Hinter dem Hochglanzprojekt

Ein - von Roberto J. De Lapuente redigierter - Erfahrungsbericht und Gastbeitrag zum Thema Bürgerarbeit.

Die Ingolstädter Öffentlichkeit ist seit Wochen aus dem Häuschen: die oberbayerische Großstadt wurde zum Modellstandort für die Bürgerarbeit gekürt und darf ab 2011 vom Bund losgeeiste Gelder zur Finanzierung etwaiger Bürgerarbeitsplätze verwerten. Natürlich überschlägt man sich in den Berichten und Kommentaren, in Interviews und Analysen; etwas wie Aufbruchsstimmung breitet sich aus, endlich dürfe man ein imposantes Projekt initiieren. Eine Chance für Langzeitarbeitslose sei das, hier zeige sich der aktivierende Sozialstaat - darüber geben die wenigen Ingolstädter Medien ein gleichgeschaltetes Erscheinungsbild ab. Bürgerarbeit ist modern und fabelhaft, etwas das man erfinden müsste, wenn es nicht schon erfunden wäre.

Es entstand nebenher der Eindruck, als wäre aus dem hiesigen Jobcenter ein Hort des Lächelns und der Glückseligkeit entsprossen. Eine Stätte, in der man mit Langzeitarbeitslosen endlich etwas behutsamer, verständnisvoller, kurz gesagt: menschlicher umgehe. Da meine es jemand richtig gut mit den Leistungsempfängern, war zwischen allen Zeilen herauslesbar. Bürgerarbeit: der große, sanftmütige, sorgsame Wurf! Der Ein-Euro-Job, dieses entwürdigende Instrument zum Statistiklifting, sei quasi tot - es lebe das gerechtere Modell: die Bürgerarbeit von der Leyens! Der gute Ruf ist indes kein Zufallsprodukt, denn auf genau so ein poliertes, gewienertes Image ist man angewiesen, um diesen aufgemotzten Ein-Euro-Job, der mit allerlei für die Öffentlichkeit unsichtbaren Schikanen verbunden ist, ins rechte Licht zu rücken.

Tritt man aber dann ein in jene Informationsveranstaltung, die durch Einladung nebst Rechtsfolgebelehrung anberaumt wurde, erscheint man also dann am Ort des Geschehens, in der Cafeteria des Jobcenters nämlich, so ist von der Hochglanzfassade wenig übrig. Referenten nehmen einen in Empfang, Leute, die das Leid dieser Welt, und ihres Berufstandes im Besonderen, in grantige Gesichtsfurchen zu tragen scheinen. Mit arroganter Miene werden Anwesenheitslisten gefüllt und Teilnehmer auf Plätze verwiesen. Der menschelnde Sozialstaat tritt zurück, um knallharten Fakten Raum zu verleihen, die der Öffentlichkeit entweder gar nicht oder nur verfälscht mitgeteilt wurden. Das schöne Äußere bröckelt, wenn man hinter Schulbänken lümmelt, um von zwei Herrschaften, die bislang niemals in die Bredouille der Arbeitslosigkeit, des Wertloswerdens geraten sind, erklärt zu bekommen, was Bürgerarbeit für den Erwerbslosen konkret heiße, wie die eigene kurzfristige Zukunft aussehen werde.

