Historisch korrekt? Faktencheck “Vikings” (Gastbeitrag)

Erstellt am 8. April 2015 von Stefanie Norden @StefanieNorden
"Vikings": Die Serie um den legendären Wikingerkrieger Ragnar Lothbrok stammt aus der Schmiede des History Channel. Deswegen muss es doch historisch korrekt sein, oder? Oh nein. Obwohl ich die Wikingerzeit spannend finde, ist es wahrlich nicht mein Spezialgebiet. Deswegen übergebe ich im heutigen Faktencheck das Wort an Philipp Roskoschinski, der sich wesentlich besser auskennt und "Vikings" auf die historische Probe stellt:

"Vikings". Oder: Wie Filmproduzenten aus Hollywood-Sehgewohnheiten Geschichte machen

Die Serie startet „Eastern Baltic, 793 A.D.". Ein Däne, unser strahlender Hauptheld, steht mit moderner Szene-Frisur (an den Seiten ausrasiert, auf dem Kopf lang und hinten zum Zopf gebunden) auf einem Schlachtfeld. Gegen wen er kämpft, warum er dort ist oder wie er dort hingelangte, erfährt man weder jetzt, noch später. Er hat den Kampf gerade überstanden, seine strahlend blauen Augen blitzen noch vor Freude, an ihm klebt das Blut seiner Feinde. Die Kleidung unseres Dänen sagt nichts über den zeitlichen Hintergrund der Szene aus. Er trägt irgendwelche auf alt getrimmten Lederklamotten, die wahrscheinlich seit einigen Jahrzehnten reihum in „historischen Produktionen" eingesetzt wurden, bei denen es gilt, „Barbaren" darzustellen. Das ist aus der Sicht des Filmausstatters sicher vorteilhaft, mit diesen Kleidungsrequisiten werden Germanen, Wikinger, Sachsen (King Arthur), Kelten und sonstige undefinierte Räuber seit jeher eingekleidet - und für MadMax war das Zeug bestimmt auch brauchbar.

Nun wird unser Held angegriffen. Ein irgendwie zerzauster und bärtiger Mann läuft herbei und hackt wild auf unseren Dänen ein, welcher, ganz virtuoser Krieger der er ist, den bärtigen Mann lächelnd und mühelos niederstreckt. Der bärtige Angreifer trägt ebenfalls einen Klassiker der barbaresken Requisite - eine Art Lederrüstung, bestehend aus einem Hemd, auf das mit Hohlnieten quadratische Lederstücken aufgenietet wurden. Interessant am Rande: Während des Kampfes wechselt die Bekleidung des Angreifers zwischenzeitlich zweimal kurz. In zwei Einstellungen, bei denen die Kämpfenden in einer entfernteren Totale gezeigt werden, trägt er plötzlich ein Kettenhemd. Wow. Fliegender Rüstungswechel im laufenden Kampf! Das Schwert, mit dem unser rüstungswechselnder Angreifer schließlich erstochen wird, ist eine merkwürdige Fantasierequisite, die eher an antike Schwertformen gemahnt, denn an wikingerzeitliche. Die ganze Szene ist in ihrer Requisitenausstattung so grauenvoll, dass der geneigte Zuschauer sich entspannt zurücklehnen könnte, und den nun folgenden Fantasyfilm einfach genießen. Aber weit gefehlt: "Vikings" präsentiert sich selbst folgendermaßen: „The HISTORY® original series Vikings transports us to the brutal and mysterious world of Ragnar Lothbrok (Travis Fimmel), a Viking warrior and farmer who yearns to explore - and raid - the distant shores across the ocean. ( http://www.history.com/ shows/vikings/about)". Ah ja. Ganz klar wird in der Präsentation der Eindruck erweckt, der HISTORY Channel zeige uns hier eine fundierte Unterhaltungsserie über die wilde Zeit der wilden Wildinger. Wikinger meine ich. Und wie nach der Eröffnung zu erwarten war - die mediale Katastrophe nimmt ihren Lauf.

"Vikings" und der Wikingeralltag

Glücklicherweise sind der Hauptheld Ragnar und sein Freund die einzigen beiden Überlebenden der großen Schlacht (von allen Teilnehmern auf beiden Seiten). Ragnar sieht vor seinem inneren Auge noch, wie Odin über das Schlachtfeld schreitet und einen gefallenen Krieger, gekleidet in ein Rüstungsutensil, welches aus Lederriemen, Stahlringen und Kegelnieten besteht (und wohl besser zu einem Sado-Maso-Fotoshooting gepasst hätte) nach Valhalla empor hebt. Und schon geht es zurück nach Hause (wie die beiden nur zu zweit ein ganzes Schiff segeln, bleibt unerklärt). Dort angekommen wird alltägliches Leben gezeigt. Ragnars Frau und Tochter fischen, während Ragnar mit seinem Sohn den Kampf übt. Die Darstellung des Kampftrainings von Jugend an ist zu begrüßen. Die Gegend, eine norwegisch anmutende Fjordlandschaft mit hohen und schneegipfeligen Bergen, jedoch nicht, da es sich ja bei Ragnar Lodbrok um einen Dänen handeln soll. Aber Fjorde gehören bei Wikingern eben dazu, dass weiß der Produzent ganz genau.

