Ignatius von Loyola hat 14 Punkte formuliert, wie man Hochs und Tiefs im geistlichen Leben erkennen und damit umgehen kann. Er nennt dies die „Regeln zur Unterscheidung der Geister“, was aber ein etwas irreführender Begriff ist. Die geistlichen Hochs nennt er „Trost“; die geistlichen Tiefs „Untrost“. Ich bevorzuge die englischen Begriffe Consolation und Desolation.
Diese Regeln müssen eingeübt werden, wenn sie ihr Potential entfalten sollen. Die Regeln 1-4 etablieren die Begrifflichkeiten. Die restlichen Regeln geben Handlungsanweisungen. Besonders erwähnen möchte ich:
- Regel 5: In Zeiten der Desolation keine tiefgreifende Entscheide fällen. Das ist ein wirklich weiser Rat. Ignatius bezieht ihn ausschliesslich auf Entscheide, die das geistliche Leben anbelangen (wenn ich mir vorgenommen habe, regelmässig die Bibel zu lesen, dann soll ich von meinem Vorhaben in Zeiten der Desolation nicht abrücken). – Ich vermute, dass diese Regel sinnvollerweise auch auf andere Lebensbereiche angewendet werden kann: Wenn ich mir vorgenommen habe, regelmässig Sport zu treiben / wenn ich in meinem sozialen Umfeld gerade eine Krise habe / wenn ich …, dann soll ich auch in Zeiten der Desolation dran bleiben. Natürlich gibt es Situationen, wo Veränderung wirklich not-wendig ist, gerade weil sie einen Zustand der Desolation festigen; die Regeln 5 und 13 (!) würde in einem solchen Fall nahelegen, sich einer erfahrenen Drittperson anzuvertrauen, die einen etwas objektiveren Blick auf die Situation werfen kann.
- Die Regel 8 weist darauf hin, dass es im geistlichen Leben völlig normal ist, wenn es auf und ab geht. Man hat nicht ständig Höchstgefühle, manchmal fühlt man sich fern von Gott, vernimmt sein Reden nicht, ist wenig motiviert usw. usf. Dafür gibt es viele Gründe, die nicht unbedingt mit eigenem Versagen zu tun haben (s. Regel 9).
Nun meine Zusammenfassung dieser Regeln. Ein Buch von Timothy Gallagher („The Discernment of Spirits: An Ignatian Guide for Everyday Living“) und seine Serie von Podcast (ebenfalls Englisch) haben mir einen ersten Zugang zu Ignatius‘ alten Regeln ermöglicht. Hier kann man den ganzen Wortlaut in der deutschen Übersetzung nachlesen.
Die «Unterscheidung der Geister» nach Ignatius von Loyola
- Die Person, die sich in ihrer Grundausrichtung von Gott wegbewegt, wird darin vom Feind ermutigt und vom Geist Gottes entmutigt.
- Die Person, die sich in ihrer Grundausrichtung zu Gott hinbewegt, wird darin vom Feind entmutigt und vom Geist Gottes ermutigt.
- Mit Consolation werden Bewegungen auf Gott hin bezeichnet. Die Liebe für Gott und Mensch wird entfacht, das Gute in jeder Form wächst in uns.
- Desolation ist die der Consolation entgegengesetzte Regung. Ein oft auftretendes Element im Zusammenhang mit Desolation ist ein allgemeines Gefühl der Ohnmacht und des grundsätzlichen Versagens.
- In Zeiten der Desolation soll man niemals seine Vorsätze für geistliche Disziplin ändern oder davon ablassen.
- In Zeiten der Desolation soll man jedoch durchaus zusätzliche geistliche Disziplinen ausüben, wie zum Beispiel Gebet, Meditation, Examination (z.B. so) oder Busse.
- Zeiten der Desolation sind Zeiten der Prüfung, in denen Gottes Nähe nicht spürbar ist; trotzdem ist Gottes Gnade genügend stark, um der Versuchung Widerstand leisten zu können.
- Zeiten der Desolation sollen mit Geduld ertragen werden im Wissen darum, dass nach der Desolation immer wieder die Consolation folgt.
- Eine Zeit der Desolation kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel eigenes Versagen (dann kann die Desolation ein Ruf zur Umkehr sein), eine Prüfung Gottes (dann kann die Desolation zur Erkenntnis der eigenen Gefährdung dienen), eine vertiefte Hinführung zu einem demütigen Herzen (weil wir erkennen, dass wir es ohne Gottes Hilfe nicht schaffen).
- Zeiten der Consolation sollen dazu genutzt werden, sich auf die nächste Zeit der Desolation vorzubereiten.
- In Zeiten der Consolation soll man demütig bedenken, wie gänzlich man in der nächsten Desolation von Gottes Gnade abhängig sein wird. In Zeiten der Desolation soll man dagegen bedenken, dass Gottes Gnade genügt, um in der Zeit der Desolation bestehen zu können.
- Wenn sich eine Zeit der Desolation ankündigt, dann soll man in den Anfängen der Versuchung eine feste Haltung gegen den Feind einnehmen (der im Grunde ein schwacher Feigling ist).
- In Zeiten der Desolation soll man sich einem erfahrenen Seelsorger anvertrauen.
- Man soll die Punkte identifizieren, in denen der Feind angreift, und Massnahmen zur Stärkung dieser Punkte ergreifen.
(Foto:myself)