Biopics funktionieren immer. Ganz gleich, um welche Person es sich handelt, deren Leben da verfilmt wird. Meistens geht es um unnahbare oder historische Figuren; Menschen, denen man normalerweise einfach nie begegnet, um sie zu fragen, wie ihr Leben so ist. Der Zuschauer ist also neugierig und erhofft sich, tiefe Einblicke in die Seele dieser ominösen Person. Besonders neugierig ist man bei Personen, die irgendwie geheimnisvoll daher kommen. Alfred Hitchcock zum Beispiel ist als „Meister des Suspense“ einer der berühmtesten Filmregisseure der Welt gewesen. Eine Biographie über ihn gewährt nicht nur Einblicke in seinen Geist, sondern auch Einblicke in die Welt des Films. Das funktioniert also doppelt so gut, wie andere Biopics. So hofft man zumindest.
1959, Hollywood. An diesem Abend feiert der neue Film von Alfred Hitchcock seine Premiere. Die Menschen überschlagen sich mit Lob und man ist sich einig, „Der unsichtbare Dritte“ ist Hitch's erfolgreichster und bester Film. Der Meister lässt sich feiern und ruht sich dann eine Woche aus. Doch dann kommt bereits die Unruhe. Er muss weiter machen. So begibt er sich auf die Suche nach einer neuen Idee. Zahlreiche Angebote von großen Studios muss er ablehnen, weil sie ihn schlicht nicht interessieren. Der Fall des Serienkillers Ed Gein beschäftigt derzeit die Medien und auch Hitch ist vollkommen fasziniert von diesem Mann. Er will einen Film über dieses Thema machen, denn ihn interessieren die Motive und das Denken des Killers und dessen unerklärliche Affinität zu seiner Mutter. Zufällig gerät ein Exemplar des neuen Romans „Psycho“ in seine Hände, der genau diese Fragen beantwortet. Hitchcock ist sich sicher, das muss sein nächster Film werden. Die Studiochefs sind nicht so begeistert. Paramount hält es für geschmacklos und ist sich sicher, dass so einen Film niemand sehen will. Auch, wenn Hitchcock ein absoluter Meister seines Fachs ist, ist er nicht immer ein Garant für kommerziellen Erfolg gewesen. Zu schmerzich sitzt noch die Erinnerung an den gefloppten „Vertigo“.
Hitch ist aber wild entschlossen und finanziert den Film kurzerhand selbst. Doch bevor es losgehen kann, muss die Zensurbehörde das Siegel erteilen und noch mehr Schwierigkeiten stehen Hitch bevor. Schnell wird allen Beteiligten klar, dass „Psycho“ in jeder Hinsicht sein gewagtester Fiml werden wird.
Biopics müssen sich entscheiden, was sie sein wollen. Wollen sie ein eigenes Kunstwerk sein, oder die Geschichte eines Menschen so erzählen, wie sie geschehen ist? Mit etwas Kreativität und Witz könnte man aus „Hithcock“ einen spannenden Thriller ganz im Sinne des Meisters höchstpersönlich kreieren. Man könnte mit Einstellungen und Musik und Schatten spielen und aus der Biographie ein kleines Meisterwerk machen. Oder man hält sich an die Konventionen des Genres und erzählt die Geschichte abseits der Filmkulissen. „Hitchcock“ hat sich für letzteres entschieden und macht dabei eine sehr solide Figur. Sehr sachlich und geradezu nüchtern erzählt der Film die Produktionsgeschichte von „Psycho“ und suggeriert vor allem ein Bild: Auch Hitchcock kocht nur mit Wasser.
Interessant ist hier vor allem die Beziehung Hitchcocks zu seiner Frau Alma Reville, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Arbeit ihres Mannes auszuüben schien. Auch seine Obsession gegenüber seinen weiblichen Hauptdarstellern wird thematisiert, allerdings ohne die Oberfläche zu durchbrechen. Sehr gelungen ist die Auswahl der Darsteller.
Anthony Hopkins trägt zwar jede Menge Make-Up, schafft es aber, die Figur zu füllen und gleichzeitig seinen eigenen Charme mit einfließen zu lassen. Besonders gut gefallen hat mir Scarlett Johansson, die übrigens nicht nackt zu sehen ist, dafür aber um so überzeugender die blonde Newcomerin spielt, die bisher nur überaus brave Rollen verkörperte und nun in einem waschechten Horrorfilm das Opfer des beängstigensten Duschmordes der Filmgeschichte wird. Ihr reduziertes Spiel macht diese Figur sehr glaubhaft. Die Szene, in der man sieht, wie der Mord gedreht wurde, zeigt sehr anschaulich, wie es zu dieser Intensität kommen konnte und ist einer der Höhepunkte von „Hitchcock“.
„Hitchcock“ ist kein großer Film, der den Horizont erweitert, oder eben einen Thriller aus der Biographie eines Mannes macht, der nur mit Morden beschäftigt ist. Allerdings schafft er es, ohne die Illusion zu zerstören, zu zeigen, wie Filme gemacht wurden und wie viel mehr dazu gehört, als nur die Kamera drauf zu halten. Vor allem vermag der Film das Verlangen und die Lust zu steigern, sich nicht nur mal wieder „Psycho“ anzusehen, sondern endlich mal all die Hitchcockfilme nachzuholen, die man bisher noch nicht gesehen hat. Dort findet man dann übrigens auch die tiefen Einblicke in den Geist und die Seele von Alfred Hitchcock.
Hitchcock (USA, 2012): R.: Sacha Gervasi; D.: Anthony Hopkins, Helen Mirren, Scarlett Johansson, u.a.; M.: Danny Elfman; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.