Fröhlich und in Leder und Felle gekleidet (Barbaren eben) geht Ragnar nun mit seinem Sohn zum Thing. Dort will er den „Earl" fragen, wohin die nächsten Raubzüge gehen sollen. Nein, wir haben uns nicht verhört. Der Herr des Dorfes, dass übrigens Kattegatt (!!) heisst (eigentlich ein Meeresgebiet zwischen Dänemark und Schweden), trägt tatsächlich einen englischen Adelstitel. Zwar mag es sein, dass der Titel „Earl" sich aus dem dänischen „Jarl" entwickelte - 793 ist dies jedoch abwegig und einfach totaler Nonsens. Wie der Name des Dorfes. Aber Kattegatt klingt so schön skandinavisch. Zu Hause wird Ragnars Frau zwischenzeitlich von zwei vagabundierenden Lüstlingen in ihrem eigenen Hause überfallen und streckt die beiden mühelos und waffengewandt nieder. Das kostet sie nicht mal einen Schweißtropfen. Gegendert ist die Serie also auch. Was will das Herz mehr?

Wissensstand ist relativ

Im Dorf angekommen, präsentiert Ragnar seinem Freund Rollo einen magischen Gegenstand: einen Kompass! Eine hölzerne, schwimmende Sonnenscheibe zeigt im Licht durch einen Schattenwurf die Richtung. Und nun kommt es: Wenn die Sonne nicht scheint, gibt es einen magischen Stein, durch den trotzdem Licht fällt, wenn man ihn vor die Wolken hält. Solch ein Sonnenkompass mit Polarisationsfilter (Sonnenstein) wird in spätwikingerzeitlichen Schriftquellen verschiedentlich erwähnt, archäologische Nachweise gibt es jedoch nicht. Experimente ergaben, dass bei vollständig bedecktem Himmel, Schneetreiben o.ä. ein solcher Polarisationsfilter auch nichts nutzen würde. Dennoch ist die Einführung dieses sagenumwobenen Sonnensteines in eine Unterhaltungsserie legitim - allerdings nicht zum hier in der Serie benutzten Zweck. Die Produzenten wollen den Zuschauer nämlich glauben machen, nur mit diesem Artefakt könnten die Dänen westlich nach England segeln. Ein sagenumwobenes Land, das noch kein Skandinavier je gesehen hätte. Und nicht nur das - alle halten es für unmöglich nach Westen zu segeln, das Meer sei dort endlos! Und Land gäbe es dort nicht! Wir sehen also, dass die Geschichte des Kolumbus ihren Ursprung im Dänemark des späten 8. Jahrhunderts hatte. Es rollen sich die Fußnägel. Bereits das Nydam-Schiff, das etwa um 320 datiert und damit 500 Jahre vor dem Beginn der Wikingerzeit, war hochseetauglich. Der englische Grabfund von Sutton Hoo (7. Jahrhundert) zeigt deutliche skandinavische (vendelzeitliche) Einflüsse. 742 plünderten Skandinavier bereits das vor der schottischen Küste gelegen Burghead Fort. Die Beispiele ließen sich lang fortsetzen. Die skandinavische Welt war 793 längst mit der Existenz der britischen Inseln vertraut. Nur in Kattegatt wusste man offenbar nichts davon. Der „Earl", welcher in Kleidung und Erscheinung wie ein hochmittelalterlicher Adliger und Lehnsherr Hof hält, glaubt jedenfalls nicht an die Existenz der britischen Inseln und verbietet Fahrten dorthin (weil offensichtlich, in krassem Mißverhältnis zu den überlieferten wikingerzeitlichen Sozialverhältnissen, der „Earl" der Chef von Allem und Jedem ist). Dies sei alles Fantasterei. Also ziehen Ragnar und seine Gefolgsleute heimlich allein los gen Westen - um England zu entdecken.

Nun braucht Ragnar ein Schiff. Daher besucht er den Bootsbauer Floki, welcher an den Berghängen der Fjorde lebt. Ragnar bringt ihm noch einen Batzen Geld für einen eisernen Anker und freut sich auf sein neues Wellenpferd. Zwischenzeitlich erfahren wir noch, dass Ragnars Freund Rollo in Ragnars Frau verliebt ist, ein dramatisches Charakterzerwürfnis deutet sich bereits an, zumal Rollo es auch ablehnt, sich jemals Ragnars Kommando zu unterstellen, sondern ihm ebenbürtig zu sein verlangt. Reichlich narrativer Zündstoff also. Und dann schwimmt auch schon Ragnars neues Schiff auf dem (dänischen ?!) Fjord, beobachtet von einem Schergen des „Earls".

Das "Vikings"-Fazit

Das war die erste Folge der ersten Staffel der vielgerühmten Fernsehserie „Vikings". Was bleibt? Eine Filmproduktion, die nahezu alle Erkenntnisse der modernen Archäologie und Geschichtswissenschaften außen vor lässt. Erbärmliche Requisite, völlig falsche Darstellungen skandinavischer Sachkultur, skandinavischen Wissensstandes und skandinavischer Sozialkultur der frühen Wikingerzeit - schlimmer geht es bald nicht mehr. Natürlich soll eine Fernsehserie unterhalten. Natürlich kann nicht jedes Stück Requisite eine exakte Replik archäologischer Funde sein. Aber mit diesem Machwerk zeigen die Produzenten, dass sie sich ihrer Verantwortung der Produktion einer als nur teilfiktional angepriesenen Fernsehserie in keiner Form bewusst sind. Falsche Informationen werden sich bei den Zuschauern festsetzen und dort falsches Wissen vortäuschen - Bilder sind ein mächtiges Medium. Insgesamt schade und sehr traurig, denn probate Requisite wäre nicht teurer als Fantasyklamotten und auch mit guten geschichtlichen Informationen ließe sich ein spannender Plot weben. Fazit: Total daneben.

Philipp Roskoschinski, Jahrgang 1978, ist Prähistorischer Archäologe und langjähriger aktiver Living-History-Darsteller. Er berät und stattet historische Medienproduktionen aus und ist schriftstellerisch tätig. Daneben arbeitet und forscht und fach-publiziert er auf dem Gebiet der Archäologie der nördlichen Elbslawen und des frühmittelalterlichen Ostseeraumes.