Bingen (internet-zeitung) - Sie gilt als bekannteste Mystikerin des Mittelalters, „deutsche Prophetin“ sowie Patronin der Sprachforscher und Naturwissenschaftler: Hildegard von Bingen (1098–1179). Die adlige Nonne wirkte als Naturforscherin, schreibende Ärztin, Heilerin, Komponistin, Malerin, Theologin, Mystikerin, Biologin, Psychologin und Äbtissin. Bereits zu Lebzeiten verehrte man sie wie eine Heilige und bezeichnete sie ehrfurchtsvoll als „Tischgenossin Gottes“. Trotz mehrmaliger Prüfung hat man sie bisher nicht formell heiliggesprochen. Ungeachtet dessen wird sie im römischen Kalender als heilig erwähnt. Das 68-seitige Taschenbuch „Hildegard von Bingen. Die deutsche Prophetin“ des Wiesbadener Autors Ernst Probst schildert ihr ereignisreiches Leben. Der Titel ist bei „GRIN Verlag für akademische Texte“ als E-Book im PDF-Format und als gedrucktes Taschenbuch erhältlich.
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Leseprobe aus "Hildegard von Bingen":
1151 hatte Hildegard eine neue Auseinandersetzung mit geistlichen Amtsträgern. Der Mainzer Erzbischof Heinrich I. und der Bremer Erzbischof Hartwig I. von Stade (1118–1168) verlangten, Hildegards enge Vertraute Richardis von Stade solle das neue Kloster Rupertsberg verlassen. Ausgerechnet Richardis, die gewissermaßen als persönliche Referentin bzw. Assistentin von Hildegard agierte, deren Schönheit und Klugheit sie beeindruckte und der sie in „voller Liebe“ zugetan war.
Die damals ungefähr 30 Jahre alte Richardis von Stade war die Tochter der gleichnamigen Gräfin Richardis von Stade (um 1090–1151), die Hildegard sehr bei ihrer Klostergründung auf dem Rupertsberg geholfen hatte. Außerdem war die junge Richardis die Schwester des Bremer Erzbischofs Hartwig I., der ihr das Amt der Äbtissin in Bassum bei Bremen vermitteln wollte. Doch die 52-jährige Hildegard wollte ihre engste Mitarbeiterin nicht verlieren und verweigerte deren Freistellung.
„In den Ereignissen um Richardis zeigt sich, dass auch die große Prophetin ein Mensch aus Fleisch und Blut war und in einer Situation großer Enttäuschung und Verletzung allzu menschlich reagierte“, heißt es auf der Internetseite „Land der Hildegard“. Als Richardis bat, das Kloster Rupertsberg verlassen zu dürfen, war Hildegard davon tief getroffen, enttäuscht und verletzt.
Nach Ansicht von Hildegard strebte Richardis aufgrund ihrer vornehmen Herkunft nach der Würde eines größeren Namens, um die Mutter einer vornehmen Kirche genannt zu werden. Das begehre sie aber nicht um Gottes, sondern um weltlicher Ehre willen. Über die wahren Gründe von Richardis erfährt man in der Literatur nichts.
Weil Hildegard ihre wichtige Mitarbeiterin Richardis nicht ziehen lassen wollte, wandte sich deren Bruder, der erwähnte Bremer Erzbischof Hartwig I., an seinen Mainzer Amtskollegen Erzbischof Heinrich I. Letzterer richtete an Hildegard mahnende Worte: „Dies tragen auch wir dir sowohl kraft der Autorität unseres geistlichen Amtes, als auch kraft unserer Vaterschaft auf und zwar erlegen wir es dir gebieterisch auf, dass du sie augenblicklich den Bittenden und Begehrenden zu Ihrer Leitung stellst“.