Im Vorfeld zur Bürgerarbeit, während der sogenannten Aktivierungsphase, belehrte man das Publikum, müsse sich rege beworben werden. Kein neuer Erkenntnisgewinn - das regeln Eingliederungsvereinbarungen, regelt damit das SGB II, in dem von solchen Vereinbarungen salbadert wird, schon heute. Und um Kunden des Jobcenters, die schon seit Jahren nur auf der Couch sitzen um dem TV-Programm zu frönen - nein, das ist keine Flapsigkeit, so hieß es wortwörtlich! -, wieder Initiative einzuflößen, böte man außerdem unentgeltliche Praktika an. Vier Wochen lang treibe man dort den Müßiggang aus den müden Knochen.
Alleinstehende Erwerbslose haben sich überdies, ganz gleich wie alt sie sind, fortan bundesweit zu bewerben. Auf Ingolstadt alleine könne die Suche für diese Klientel nicht mehr beschränkt bleiben, hieß man die stutzige Zuhörerschaft. Auf Schautafeln mahnte man Flexibilität an, drängte man zur Bereitschaft, auch landesweit nach Stellen zu forschen. Denn die allerletzte Option sei die Bürgerarbeit, die nur jene zugeteilt bekämen, die nicht im regulären Arbeitsmarkt eingegliedert werden könnten.
Und erst einmal in Bürgerarbeit, erläuterte man letztlich, würde eine stetige Begutachtung des Kunden stattfinden. Wirkt er mit, engagiert er sich, zeigt er guten Willen? Die Androhung folgte stante pede: sollte die Mitwirkungsbereitschaft dann fehlen, sollte der persönliche Arbeitsvermittler Rügen seitens des Arbeitgebers mitgeteilt bekommen, so drohen Sanktionen. Überhaupt stünde man dann in noch engerem Verhältnis zu seinem Vermittler - der in der Öffentlichkeit angepriesene Motivationstrainer existiert nicht als solcher, er ist niemand anderes als der Arbeitsvermittler, den man bisher sowieso schon aufsuchen musste. Überhaupt werden Eingliederungsvereinbarungen auch weiterhin abgeschlossen - auch der Bürgerarbeiter muß regelmäßig seine Bewerbungsbemühungen nachweisen. Die wöchentliche Arbeitszeit, erfährt man ganz nebenbei, betrage zwischen 30 und 40 Stunden - von den der Öffentlichkeit genannten 20 bis 30 Wochenarbeitsstunden wollten die Referenten nichts wissen. So wie vom zu erwartenden Arbeitslohn auch - auch da wusste man nichts Konkretes zu erzählen. Mit gekonnter Schnodderigkeit beschlossen die Referenten die Runde, nicht ohne vorher noch Einladungen für den Folgetag auszuteilen - nebst Rechtsfolgebelehrung selbstredend. Schließlich habe die Aktivierungsphase umgehend anzulaufen!

Das ist also das moderne Antlitz der Bürgerarbeit! Arbeitslose, die man bundesweit vermitteln will, die man aus ihrem sozialen Umfeld rausreißen würde, weg von ihrer Familie, von Freunden, von der Heimat. Sanktionsandrohungen schon im Vorfeld, bevor man überhaupt in der Bürgerarbeit steckt. Die Furcht vor Repressalien wird zum behördlichen Mittel, zum Verwaltungsakt geradezu. Es muckt schon keiner auf, wenn man ganz schamlos von auf der Couch lümmelnden TV-Guckern spricht, anstatt von Beziehern von ALG II - da hockt das Häufchen Arbeitsloser zusammen und muß es erdulden, mit Stereotypen und Vorurteilen belegt zu werden. Man darf wahrscheinlich noch froh sein, dass der clementinische Wortschatz nicht bemüht, dass also nicht von Parasiten und Schmarotzern gesprochen wird. Potenziellen Bürgerarbeitern stellt man in Aussicht, bei etwaigen Ärgernissen, die dann und wann in jedem Arbeitsverhältnis auftreten können, die Klappe zu halten, um nicht sanktioniert zu werden - ein Bürgerarbeiter darf sich keinen Gerechtigkeitssinn leisten, Selbstvertrauen schon gar nicht. Denn das könnte ihn eine dreimonatige Sperre einhandeln. Mund halten und erdulden! Und abends Bewerbungen schreiben, obwohl das aussichtslos ist, denn genau das ist ja der Grund, warum man in der Bürgerarbeit landete: weil am regulären Arbeitsmarkt nichts ging!

Von der Leyens Konzept muß als gewaltige Gängelungsmaßnahme begriffen werden - in den Kommunen finden sich zweifelsfrei willfährige Helfer. Das moderne, fürsorgliche Sozialstaatskonzept, das von der Leyen persönlich wie anhand der Bürgerarbeit versinnbildlichen will, ist nichts weiter, als die Enthemmung letzter Barrieren, als die Anfachung von Sanktionswut, als Spurt-er-oder-spurt-er-nicht?-Gesinnungsschnüffelei! All das wird der Öffentlichkeit, die naiverweise in der Bürgerarbeit eine Chance für eigentlich Chancenlose wittert, vorenthalten - sie darf nicht wissen, wie man Erwerbslosen die Bürgerarbeit "schmackhaft" macht. Sie darf auf keinen Fall erfahren, durch welche Mittel der hohe Krankenstand bei Arbeitslosen zustandekommt. Durch Verängstigung nämlich, durch das Verursachen kafkaesker Aussichtslosigkeit, wie jener, bald drei Jahre unter vollen Rechtfertigungsdruck zu stehen - selbst im "Berufsleben". Und durch die Verschärfung despektierlichen Benehmens natürlich!

Die Bürgerarbeit ist tatsächlich eine Chance: eine Chance, Arbeitslose weiter in die Enge zu treiben...

Derjenige, der diese Erfahrung machen mußte und sie mir zur Aufarbeitung reichte, bittet indes darum, anonym zu bleiben.


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