Heute ist mein letzter Tag lebendig (hoffentlich)

Von Privatkino

Titel:  Heute ist mein letzter Tag lebendig (hoffentlich)
Originaltitel: El don de Vorace
Autor: Félix Francisco Casanva
Genre: Belletristik
Seiten: 151 Seiten
Verlag: Luftschacht
ISBN-10: 390284437X
ISBN-13: 978-3902844378

Erste Sätze:
Es geht mir wirklich besser. Am Fenster verwischen Kommazeichen aus Wasser die Landschaft. Vielleicht sind es auch meine Augen, die diesen Regenvorhang um mich ziehen.

Klappentext:
Bernardo sehnt sich nach dem Tod, er ist jung und seines Daseins überdrüssig. Ein Pflaster über dem Loch an seiner Schläfe zeugt von dem letzten einer Reihe erfolgloser Versuche, seinem Leben ein Ende zu setzen, aber: Bernardo kann nicht sterben. Das ist seine Gabe, er empfindet sie als Fluch, denn diese Welt, die er nicht verlassen darf, erscheint ihm zunehmend banal und endlos trist. Einzig Marta ist ihm ein gewisser Trost, sonst kennt er nur zynischen Spott und Hohn. Durch seinen ihm verhassten Zustand über aller ethischen Verantwortungen stehend, plant Bernardo schließlich seine persönliche Rache an der Welt.

Inhalt:
Voller Sehnsucht wartet Bernardo auf den Tod, sein Leben erscheint ihn kläglich. In seiner Schläfe hat er ein Loch, notdürftig mit einem Pflaster überklebt, es zeigt, dass es ihm einfach nicht gelingen mag, seiner Existenz ein Ende zu setzen. Allerdings ist es nicht so, dass seine Versuche so ungeschickt sind, nein, mehr hat er eine Gabe, die zu seinem Fluch wird: Bernardo kann nicht sterben. Was er auch versucht, wie brutal die Methode auch sein mag, jedes Mal erwacht er aufs Neue. Marta pflegt ihn nach jedem Versuch hingebungsvoll, die junge Frau ist Freundin und Liebhaberin zugleich, kehrt jedoch immer wieder zu David zurück, einen alternden Dichter, den Bernardo beneidet, nicht wegen Marta, sondern deswegen, weil dessen Tod nur noch eine Frage der Zeit ist. In diesen Irrungen und Wirrungen, entsteht eine Geschichte üben den Tod, aber vor allem über das Leben.

Meine Meinung:
Kennt ihr diese Bücher, welche man gelesen hat und letztlich mit der großen Frage zurückbleibt: Menschenkind, was war dass jetzt gerade? So geht es mir mit „Heute ist mein letzter Tag lebendig (hoffentlich)“. Bernardo sehnt sich den Tod, schon in den ersten Zeilen ist es deutlich spürbar, springt sofort auf den Leser über, wie ein Parasit, der sich in die Haut krallt. Man schüttelt und schüttelt, doch los wird man ihn nicht, die ungestillte Sehnsucht, sie begleitet einen die ganze Geschichte über, hält einen gefangen und lässt den Atem stocken. Wer jetzt allerdings glaubt, hier wäre alles zutiefst melancholisch, der liegt richtig. Die bleierne Schwere überspannt die ganzen Seite, wenn sie auch manchmal von Gedankengängen unterbrochen wird, die man erst einmal verarbeiten muss, um sie zu fühlen.

Bernardo hat seltsame Träume und wenn ich seltsam meine, dann meine ich es genau so. Träume sind Interpretationssache und hier muss man richtig viel ackern, nichts wird einem auf dem Silbertablett gereicht, es scheint fast so, als möchte der Autor, dass man sich komplett in seinem Werk verliert und verdammt nochmal auch selbst Zusammenhänge sucht, findet und dann wieder als Unsinnigkeit verwirft. Hier liegt die Kraft des Buches, man ist direkt einbezogen, kann nicht einfach mal so drüberlesen, sondern muss sich den Worten widmen und ihnen alle Aufmerksamkeit schenken, die man nur finden kann.

Mein Verstand ist die ersoffene Kakerlake im Schleim meines Wahns. (Seite 73)

Die Dreiecksbeziehung von Bernardo, Marta und David ist verworren, aber was ist in diesem Buch nicht so? Trotzdem fällt es mir hier wohl am Schwersten, eine klare Sicht zu erlangen. Marta ist eine Gespielin, so zumindest scheint mir. Sie pendelt zwischen den Männern hin und her, um von jedem das Beste abzuholen, letztlich bleiben mir aber ein paar zu viele Fragen. Wie kam es zu der Beziehung? Wieso hat David so einen großen Stellenwert?

Gegen Ende hin, da dachte ich mir, nun gut, welchen Schluss wird die Geschichte schon nehmen? Bernardo findet sich mit seiner Unsterblichkeit ab, erkennt den Wert des Lebens und springt beschwingt über Weizenfelder. Gesagt sei, der Leser hat ja so was von keine Ahnung, wie man nur ein Nichtwissender sein kann. Das Ende, ich verspreche euch, hat alles was ein Herzschlagfinale braucht. Bernardos Plan ist so voller Kalkül, dass es einem einen eisigen Schauer über den Rücken jagt und die Umsetzung erst. Diese Wendung, diese Idee der er verfällt, sie war nicht zu erwarten, aber ist deswegen umso gelungener.

Jetzt könnte man meinen, der Autor wäre ein Großmeister im Literaturbetrieb gewesen, Tatsache ist aber: geschrieben wurde das Buch von dem damals 17-jährigen Félix Francisco Casanova in nur 44 Tagen. Eines steht fest, dieser Junge war ein Genie, leider ist er allerdings im Alter von 19 Jahren unter nie ganz geklärten Umständen gestorben. Dieser Aspekt gibt den Buch zusätzlich eine besondere Note, dass ich letztlich nur sagen kann: Hut ab.

Fazit:
Definitiv kein Buch für Zwischendurch, hier ist der Leser gefordert, seine eigenen Überlegungen anzustellen, Verwirrungen zu entwirren und manchmal auch Gedanken zu lesen. Die Lektüre mag manchmal nicht die leichteste sein, jedoch eine absolut lohnenswerte.