HILDA WAR DA

Susanne und Joachim leben seit fast einem Jahr glücklich zusammen. Da meldet sich Susannes frühere Freundin Hilda zu Besuch an. Sie ist schön, intelligent und erfolgreich … und spannte damals Susanne ihren ersten Freund Jens aus. Wie wird es diesmal enden?

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“Wie wär’s mit einem Glas Wein als Schlaftrunk?” fragte Joachim und sah Susanne, die sich in die Sofaecke gekuschelt hatte, zärtlich an.

“Hmm, ja, gut”, stimmte sie zu und seufzte glücklich. Sie wusste es jetzt: Joachim war der Mann ihres Lebens. Sie sah ihm nach, wie er in die Küche ging, und das Herz wurde ihr weit vor Liebe. Er sah nicht nur gut aus mit seinen braunen Augen, dem dunklen Haar und dem Grübchen im Kinn, er war auch rundherum nett, hatte Humor und darüber hinaus breite Schultern zum Anlehnen.

Das Telefon klingelte störend in ihre Zweisamkeit. Rasch hob sie ab und meldete sich.

“Susi, wie geht es dir? Hier ist Hilda. Es ist ziemlich lange her, dass wir voneinander gehört haben, aber jetzt komme ich für zwei Wochen nach Hamburg, teils beruflich, teils privat. Keine Lust auf ein unpersönliches Hotelzimmer. Kann ich bei euch wohnen? Du weisst, dass ich mich nicht so gut mit meinen Eltern verstehe.”

“Woher hast du denn meine Telefonnummer?” platzte Susanne heraus.

“Carola hat sie mir verraten. Und auch, dass du seit fast einem Jahr mit einem tollen Mann zusammenlebst. Ich bin sehr gespannt auf deinen Joachim!”

“Warum wohnst du nicht bei Carola?” zögerte Susanne.

“Carola wird zu dem Zeitpunkt nicht in Hamburg sein.” Richtig, Carola wollte einen Fortbildungskurs in Berlin machen. Warum hatte Carola bloss Hilda von Joachim erzählt?

Und dann schämte sich Susanne. Hilda und sie waren einmal eng befreundet gewesen. Sicher, Hilda hatte ihr damals ihren ersten Freund Jens ausgespannt, aber war das nicht Schnee von gestern? Hilda konnte sich geändert haben. “Klar kannst du bei uns wohnen”, sagte sie deshalb herzlich, “wir haben eine sehr bequeme Schlafcouch. Wann genau kommst du?” Sie notierte Datum und Uhrzeit und versprach: “Wir holen dich vom Flughafen ab.”

“Danke, das ist lieb von euch, bis dann, Susi.”

“Bis dann, und guten Flug.”

Joachim kam mit der geöffneten Flasche Wein und zwei Gläsern zurück. Während er einschenkte, informierte ihn Susanne: “Wir bekommen Besuch. Von Hilda.”

“Wer ist Hilda?”

“Eine frühere Freundin. Sie lebt seit drei Jahren in New-York. Nun kommt sie für zwei Wochen nach Hamburg und möchte bei uns wohnen. Es ist dir doch recht? Verzeih, ich hätte dich natürlich fragen sollen.”

Er reichte ihr ein Glas hinüber und gab ihr einen Kuss: “Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn wir vorher darüber gesprochen hätten, zumal ich nichts dagegen gehabt hätte, aber das ist kein Beinbruch. Erzähl mir ein bisschen von ihr, ja?”

Da war er wieder, dieser Kloss im Hals. Welcher Teufel hatte sie geritten, als sie Hilda zusagte? Und das auch noch, ohne vorher mit Joachim zu sprechen?

“Also”, begann sie, “um es gleich zu sagen, Hilda ist wahnsinnig attraktiv, intelligent und selbstbewusst. Früher habe ich sie ungemein bewundert. Du kennst mich, ich selbst bin eine Bohnenstange mit Sommersprossen, langweilig blonden Haaren und viel zu grossen Füssen. Damals war ich zu allem Überfluss noch platt wie eine Flunder. Bitte, lach’ nicht, ich war total verzweifelt. Hilda hat mich überall hin mitgeschleift, sie liebte Partys.” Auf denen sie der Star und ich das Mauerblümchen war, dachte sie und spürte den altvertrauten Stich. Sie dachte auch, dass es eigentlich um Jens nicht schade gewesen war, er war total langweilig, und heute konnte sie sich nicht einmal mehr an seine Gesichtszüge erinnern. Es war vor allem Hildas Verrat gewesen, der geschmerzt hatte. Sie hatte dann sehr schnell gemerkt, dass Hilda nicht nur ihr den Freund ausspannte. Sobald sie einen halbwegs gutaussehenden Mann sah, wollte sie ihn haben. In der Angelegenheit interessierte Hilda nur der Sieg. Wenn es ihr gelungen war, den Mann zu kapern, liess sie ihn fallen wie eine heisse Kartoffel. Nach der Geschichte mit Jens hatten sie sich seltener gesehen, und Susanne war erleichtert gewesen, als Hilda nach ihrem Studium nach Amerika ging.

