Achtsamkeit ist der Schlüssel zu mehr Lebendigkeit. Achtsam sein bedeutet, die Einzigartigkeit jedes Augenblicks zu erkennen. Es bedeutet, mich selbst und alles um mich herum bewusster wahrzunehmen. Es bedeutet, mit all meinen Sinnen, Gefühlen und Gedanken ganz “bei der Sache” zu sein. Es geht also vor allem darum, Achtsamkeit in allem umzusetzen, was ich tue. Achtsamkeit erfahre ich in jedem hellwach gelebten Augenblick. Für manche ist das ganz natürlich. Meine Lebensgefährtin Ulrike ist so ein Glückspilz. Ich persönlich lerne das nur, indem ich es bewusst übe.
Spargel mit Lachs und Kratzete
Um mich immer wieder daran zu erinnern, achtsam zu sein, habe ich mir kleine “Inseln der Achtsamkeit” geschaffen. Eine davon ist zum Beispiel jede meiner Mahlzeiten. Es ist für mich ein Stück Lebensqualität, mir beim Essen Zeit zu lassen und dabei achtsam zu sein. Ich beziehe das Ambiente mit ein. Ich lasse durch eine Kerze und Blumen Ruhe ausstrahlen. Ich decke den Tisch langsam und liebevoll. Ich gebe auch meiner Seele einen Platz, auf dem sie sich zum Essen niederlassen kann.
Wenn ich am Tisch sitze, schließe ich die Augen und lasse meine Aufmerksamkeit ein paar Züge lang auf meiner Atmung ruhen. Ich beginne mit einigen tiefen Atemzügen und lasse den Atem danach einfach fließen. Am Ende nehme ich mir vor, dem Mahl Respekt zu erweisen und langsam und genussvoll zu essen. Dann öffne ich die Augen wieder.
Bevor ich zu essen beginne, bleibe ich ein paar Atemzüge schweigend sitzen, nehme wahr, was auf dem Tisch steht, registriere die Farbe und die Anordnung meiner Speisen, lasse mir den Duft in die Nase wehen, beachte meinen Atem.
Dann beginne ich langsam mit dem Essen. Ich bin mir bewusst, dass alles, was ich esse, die Kraft der Erde und der Sonne enthält und dass ich zu den Glücklichen auf dieser Erde gehöre, die eine Vielfalt von Nahrungsmitteln haben. Ich empfinde Dankbarkeit für mein Leben, für meine Nahrung und für die Pflanzen, die ihr Leben für mich geopfert haben. Ich esse, um zu essen. Ich bin bei dem, was ich gerade esse. Ich bin mir dessen bewusst, wie ich mein Essbesteck aufnehme, wie meine Hand das Besteck ergreift. Ich bin mir des Schneidens, des Schöpfens, des Hineinstechens, des Zusammenschiebens und anderer Handlungen bewusst. Ich bin mir des Beugens meines Armes und jeder anderen Bewegung meines Körpers bewusst.
Ich richte mein Bewusstsein als nächstes darauf, wie ich die Nahrung kaue. Ich spüre, wie meine Zähne zusammenkommen und wie mein Kiefer sich bewegt, wenn ich das Essen kaue. Ich spüre die Hitze oder Kälte, die Oberfläche und die Konsistenz der Nahrung. Ich spüre, wie meine Zunge die Nahrung im Mund umherbewegt und achte darauf, wo die Nahrung meine Zunge und die Mundhöhle berührt. Was ist das für ein Gefühl im Mund? Ich achte darauf, wie sich der Speichel bildet und sich mit der Nahrung vermischt, und darauf, wie sich das Oberflächengefühl und die Temperatur der Nahrung während des Kauens verändern.
Nachdem ich das Kauen erfahren habe, schlucke ich das Gekaute hinunter und achte darauf, wie es durch die Kehle und Speiseröhre in meinen Magen gelangt. Ich spüre die Wärme oder Kälte, während die Nahrung hinab gleitet. Ich registriere, wie mein Magen sich anfühlt, während er das Essen aufnimmt. Ich bin mir auch aller anderweitigen Körperempfindungen gewahr, die auftreten, während mein Körper sich mit Nahrung füllt. Ich bin mir, während ich beiße, kaue und schlucke, des Geschmacks der Nahrung bewusst, ohne ihn zu bewerten. Ich registriere nur, wie es schmeckt. Ich registriere jeden Nachgeschmack, der in meinem Mund zurückbleibt, nachdem ich das Essen hinuntergeschluckt habe. Unterdessen lasse ich alle Gedanken, Urteile, Gefühle und andere Ablenkungen los. Ich registriere sie einfach nur und entlasse sie dann aus meinem Geist. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Nahrung und auf den Prozess des Essens. Ich registriere meine Essgeschwindigkeit. Ich koste den Geschmack ganz aus und erfahre den Vorgang des Essens in seiner ganzen Vielfalt.
Ich nehme mir einen Augenblick Zeit, meinen Körper zu spüren. Ich stelle fest, ob ich genug zu essen gehabt habe, ob ich mich satt fühle. Wenn ja, dann höre ich auf zu essen. Wenn ich mit dem Essen fertig bin, dann richte ich meine Aufmerksamkeit darauf, wie ich das Essbesteck niederlege und die Serviette entferne. Ich registriere, wie ich mich fühle, nachdem ich die Mahlzeit beendet habe. Bin ich zufrieden? Hat das Essen einen Nachgeschmack hinterlassen? Ich spüre die Wärme eines vollen Magens. Ein paar Augenblicke lang bin ich mir aller Gefühle und Gedanken bewusst, die im Zusammenhang mit der Mahlzeit in mir auftauchen. Nachdem ich sie registriert habe, lasse ich sie los. Ich bin mir dessen bewusst, was ich tue, um das Ende meiner Mahlzeit anzuzeigen.
Dann stehe ich in vollkommenem Bewusstsein vom Tisch auf. Das langsame, genussvolle Essen ermöglicht mir dann auch, feinere Geschmacksnuancen wahrzunehmen. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass ich langsamer esse, besser kaue, mehr schmecke und meine Nahrung besser verdaue. Ich werde mir stärker der inneren Signale meines Körpers bewusst, so dass ich bewusster entscheiden kann, was und wie viel ich zu mir nehme. Und wenn ich dem, was ich esse, mehr Aufmerksamkeit schenke, merke ich, welche Nahrung mir gut tut und ich ernähre mich automatisch gesünder. Außerdem esse ich auch weniger.
Wie Du an den folgenden Kommentaren siehst, war dieser Artikel vor gut zwei Jahren schon einmal online. Doch ich finde, er ist zeitlos, und deshalb habe ich ihn dem neuen Design angepasst und wieder veröffentlicht.
Foto: Jürgen Tesch