Hey du Arschloch, ja genau dich meine ich!

Hey du Arschloch, ja genau dich meine ich!

Böhmermann im Nachgang. Besser jetzt darüber zu räsonieren, als in der Aktualität des Augenblicks, da alle quaken und wie aufgeschreckte Froschlurche durch den Tümpel hopsen. Eigentlich geht es sogar weniger um Böhmermann als um die, die ihm jetzt applaudieren. Ich muss ja sagen, ohne den Kontext, in dem er "gedichtet" hat (dichten ist ein hohes Wort hierfür, daher steht es in Strichen), musste man ja wirklich von Beleidigung ausgehen. Sah man allerdings den Vorlauf, den Prolog seines "Werkes" (Werk ist ein hohes Wort hierfür, daher steht es in Strichen), so war eindeutig, dass er im Rahmen des Belehrenden auftrat, der darlegte, was Beleidigung ist und was nicht, was man also strafrechtlich verfolgen könne und was nicht. Seine "Kunst" (Kunst ist ein hohes Wort hierfür, daher ... ihr wisst schon) wäre demnach justiziabel, wenn er es ernst mit den Beleidigungen meinte, was er natürlich ja (mit zwinkerndem Auge) nicht so beabsichtigt hatte.
Es hat so etwas von Wortklauberei, wenn Hobbyjuristen zuweilen analysieren, dass es ein fataler Unterschied sei, ob man jemanden als Arschloch beleidige oder frage: "Sind Sie vielleicht ein Arschloch?" Man habe schließlich freundlich nachgefragt. Das sind übrigens Fragen, die man mal einem Polizisten stellen müsste, wenn er einen nervt und dann heißt es abwarten, ob ein Richter Beamtenbeleidigung ausschließt. Ich tendiere zu Nein; Augstein hat völlig recht, wenn er behauptet, dass die "Illustration eines Rechtsbruchs [...] ein Rechtsbruch" sein könne. Aber letztlich bin ich sogar der Ansicht, dass der Künstler auf der Bühne anders wahrgenommen werden muss, als ein Autofahrer, der nach des Beamten wahrer Seele fragt. Er fällt unter eine spezielle Freiheit und in diesem Sinne mag Böhmermann unantastbar sein. Ist der Fall Böhmermann demnach ethisch abzuhaken? Nein! Etwas anderes liegt im Argen und wurde im Stimmengewirr der Empörung und Parteinahme völlig ignoriert. Die Aktion gibt sich leider ein bisschen wie ein humoriger Ableger der Man-wird-doch-nochmal-sagen-dürfen-Fraktion von rechts. Viele Claqueure in der Sache spiegeln diesen Eindruck deutlich wider.Viele. Wie gesagt. Nicht alle. Das muss man zweimal aufführen, sonst wird wieder geplärrt.
Das mit der rechten Fraktion ist nicht inhaltlich gemeint. Böhmermann hat nachweislich keine Sympathien für diese besorgten Schildbürger. Das steht gar nicht zur Debatte. Es ist anders, nämlich so gemeint: Indem er Erdoğan auseinandersetzte, dass ein solches Schmähen zu Sanktionen führen würde, wogegen das Liedchen von Extra 3 ein normaler satirischer Beitrag war, legte er auch dar, dass nicht alles gesagt werden könne und dürfe in diesem Land. Da er es aber darauf anlegte, mit seinem Reim zensiert zu werden, implizierte er damit auch, dass selbst in Deutschland die Meinungsfreiheit Grenzen besitze. Bestimmte Dinge sind halt einfach nicht meinungsfrei, weil sie nicht Meinung sind. Ob er das nun richtig oder falsch findet, kommentiert er gar nicht mehr, dazu gibt es keine in der Gesamtheit seines "Kunstwerkes" (hohes Wort, daher ...) etablierte Gesinnung oder Richtung, was wiederum seine Satire zu einer schlechten ihrer Art macht. Im Grunde könnte man auch annehmen, dass er es für eine Sauerei hält, dass man hierzulande Beleidigungen nicht als Meinungsfreiheit durchgehen lässt. Er lächelte schelmisch und stempelte - vielleicht ungewollt - die deutsche Gesellschaft als verlogen ab. Was in anderem Sinne stimmt, aber nicht in diesem. Seine Aktion war folglich nur ein trojanisches Pferd zur Verdeutlichung des Dilemmas.