Und wenn Hilda sich nun nicht geändert hatte? Wenn sie ihre Verführungskünste auch bei Joachim ausprobieren würde? Würde Joachims Liebe zu ihr, Susanne, stärker sein als die Anziehungskraft, die Hilda auf die Männer ausübte? Eins wusste sie: Wenn sie Joachim auf diese Weise verlor, würde es unendlich mehr schmerzen als bei Jens. Sollte sie ihn warnen? Aber wie sah das aus? Als ob sie ihm nicht vertraute? Ihr war, als stünde sie plötzlich vor einem schwindelerregenden Abgrund.

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Am Flughafen sank Susannes Mut noch ein bisschen mehr. Sie stellte fest, dass Hilda mit ihren saphirblauen Augen, dem weissblond schimmernden Haar und der perfekten Figur noch schöner war, als sie sie in Erinnerung hatte. Hilda umarmte zuerst Susanne und dann Joachim, hakte sich dann bei beiden unter und meinte fröhlich: “Holen wir mein Gepäck!”

Während des Abendessens versprühte sie Geist und Charme. Unter einem Jetlag schien sie nicht zu leiden. Als sie von New-York und ihrer erfolgreichen Arbeit in der PR-Abteilung eines grossen Unternehmens erzählte, richtete sie sich fast ausschliesslich an Joachim. Normal, sagte sich Susanne. Wenn es um New-York ging, konnte sie nicht mitreden. Joachim dagegen hatte ein Jahr in der New-Yorker Filiale seiner Bank gearbeitet. Trotzdem kam sie sich zunehmend provinzlerisch vor mit ihrem Wunschberuf als Kindergärtnerin. Irgendwie war das Gespräch jetzt bei Heirat und Kindern angelangt: “Bloss keine Kinder”, sagte Hilda lachend und hob voll Abwehr die sorgfältig manikürten Hände. “Kinder sind schmutzig, laut und uninteressant.”

Joachim sah kurz zu Susanne hinüber und lächelte ihr zu. Es war ein kurzer, tröstlicher Augenblick der Zweisamkeit, der viel zu schnell vorüberging, denn schon ging es um Politik und Wirtschaft. Wieder beteiligte Susanne sich nicht am Gespräch. Kaum tauchte Hilda wieder auf, dachte sie niedergeschlagen, fristete sie erneut ein Mauerblümchendasein.

“Ich hab dich noch nie so schweigsam erlebt”, meinte Joachim verwundert, als sie endlich im Bett lagen.

“Was sollte ich denn sagen? In New-York kenne ich mich nicht aus”, konterte Susanne müde.

“Aber über Kinder hast du doch eine Meinung?” Er ahmte Hildas Stimme nach: “‘Kinder sind schmutzig, laut und uninteressant.’ Damit bin ich überhaupt nicht einverstanden.”

“Warum hast du dann nichts gesagt?”

“Du bist doch als Kindergärtnerin die Expertin, und dann war es zu spät, deine Freundin hatte schon das Thema gewechselt.”

“Naja, wenigstens habt ihr beide euch ausgezeichnet miteinander unterhalten. Gib’s zu, sie imponiert dir”, Susanne konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme etwas bitter klang.

“Ja, in gewisser Weise tut sie das. Sie muss hart gekämpft haben, um dorthin zu gelangen, wo sie jetzt ist.”

“Du kannst sicher sein, dass ihr Weg mit Männern gepflastert ist!”

Joachim sah sie aufmerksam an: “Sag mal, du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf Hilda? Findest du nicht, dass ihre Schönheit kalt ist? Als hätte sie einen Panzer angelegt? Eine solche Frau könnte ich nicht lieben.”

