Hirnwichserei

Saftiger Titel – ich weiss. Ich habe ihn nicht selbst erfunden, er ist das Produkt eines italienischen Philosophieprofessors namens Giulio Cesare Giacobbe, der damit sehr eindrücklich beschreibt, wie Menschen sich selbst in ihrem eigenen Kopf so dämliche Gedanken machen, dass ihre Wahrnehmung nichts mehr mit der Realität gemein hat und sie sich selbst blockieren.

Ich benutze diesen Ausdruck immer wieder in meinen Seminaren, weil ich weiss, dass er im Kopf meiner Teilnehmer hängen bleibt, weil er so “stark” ist. In den letzten Tagen haben mich sehr viele Briefe von Lesern und ehemaligen Teilnehmern erreicht, die allesamt mit Hirnwichserei zu tun haben, deshalb möchte ich ihnen gerne diesen Artikel widmen. Hirnwichserei betreiben wir immer dann, wenn wir anfangen darüber nachzudenken, was jemand anders wohl gerade denkt und wie wir uns verhalten müssten, damit unser Verhalten zu dem passt, was der andere vielleicht möglicherweise erwartet. Dabei kommt es häufig vor, dass wir uns in diesen Gedanken so sehr im “für und wider” sowie in den möglichen Möglichkeiten verstricken, dass wir am Ende schon regelrecht paranoid sind und uns in uns selbst im Kreis drehen, anstatt einfach zu handeln oder unser Gegenüber zu fragen.

Genau deshalb nennt man es auch Hirnwichserei: Weil es nur im eigenen Kopf stattfindet und nichts mit einem anderen zu tun hat.

Der häufigste Fall von Hirnwichserei ist die sogenannte Schüchternheit: In fast allen Fällen, die mir in den letzten 15 Jahren begegnet sind, waren die sogenannten “Schüchternen” deshalb schüchtern, weil sie sich unglaubliche Gedanken darüber gemacht haben, was andere über sie denken könnten. Sie sahen jemanden, den sie interessant fanden und sofort ging es mit der Hirnwichserei los. Fragen wie: “Was denkt der/die über mich?” oder “Was wird diese Person von mir erwarten?” oder natürlich auch direkte Spekulation, dass dieser Mensch ohnehin vergeben sei oder sich auf keinen Fall für einen interessieren könnte, beschäftigen den Schüchternen so sehr, dass er sich nur noch mit diesen Gedanken beschäftigte anstatt mit dem Menschen vor ihm. Lieber hinwichst der Schüchterne vor sich hin, anstatt die Wahrheit herauszufinden und dem anderen eine Chance zu geben.

In Gesprächen mit Schüchternen fällt immer wieder auf, dass der Schüchterne sich überhaupt nicht mit der anderen Person beschäftigt – er interessiert sich überhaupt nicht für den anderen, sondern nur für sich. Alle Fragen drehen sich um einen selbst – nicht um den anderen: Was muss ich tun? Was wird von mir erwartet? Was denkt er/sie über mich? Ob er/sie mich mag oder mögen könnte? Es ist, als würde man in einem Gespräch zu jemandem sagen: “Genug über mich geredet – reden wir über Dich: Wie findest Du mich?”

Nicht einmal habe ich gehört z.B. “Was er/sie wohl für ein Mensch ist?” oder “Wie er/sie wohl küsst?” oder “Ob er/sie wohl gerne lacht – und worüber?” diese Fragen allerdings hätten doch möglicherweise die Wirkung, dass wir neugierig auf diesen Menschen werden und versuchen, es heraus zu finden anstatt bei uns selbst zu bleiben und uns in Selbstmitleid und Wahnvorstellungen zu suhlen.

Wenn Du, lieber Leser, also das nächst mal verzweifelt bist, dann prüfe doch einfach mal, wie viel Deine Verzweiflung tatsächlich mit der Realität zu tun hat oder ob Du nur Hirnwichserei betreibst… gäbe es Möglichkeiten? Könnte man die andere Person, deretwegen Du Dich gerade völlig verrückt machst, nicht einfach fragen oder ansprechen und so herausfinden, woran man ist? Und wenn man damit etwas “kaputtmachen” würde, wäre es dann nicht gut so?

Merke: Wenn zwei Menschen zusammenkommen sollen, dann muss (!) es genügen, dass sie sich freundlich, offen und humorvoll begegnen. Wenn es notwendig ist, sich zu verstellen, zu verstecken, zu tricksen oder zu manipulieren klingt das nach einer ziemlich anstrengenden Zukunft…



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