Heute verstehe ich…

… weshalb meine Mutter sich stets so dagegen stemmte, den „Döschwo“ mit offenem Verdeck zu fahren. Damals dachte ich ja, sie sei eine Spielverderberin, heute bewundere ich sie masslos dafür, dass sie immerhin ab und zu üble Nackenschmerzen in Kauf nahm, um uns den Spass nicht bei jeder Fahrt zu verderben. Ich stimme ja bereits ein Gezeter an, wenn Wohnungs- und Balkontüre zur gleichen Zeit offen stehen.

… weshalb meine Mutter bei Kind Nummer sieben nicht allzu erpicht war darauf, es bei jedem Spaziergang auf den Arm zu nehmen. Zumal Kind Nummer sieben damals mindestens vier Jahre alt und durchaus in der Lage war, auf eigenen Füssen zu gehen. Bei mir kommt ja bereits Kind Nummer fünf öfters mal zu hören, dass Mamas müde Knochen einfach keine Lust haben auf die ganze Schlepperei. Und dabei ist Kind Nummer fünf noch nicht mal drei Jahre alt, aber sehr wohl in der Lage, selber zu gehen, auch wenn er in letzter Zeit immer mal wieder das Gegenteil behauptet.

… weshalb sich meine Eltern Sonntag für Sonntag nach dem Mittagessen einen ausgedehnten Mittagsschlaf gönnten. Damals wollte ich natürlich nicht verstehen, weshalb sie nicht lieber mit uns in den Zoo oder in den Wald gingen, aber heute, wo ich selber Sonntag für Sonntag nach dem Mittagessen gar nicht anders kann, als tief und fest zu schlafen, muss ich sagen, dass sie damals genau das Richtige getan hatten. 

… dass meine Mutter meinen Bruder manchmal einfach gewähren liess, wenn er beim Einkauf Schokolade und Gummibärchen in den Einkaufswagen schmuggelte. Damals hatte ich das Gefühl, der Junge könne sich alles erlauben, bloss, weil er diese hinreissende Grübchen hatte, wenn er lächelte. Heute ahne ich, dass meine Mutter es wohl einfach müde war, immer und immer und immer wieder zu fordern, dass er die Schmuggelware sofort ins Gestell zurücklegt. Vielleicht aber war sie auch gar nicht richtig wach, sondern schleppte sich schlafwandelnd mit ein paar Kindern im Schlepptau durch den Laden und bekam deswegen gar nichts mit von all den Schmuggelversuchen. Das ist natürlich nur eine Vermutung, basierend auf eigenen Erfahrungen. Ich möchte meiner Mutter ja nichts unterstellen…

… noch so Vieles, was ich damals nicht verstand. Weshalb meine Mutter beim Bezahlen der Rechnungen immer so angespannt war und dabei nicht gestört werden wollte. Weshalb sie es nicht ausstehen konnte, wenn wir beim Telefonieren stets um sie herumschwirrten und wissen wollten, wer am anderen Ende der Leitung war. Warum sie es nicht ausstehen konnte, wenn ich von der Schule nach Hause kam und motzte, weil es nicht das Essen gab, das ich so gerne gehabt hätte. Weshalb sie mir dann trotzdem erlaubte, Brot zu essen, anstatt stundenlang mit angewidertem Gesichtsausdruck vor einem Teller mit Spinatwähe zu sitzen. 

Ja, ich verstehe meine Mutter heute ziemlich gut. Eines aber begreife ich noch immer nicht: Warum liess mich meine Mutter als Fünfzehnjährige nicht zu der einzigen Party gehen, zu der ausnahmsweise mal ganz nette, wohlerzogene Jungs und nicht irgendwelche zwielichtigen, vernachlässigten Rotznasen eingeladen hatten? Und warum brummte sie mir, als ich mich trotz ihres Verbots heimlich aus dem Haus schlich, drei Monate Hausarrest auf? Das kann ich nun wirklich nicht verstehen, noch immer nicht. Ob ich es in vier oder fünf Jahren verstehen werde?

Und für alle, die nicht wissen, was ein „Döschwo“ ist, hier seht ihr einen und zwar einen, wie wir ihn hatten, als ich noch sehr jung und sehr verständnislos war, so verständnislos, dass ich mir der Gefahren eines zurückgerollten Verdecks noch in keiner Weise bewusst war:

Heute verstehe ich…



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