Vielleicht nicht lieben, dachte sie, aber begehren. Und das genügte Hilda vollauf. Sie wich seinem Kuss aus und drehte sich von ihm fort, weil sie nicht wollte, dass er ihre aufsteigenden Tränen sah, und dabei fühlte sie sich so unglücklich und hilflos wie noch nie in ihrem Leben.

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In den nächsten Tagen hatte Susanne Schwierigkeiten, sich auf ihre Arbeit in einem privaten Kindergarten zu konzentrieren. Sie musste sich zwingen, geduldig und gutgelaunt zu sein. Aber Kinder sind feinfühlig. Der kleine Tommy kam zu ihr gelaufen und sah sie aus braunen Kulleraugen an: “Tante Susi, bist du krank?”

Schuldbewusst kniete sie vor ihm nieder: “Nein, Tommy, ganz bestimmt nicht!”

Er stellte sich auf die Zehenspitzen und fühlte ihre Stirn: “Gaaanz heiss, du musst ins Bett”, erklärte er bündig.

Tommys Mutter war vor wenigen Monaten nach einer langen Krankheit gestorben, und Susannes Herz zog sich vor Mitleid zusammen. Wie nichtig waren doch ihre eigenen Sorgen dagegen! Jetzt fiel es ihr nicht mehr schwer, ihm herzlich zuzulächeln: “Nein, Tommy, ich habe kein Fieber. Ich war nur ein bisschen traurig, aber dafür kannst du nichts. Komm, willst du eine schöne Zeichnung für deinen Papa machen?”

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Tommy wartete mit der Zeichnung in der Hand auf seinen Vater, der schon eine halbe Stunde Verspätung hatte. Susanne, die mit ihm wartete, wollte ihn ablenken und mit ihm spielen, aber der kleine Junge schüttelte beharrlich den Kopf. Also legte Susanne einfach ihren Arm um seine schmalen Schultern und drückte ihn an sich.

Endlich kam Tommys Vater: “Verzeihen Sie, Frau Eggers, in letzter Minute kam eine Patientin, um die ich mich kümmern musste. Ein dringender Fall. Und plötzlich war es schon so spät.” Waldemar Horn war Heilpraktiker. Er war mittelgross und kräftig, ein gutaussehender, ernster Mann, noch gezeichnet von der Trauer um seine Frau. Und genau so feinfühlig wie sein Sohn. Auch er sah sie jetzt besorgt an: “Sie sehen blass aus”, stellte er fest, “und dann lasse ich Sie auch noch warten, nach einem ohnehin anstrengenden Tag mit den kleinen Rabauken.”

“O nein”, protestierte sie, “das ist es nicht.”

“Was denn sonst?” Sein Blick war warm und aufmerksam, und da waren sie wieder, die verdammten Tränen. Entschlossen sagte Waldemar Horn: “Wie wär’s mit einer Stärkung im Hamburgerrestaurant nebenan? Was mich angeht, ich brauche unbedingt etwas in den Magen, ich hatte heute noch keine Zeit zum Essen.”

“Au ja, ich will ein Eis”, krähte Tommy.

“Haben Sie Zeit? Möchten Sie? Oder werden Sie zu Hause erwartet?”

Susanne gab sich einen Ruck. Nein, sie wollte jetzt nicht nach Hause. Am liebsten würde sie nie dorthin zurückkehren: “Ja, ich habe Zeit, und ich möchte. Vielen Dank.”

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Tom hatte sein Eis vertilgt und vergnügte sich jetzt in der Spielecke.

Waldemar Horn hatte gegessen, Susanne ihren Kaffee getrunken, und das Gespräch war irgendwie auf ihre Kindheit und Jugend gekommen. “Ich heisse Waldemar”, sagte ihr Gegenüber gerade mit komischer Verzweiflung. “Von allen wurde ich Waldie genannt. Als kleiner Junge hatte ich sogar passend dazu die krummen Dackelbeine. Natürlich fanden das alle urkomisch. Später in der Schule hätte ich mein Leben dafür gegeben, schlicht Peter oder Michael zu heissen.” Er schmunzelte, und sie schmunzelte mit und sagte: “An solchen Sachen zerbricht man – oder man wächst. Sie sind daran gewachsen, scheint mir.”

“Es war meine Frau, die mich mit meinem Vornamen versöhnt hat.” Ehe die Stimme traurig werden konnte, fuhr er rasch fort: “Ich weiss von Tom, dass Sie Susi heissen. Susi kommt von Susanne, ein wunderschöner Vorname.”