Einer solchen Anweisung konnte sich Hildegard eigentlich nicht widersetzen, aber sie tat es dennoch und antwortete „im Namen Gottes“: „Der klare Quell, der nicht trügerisch ist, sondern gerecht, spricht: Die Gründe, die für die Bevollmächtigung dieser jungen Frau angeführt wurden, sind vor Gott wertlos, denn ich, der Erhabene ... habe sie nicht geschaffen und gewählt, sondern sie ergaben sich aus der ungeziemenden Verwegenheit unwissender Gemüter“.
Der Mutter von Richardis, der Gräfin von Stade, drohte Hildegard brieflich mit „bitteren Seufzern und Tränen“ für den Fall, dass diese weiter „die Äbtissinnenwürde“ für ihre Tochter „begehre“. Doch alle Bemühungen von Hildegard, den Verbleib von Richardis im Kloster Ru-pertsberg zu erreichen, blieben erfolglos. Richardis lehnte das Ansinnen ihrer adligen Familie nicht ab und brach nach Bassum auf, wo man sie als Äbtissin einsetzte.
Selbst in dieser aussichtslosen Lage gab Hildegard noch nicht auf und flehte den Bremer Erzbischof Hartwig I. brieflich an: „Jetzt höre mich, da ich unter Tränen und Drangsal zu deinen Füßen liege ... Schicke meine geliebte Tochter wieder zu mir zurück!“ Auch diese eindringliche Bitte blieb unerhört.
Nun wandte sich Hildegard an die damals allerhöchste Instanz auf Erden, nämlich an Papst Eugen III. Doch dessen Antwort kam einer indirekten Absage gleich. Hildegard erkannte nun schmerzhaft, dass sie Richardis verloren hatte. In einem letzten Brief teilte Hildgard ihrer ehemaligen Mitschwester Richardis ihre Gefühle mit: „Schmerz steigt in mir auf. Der Schmerz tötet das große Zutrauen und den Trost, den ich an einem Menschen besaß. ... der Mensch (soll) sich nicht nach einer hochgestellten Persönlichkeit richten, der wie eine Blume vergeht. Das habe ich aus Liebe zu einem edlen Menschen außer Acht gelassen ... Nun sollen alle mit mir klagen, die Schmerz erleiden, der meinem Schmerz gleicht, die aus Gottesliebe solche Liebe im Herzen und in ihrem Gemüt zu einem Menschen trugen, wie ich sie dir gegenüber hegte. Er wurde ihnen in einem Augenblick entrissen, wie auch du mir abwendig gemacht wurdest ... Gedenke deiner unglücklichen Mutter Hildegard, damit dein Glück nicht versiege“. Man kann sich ausmalen, wie sich die junge Äbtissin Richardis nach dem Lesen dieses anklagenden Briefes ihrer ehemaligen Vertrauten Hildegard fühlte.
Lange erfreute sich Richardis von Stade nicht an ihrem Amt als Äbtissin in Bassum. Sie starb bereits bald nach ihrem Amtsantritt einen plötzlichen und frühen Tod. Danach erhielt Hildegard einen Brief des Bremer Erzbischofs Hartwig I., in dem dieser die Nachricht über den Tod seiner Schwester übermittelte: „Ich melde dir, dass unsere Schwester, die meine, allerdings auch die deine ... den Weg allen Fleisches angetreten hat. Als sie alles in christlicher Gesinnung empfangen hatte (die letzte Ölung), verlangte sie aus ganzem Herzen unter Tränen nach deinem Kloster zurück“.
Der plötzliche Tod von Richardis hat Hildegard sicherlich hart getroffen. Ungeachtet dessen zeigte sie noch immer kein Verständnis für die Entscheidung zu deren Weggang, was im Antwortbrief an den Bruder von Richardis, den Bremer Erzbischof, zum Ausdruck kam: „Höre! Gott nahm sie so eifersüchtig in Besitz, dass die Lust der Welt sie nicht umgarnen konnte. ... Die alte Schlange aber wollte sie trotzdem durch ihre hohe Abkunft abspenstig machen. Doch der höchste Richter zog diese meine Tochter an sich und entzog ihr allen menschlichen Ruhm“.
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