Kurt Tucholsky, Foto: Wikipedia
Es gibt nicht viele deutsche Autoren, die ich in Gänze gelesen habe. Kurt Tucholsky ist einer davon.
Wenn ich dieser Tage mich ab und an als Journalist bezeichne, wenn ich versuche, einen soziopolitischen Blick auf die Welt zu erhaschen, wenn ich immer und immer wieder aufkläre, häufig wiederholend über die gleichen Dinge schreibe und eine unbändige Wut auf jede Ungerechtigkeit habe; ja, wenn ich mich immer wieder frage: wem nutzt, was medial verbreitet wird – dann ist das in hohem Maße der Schulung an seinen Texten zu verdanken.
Kritisch bleiben, jedes Stilmittel, das beherrscht wird, zu benutzen und immer neugierig bleiben… das habe ich bei ihm und seinen Kollegen von der Weltbühne gelernt. Ich hatte viele Jahre lang die Weltbühne auch deshalb abonniert.
Vielleicht habe ich sogar Einiges von seinen politischen Einstellungen verinnerlicht.
Ich habe ihn viele Jahre ein wenig aus den Augen verloren; doch heute möchte ich an ihn erinnern. Und danken. Kurt, Du warst mir ein guter Lehrer!
Nic
Kurt Tucholsky
Die freie Marktwirtschaft
Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Ihr sollt auf euern Direktor vertrauen.
Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen.
Ihr sollt alles Weitere dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein,
wir wollen freie Wirtschaftler sein!
Fort, die Gruppen – sei unser Panier!
Na, ihr nicht. Aber wir.
Ihr braucht keine Heime für eure Lungen,
keine Renten und keine Versicherungen,
Ihr solltet euch allesamt was schämen,
von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!
Ihr sollt nicht mehr zusammenstehn
- wollt ihr wohl auseinandergehn!
Keine Kartelle in unserm Revier!
Ihr nicht. Aber wir.
Wir bilden bis in die weiteste Ferne
Trusts, Kartelle, Verbände, Konzerne.
Wir stehen neben den Hochofenflammen
in Interessengemeinschaften fest zusammen.
Wir diktieren die Preise und die Verträge
- kein Schutzgesetz sei uns im Wege.
Gut organisiert sitzen wir hier…
Ihr nicht. Aber wir.
[Quelle]