“Mein Vorname war ungefähr das einzige, was mir gefiel, als ich Teenager war.” Sie erzählte ihm nun von ihrem eigenen Ungemach. Auch von Hilda, von ihrem ersten Freund Jens, und schliesslich Joachim. Leise schloss sie: “Hilda hat sich nicht geändert. Sie legt es jetzt darauf an, Joachim zu verführen. Ich habe das Gefühl, dass alles mir entgleitet, dass ich nur noch Zuschauerin in meinem eigenen Leben bin. Wie in einem Alptraum.”

“Wenn Sie trotz der ersten bösen Erfahrung den Wolf noch einmal in den Schafstall gelassen haben, hat das sicher einen Grund”, meinte er.

“Ich sehe sogar zwei Gründe”, seufzte sie: “Ich bin blöd. Und zu schwach, um ‘nein’ zu sagen.”

Er lächelte ein bisschen: “Das glaube ich nicht, Sie sind weder blöd noch schwach.”

Sie sah ihn überrascht an, aber er schien es ernst zu meinen. “Hilda ist so selbstsicher, viel selbstsicherer als ich”, meinte sie nachdenklich.

“Vielleicht ist sie nur eine bessere Schauspielerin? Haben Sie mal darüber nachgedacht, warum Ihre Freundin alle Menschen verführen muss? Vielleicht liegt der Grund in ihrer Kindheit?”

Sie überlegte. “Ihre Eltern hatten und haben sicher auch heute noch eine tolle Villa am Stadtrand. Mit Dienstmädchen, Köchin, Gärtner und Chauffeur. Hilda hatte alles, um glücklich zu sein.”

“Wirklich?” hakte er nach.

Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Leise erwiderte sie: “Sie haben Recht. Hildas Mutter war eine Schönheit, aber sie hat sich nie um Hilda gekümmert. Und ihr Vater war nur damit beschäftigt, Geld zu verdienen. Hilda hat von ihren Eltern nie Liebe und Aufmerksamkeit empfangen.” Daher, dachte sie, kam Hildas verzweifeltes Bedürfnis, zu gefallen, zu verführen. Und gleichzeitig war sie zu wahrer Liebe nicht fähig, woher auch? Sie hatte es ja nie gelernt. Arme Hilda, dachte sie.

Aber kein Grund, ihr kampflos das Liebste, das sie besass, zu überlassen, die Arme zu kreuzen und abzuwarten.

“Bitte, seien Sie mir nicht böse”, stammelte sie und schob schon ihren Stuhl zurück, “aber ich … ich muss nach Hause.”

“Natürlich bin ich Ihnen nicht böse”, lächelte Waldemar ihr zu. “Jemanden zu lieben und von ihm geliebt zu werden ist das Schönste, das einem widerfahren kann. Verteidigen Sie dieses Glück, halten Sie es fest!”

“Genau das werde ich tun.” Sie reichte ihm die Hand: “Danke für den Kaffee und vor allem dieses Gespräch, das mir die Augen geöffnet hat.” Im Vorübereilen fuhr sie Tommy liebevoll über den Haarschopf: “Bis morgen, ich freue mich schon auf euch alle!”

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Leise schloss sie die Tür hinter sich und hielt den Atem an, als sie ihre Stimmen hörte.

“Ich muss wohl endlich Klartext mit dir sprechen, Hilda”, sagte Joachim gerade. “Natürlich mag ich dich. Ich mag mich gern mit dir unterhalten, mit dir zusammen lachen, ich mag dich als Freundin, als Susannes Freundin, aber von Liebe kann keine Rede sein! Lieben tu ich nur Susanne.”

“Das kannst du doch auch, ich verlange doch nicht von dir, dass du Susi verlässt. Mein Gott, was seid ihr alle spiessig!”

Zum ersten Mal hörte Susanne aus Hildas Lachen die Verzweiflung heraus. Sie öffnete noch einmal die Tür und schlug sie dann fest zu. Gleichzeitig rief sie: “Joachim, Hilda, seid ihr da?”

“Hier, im Wohnzimmer”, rief Joachim zurück.

Beide sahen sie an, als sie hereinkam. Joachim ging auf sie zu und drückte sie fest an sich.

