhe genießen. Im Süden ziehen die Zungen des Gurgler- und Langtaler-Ferners ins Tal. Rund herum namhafte Gipfel wie die Hochwilde, der Schalfkogel oder der Seelenkogel.
Wir steigen an der Südseite des Ramolkogels zum Ramolhaus ab. Der Weg ist hier wieder mit roten Punkten und Steinmännchen markiert. Einmal noch müssen wir kurz über den Gletscher, bevor wir nach einem kurzen Gegenanstieg unterhalb des Ramoljochs die Schutzhütte erreichen.
Nach 13 Kilometern und 1.700 Höhenmetern sind wir müde. Peppeln uns mit Suppe und Kaffee auf, bevor wir den acht Kilometer langen Abstieg zurück nach Obergrugl antreten.
Fazit: Eine wundervolle, einsame und abwechslungsreiche Tour, die man wegen ihrer Länge und kleineren Schwierigkeiten nicht unterschätzen sollte!
Tourdaten
- Anstieg: 1.730 Meter
- Abstieg: 1.730 Meter
- Länge: 21,5 Kilometer
- Schwierigkeit: schwer (lange Tour, Klettern bis II)
- Ausgangspunkt: Obergrugl
Überschreitung des Hinteren Seelenkogels (3.472 m)
Wir starten die Tour mit einer Gondelfahrt auf die Hohe Mut. Für uns ziemlich ungewöhnlich, da wir sonst jeden Meter zu Fuß gehen. Aber im Hinblick auf lange Tour und die unbeständige Wettervorhersage ist dies heute für uns eine willkommene Möglichkeit, den Zustieg ins Rotmoostal zu verkürzen.
Von der Hohen Mut ins Rotmoostal
Die Gondel verlassen wir einer Gruppe stauender Japaner, die sich sogleich bewaffnet mit Kameras auf den Weg zum nächsten Schnappschuss machen.
Wir folgen dem Sattel von der Hohen Mut zwischen Gaisbergtal und Rotmoostal Richtung Rotmoosferner. Der Weg verläuft weitestgehend auf gleicher Höhe bis kurz vor den Gletscher.
Die beeindruckende Obergurgler Geltscherwelt zieht uns gleich in ihren Bann. Beim Blick auf den Gaisbergferner schwelgen wir in Erinnerungen an die gewaltige Skitour auf die Seewerspitze. Ach war das schön, den pulvrigen Gletscher hinter zu fahren.
Außer uns sind nur ein paar Schafherden hier oben unterwegs. Die vielen restlichen Wanderer bleiben an der Hohen Mut Alm hängen oder wandern zur Schönwieshütte hinab.
Nach 15 Minuten Fußmarsch verlassen wir den Sattel und wandern auf gleichbleibender Höhe auf eine markante Moräne zu. Der Weg ist hier noch gut gekennzeichnet. Unser nächster Zwischenstopp ist eine offizielle Stempelstelle.
Vom Rotmoostal auf das Rotmoosjoch
Nach der Stempelstelle gehen folgen wir dem Rücken der Moräne noch etwa 100 Meter. Dann biegen wir rechts ins Gletscherbecken ab. Wir verlieren ein paar Höhenmeter, bevor wir uns durch das weglose Gelände über Gletscherspalten und Steinfelder einen logischen Weg zum Beginn des Gletschers suchen.
Auf den Steinplatten kommt von allen Seiten das Wasser in zahlreichen Rinnsalen und Bächen heruntergeflossen. Immer wieder kennzeichnen Steinmänner den besten Wegverlauf.
Kurze Zeit später stehen wir am Gletscher und legen die Steigeisen an. Da der Gletscher aper ist und keine großen Spalten mehr übrig sind, entscheiden wir uns den Gletscher ohne Seil zu queren.
Gemächlich wandern wir über den Gletscher Richtung Rotmoosjoch. Der Weg über den Gletscher ist bis unterhalb des Rotmoosjochs relativ flach. Während wir gemütlich vor uns hintappen, liegt auf einmal ein verrostetes Fahrrad vor uns. Wir können es kaum glauben, wie ein Fahrrad auf eine Höhe von 3.000 Metern kommt. Wir fragen uns wie es da hingekommen ist und witzeln, dass Ötzi sein Radl vergessen hat.
Später im Hotel erfahren wir von Chef und Bergführer Ronald Ribis, dass früher über das Rotmoosjoch und den Rotmoosferner ein Schmugglerweg verlaufen ist. Anscheinend sind seit dieser Zeit immer noch vier Schmuggler verschollen. Vermutlich werden auch sie bald vom Gletscher freigeben und erwecken damit die Erinnerungen an die damalige Schmugglerzeit.
Kurz vor den riesigen Brocken eines Felssturzes unterhalb des Scheiberkogels, zweigen wir vom Gletscher Richtung Rotmoosjoch ab. Das schaut auf den ersten Blick überhaupt nicht einladend aus und während wir so auf die Wand zugehen fragen wir uns, wo da wohl der Weg drüber führen wird.
