Himmel hilf, ich werde peinlich!

Schuld daran ist einzig und alleine dieser grottenschlecht geschriebene Zwillings-Ratgeber, den ich mir derzeit als Vorbereitung auf meine nächste Artikelserie bei swissmom zu Gemüte führe. Auf jeder fünften oder sechsten Seite schauen mich herzige Babies aus sanften Kulleraugen an, dazwischen steht geschrieben, wie wunderbar es doch ist, wenn die Kleinen die grosse Welt erobern. Schaue ich vom Buch auf, geistert in meinem Kopf Prinzchens Zwilling herum, dessen  winziges Herzchen leider bereits nach den ersten anstrengenden Schwangerschaftswochen zu schlagen aufgehört hat und obschon die Sache schon längst weit hinter mir liegt, frage ich mich mit nicht allzu leiser Wehmut: “Was wäre gewesen, wenn…?” 

Derart emotional aufgeladen zwingt mich der leere Kühlschrank zu einem Kurzbesuch in der Migros, wo vor mir an der Kasse eine Mama mit zwei kleinen Jungs ist. Keine Zwillinge, aber dennoch unglaublich…na ja, also, wie soll ich sagen…so…hmmm….also ja…Mist, dann sag’ ich eben, wie es ist: Sie sind zuckersüss und hinreissend und was einem sonst noch so an Adjektiven in den Sinn kommt, wenn man so kleine Menschen sieht. Und ehe ich mich versehe, ist es rausgerutscht: “Ihre zwei Jungs sind einfach umwerfend herzig”, sage ich zu der Mama, die vollkommen gestresst ist, weil sie versucht, ihre Einkäufe so schnell als möglich zu verstauen und gleichzeitig ihren Zweijährigen nicht aus den Augen zu verlieren. Kaum ist es gesagt, könnte ich mich selber ohrfeigen. Jetzt bin ich also auch eine von denen, die sentimentales Gebrabbel von sich gibt, wenn sie kleine Menschen sieht. Zugegeben, ich hab’ damit gerechnet, dass es früher oder später so kommen wird, aber so früh schon?

Ich weiss genau, wie das enden wird, in fünfundzwanzig oder dreissig Jahren, wenn ich müde und verschrumpelt an der Bushaltestelle sitzen werde. “Ach, wie süss doch ihre Kinder sind”, werde ich zu der Mutter sagen, die mit ihren Kleinen auf den gleichen Bus wartet. Sie wird mich müde anlächeln und ich werde fortfahren: “Eine schöne Zeit ist das, wenn sie noch so klein sind. Geniessen Sie es, es geht so schnell vorbei.” Die junge Mutter wird höflich nicken und nichts sagen, also werde ich fortfahren: “Ich hatte selber auch fünf. Wunderschöne Babies waren das, das können Sie mir glauben. Und so lieb. Haben fast vom ersten Tag an durchgeschlafen, waren immer so brav und hilfsbereit…Die schönste Zeit meines Lebens.”

Nur mit Mühe wird sich die junge Mutter, die gerade versuchen wird, ihren sperrigen Kinderwagen durch die noch immer nicht kinderwagenfreundlich gestaltete Bustür zu zwängen, ihre bissige Bemerkung verkneifen können, aber denken wird sie ganz bestimmt: “Sentimentale alte Kuh, warum hilfst du mir denn nicht, wenn du doch genau weisst, wie es ist?”

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