Arschloch, genau dich meine ich!
Die Empörung seiner Anhänger und derer, die jetzt als Verfechter einer absoluten Meinungsfreiheit die Zensur seines Senders kritisieren, genoss er natürlich. Letztlich erzeugte er damit eine Stimmung, die ein latentes Gefühl davon entstehen ließ, dass hier in Deutschland doch nicht alles gesagt werden dürfe. An diesem Punkt kommt eine etwas verquere Massendynamik in Sachen der Meinungsfreiheit zustande. Man tut plötzlich so, als lebten wir in einer Diktatur, in der jeder unliebsame Gedanke gewaltsam zensiert wird. Zugegeben, manchmal gibt es Tendenzen dazu, andere Meinung zu unterbinden oder ihr kein Forum zu bieten. Aber mehr auch nicht. Zeitungen drucken halt was sie wollen, sie haben Hausrecht. Aber nicht alles wird vertuscht, manches wird nur sehr leise gesagt. Dieser Blog existiert ja auch und wird nicht zensiert. Überhaupt ist nicht alles, was kommuniziert werden kann - und ich wiederhole mich auf dieser Website seit geraumer Zeit -, gleich als Meinung im Sinne der Meinungsfreiheit (nach Artikel 5, Grundgesetz) garantiert. An selber Gesetzesstelle findet sich im Absatz 2 eine Beschränkung, die neuerdings immer gerne vergessen wird, wenn die Debatte darum einsetzt.
Die freie Meinung ist seit Jahren einem pervertierten rechten Gedankengut zum Opfer gefallen. Die neuen Rechten fingen plötzlich damit an zu behaupten, dass die Gesinnungsdiktatur am Ruder sei, weil man seine Meinung nicht mehr frei artikulieren dürfe. Es ging ihnen natürlich um bestimmte Sujets, wie zum Beispiel die Eugenik des Herrn Sarrazin oder die Verunglimpfung von Arbeitslosen und Ausländern anderer politischer Akteure. Pegida und AfD haben diese Taktik übernommen, nennen ihre Volksverhetzung eine Meinung, die im Grundgesetz garantiert sei, aber nicht gesagt werden dürfe. Ursprünglich kam dieser Ansatz von den Neonazis, die den Holocaust leugneten. Sie dürften das trotz Meinungsfreiheit nicht und sahen dahinter eine Diktatur der Alliierten. Die Meinungsfreiheit verkam bei ihnen zu einem Instrument, das in seiner radikalsten Form eine Gegnerin der Demokratie sei und nicht etwa ein Grundrecht derselbigen. Dieser Gedanke absolut freier Meinung ohne Grenzen ist in der gesellschaftlichen Mitte angekommen. Das sind Auswirkungen des allgemeinen Rechtsruckes. Aber eines ist klar, Beleidigung ist keine Meinung. Böhmermann hat im Rahmen künstlerischer Freiheit nicht beleidigt, aber er hat so einen Beigeschmack gelassen, wonach er es lächerlich fände, dass sein Reim nicht als Produkt der Meinungsfreiheit durchgehe. Das anzunehmen wäre fatal.
Übrigens finde ich, dass alle senilen Komiker, die als Trittbrettfahrer schlechte Lieder in Richtung Türkei trällern, irgendwie narzisstische Trockenwichser sind, denen nicht mal mehr einer abgeht, wenn sie auf Knopfdruck abgehen dürfen. Ihr findet diese Einschätzung beleidigend. Aber ich bitte recht schön, was kann ich denn dafür, wenn ich diese Meinung habe? Und die geht mir über alles. Meinungsfreiheit ist nun mal bitter, sie ist ein Schwerthieb. Und wenn dir das nicht passt, ja dich meine ich, ja genau du da, der da sitzt und liest, dann bist du eben das allerletzte Arschloch! Na, wie gefällt dir das? So viel muss dir meine Meinung doch wert sein. Was für eine schöne Welt, oder nicht? Kein Anstand, kein grundsätzliche Freundlichkeit und Gepflogenheit mehr, aber Hauptsache ein demokratisches Grundrecht so radikalisiert, dass daraus eine Tyrannei schlechter Manieren wird. Und das nennen wir dann die Verteidigung westlicher Werte gegen orientalische Feindbilder.


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