Je näher wir der Wand kommen, umso deutlicher sehen wir die Stahlseile und Treppen des eingerichteten „Klettersteigs“. Über ein steiles Schneefeld geht’s die letzten Höhenmeter zur seilversicherten Stelle. Vom Rotmoosjoch eröffnet sich uns der Blick auf die Zwickauer Hütte und auf den Hinteren Seelenkogel. Dieser liegt heute in den Wolken verborgen.
Über die Zwickauer Hütte auf den Hinteren Seelenkogel
Wir steigen vom Rotmoosjoch zum dahinterliegenden Gletscher ab und queren ihn in Richtung Zwickauer Hütte. Diese ist gut zu sehen. Auch dieser Gletscher ist aper und wir verzichten wieder auf das Seil.
Über eine weglose Gletschermoräne aus Geröll und riesigen Felsblöcken suchen wir uns einen Weg zur Zwickauer Hütte.
Wir statten ihr aber keinen Besuch ab, sondern gehen gleich zum Grat Richtung Hinteren Seelenkogel. Der Weg zum Seelenkogel ist mit roten Punkten markiert und gut ausgetreten. Über die Wegfindung brauchen wir uns hier also keine Gedanken machen. Wir können die Aussicht ins Meraner Becken, auf den Gletscher und den gewaltigen Grat genießen.
Über mäßig anspruchsvolleres Gehgelände und leichte Kletterstellen schlängelt sich der Weg am Grat empor. Der Grat zieht sich eine gefühlte Ewigkeit und einen Blick Richtung Gipfel können wir aufgrund der Wolken selten erhaschen. Der Aufstieg ist durch die wechselnden Wander- und Kletterstellen abwechslungsreich.
Wir wandern und klettern eine ganze Weile am Grat, bis wir endlich den Gipfel des Hinteren Seelenkogels erreichen. Am Gipfel sind wir wieder vollkommen alleine. Für uns ein wahrer Genuss. Außerdem werden wir damit belohnt, dass die Wolken für einen kurzen Moment den Blick auf die herrliche Berglandschaft freigeben. Vor allem der Langtalferner und der Blick auf die Hochwilde faszinieren uns.
Vom Hinteren Seelenkogel zurück nach Obergurgl
Vom Gipfel müssen wir nur wenige Meter absteigen bevor wir auf den Seelenferner erreichen. Hier legen wir Steigeisen an und Binden uns ins Seil. Das würden wir jedem empfehlen, denn der Seelenferner ist von tiefen Spalten durchzogen. Wir folgen zuerst dem flachen Rücken, bis zur Scharte unterhalb des Mittleren Seelenkogels. Von hier geht es über eine steile Flanke hinunter ins Gletscherbecken.
Wer noch Zeit und Motivation hat, kann anstatt abzusteigen über den Grat des Mittleren Seelenkogels noch weiter auf dessen Gipfel klettern. Der Abstieg erfolgt dann auf der anderen Seite über einen weiteren Seitenarm des Seelenferners ins Langtal.
Wir erreichen bald das Ende des Gletschers. Von hier geht es noch mal über eine riesige Moräne bevor wir ins saftig grüne Langtal gelangen. Das Tal macht seinem Namen alle Ehre. Der Weg durchs Langtal zur Langtalereckhütte zieht sich ewig. Dafür entschädigt die herrliche Aussicht auf den Ramolkogel, den Langtalferner und die Hochwilde. Immer wieder bleiben wir stehen und staunen über diese einmalige Landschaft.
Unsere Füße schmerzen und wir sind richtig froh, als wir endlich die Langtaleckhütte sehen. Die Bergschuhe sind für uns mittlerweile vollkommen ungewohnt, da wir nur sonst fast ausschließlich mit leichten Trailrunning-Schuhen unterwegs sind.
Der Senior von der Langtalereckhütte nimmt uns mit ins Tal. Wir sind froh, dass wir die 10 Kilometer bis Obergurgl nicht zurücklaufen müssen.
Deshalb empfehlen wir einen Tag auf der Langtaleckhütte zu übernachten bevor ihr ins Tal absteigt, oder am nächsten Tag zum Ramolhaus weiter aufzusteigen und eine Rundtour durch Obergurgl zu planen.
Tourdaten
- Anstieg: 1.150 Höhenmeter
- Abstieg: 1.300 Höhenmeter
- Länge: 18 Kilometer
- Schwierigkeit: schwer
Mehrtages-Wanderung: Kombination der beiden Touren
- Tag 1: Von Obergrugl über den Rotmoosferner und das Rotmoosjoch zur Zwickauerhütte
- Tag 2: Von der Zwickauerhütte über den Hinteren Seelenkogel zur Langtalereckhütte
- Tag 3: Von der Langtalereckhütte über das Ramolhaus, den Ramolkogel und den Manigenbachkogel nach Obergurgl
Unser Unterkunfts-Tipp
Als Basis in Obergurgl empfehlen wir dir das Hotel Alpenaussicht. Das Haus ist ein Familienbetrieb mit dazugehörigem Bauernhof. Die Gäste dürfen deshalb zum Frühstück und zum Abendessen Produkte aus eigener Produktion genießen. Besonders gut hat uns das Rührei aus den Eiern vom Hof der Familie geschmeckt. Chef Ronald ist sogar Bergführer und bietet seinen Gästen auch geführte Touren und Hochtourenkurse an!