“Verzeiht, ich komme spät”, entschuldigte sich Susanne. “Ich musste mit dem kleinen Tommy im Kindergarten bleiben, bis sein Vater kam. Wir haben uns dann noch ein bisschen unterhalten.” Sie wandte sich Hilda zu: “Hilda, ich habe dir nie gesagt, wie sehr du mir früher imponiert hast. Ich fand dich toll, ich hab dich bewundert und sogar beneidet. Um deine Schönheit, deine Intelligenz, deine Ausstrahlung. Sogar dein reiches Elternhaus. Aber heute erst verstehe ich dich richtig. Ach, ich sag’s euch lieber gleich: Ich hab in der Diele ungewollt euer Gespräch mit angehört, zumindest das, was ihr zuletzt gesagt habt.”

Es war das erste Mal, dass sie Hilda rot werden und den Blick senken sah. Langsam ging sie zum Fenster, lange blieb sie stumm, dann aber drehte sie sich um und sagte: “Entschuldige, Susi, ich habe mich unmöglich benommen. Und ich bin jetzt froh, dass Joachim fest geblieben ist. Du kannst dich hundertprozentig auf ihn verlassen, und, glaub mir, das kann man nicht von vielen Männern behaupten.” Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: “Ich werde nicht länger bei euch bleiben, sondern meine Eltern besuchen. Es wird vielleicht nichts dabei herauskommen, wahrscheinlich wird Mutter immer noch ihre Zeit damit verbringen, sich schön zu machen und den immer ungleich werdenden Kampf mit dem Alter zu führen, und Vater wird wie üblich kaum zu Hause sein, aber es sind meine Eltern, nicht wahr? Ich muss lernen, sie so zu nehmen, wie sie sind. Vor allem muss ich lernen, in die Zukunft zu sehen und mir nicht von der Vergangenheit das Leben zerstören zu lassen. Schlimmer, das Leben anderer zu zerstören.” Leise fügte sie hinzu: “Ich könnte verstehen, wenn du jetzt wütend auf mich bist, Susi. Du warst es wahrscheinlich schon, wegen Jens.”

Sie hatte also nicht vergessen, was sie damals getan hatte. Susanne sah Joachim an, und eine warme Woge der Liebe und Zuneigung überflutete sie. Sie würde ihm nachher von Jens erzählen. Jetzt sagte sie zu Hilda: “Ja, ich war wütend auf dich. Ich war vor allem verzweifelt. Und wie gelähmt. Aber Tommys Vater hat mir geholfen, alles klarer zu sehen. Dieses Wiedersehen, Hilda, das musste sein, das haben wir wohl beide so empfunden. Weil diese alte Rechnung noch offen stand. Ich glaube, unser Problem ist jetzt gelöst, und mit deinen Eltern wird es dir ganz bestimmt auch gelingen, das wünsche ich dir jedenfalls von ganzem Herzen.”

Hilda lächelte. Es war ein fernes Lächeln: “Ich hole mein Gepäck. Darf ich nach einem Taxi telefonieren?”

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Als sie abgefahren war, meinte Joachim: “Arme, reiche Hilda, aber sie wird es schaffen. Sie ist klug, und sie hat den nötigen Willen. Und jetzt haben wir genug von ihr gesprochen. Susi, ich liebe dich. Ich liebe deine Sommersprossen, dein langweilig blondes Haar und deine grossen Füsse. Ich liebe jeden Zentimeter deines langen Körpers. Und dein gutes Herz. Und deinen Verstand. Und ich flehe dich an: Lege mich in solide Ketten, ehe du andere männerfressende Freundinnen auf mich loslässt. Dann kann ich wenigstens sagen, dass ich ein glücklicher Vater von sechs Kindern und ein absolut treuer Ehemann bin. Du siehst, du bist moralisch verpflichtet, mich zu heiraten!”

“Und wenn ich das anders sehe?” Sie lachte über sein plötzlich kummervolles Gesicht.

“Du hast dich anderweitig verliebt, stimmt’s? In den letzten Tagen fühlte ich mich schrecklich alleingelassen von dir. Du gingst mir aus dem Weg!”

“Weil mich da momentan der Verstand im Stich gelassen hatte. Natürlich habe ich mich nicht anderweitig verliebt. Ich würde nur sagen, dass zwei oder drei Kinder genügen, und dass ich dich aus Liebe und nicht aus irgendwelchen moralischen Gründen heirate. Nicht einmal aus Mitleid, denn du kannst dich wunderbar allein verteidigen.”

“Du hast daran gezweifelt, stimmt’s?” neckte er sie.

“Hmm”, seufzte sie beschämt.

“Dann war es ja wirklich gut, dass Hilda da war”, schmunzelte er und küsste sie.

ENDE


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