Vor wenigen Tagen hat kein geringerer als der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer SE, Mathias Döpfner, unter dem Titel Warum wir Google fürchten einen Brandbrief geschrieben, in dem er beklagte, dass Google inzwischen zur Super-Marktmacht aufgestiegen sei, der sämtliche Internet-Nutzer einschließlich der mächtigen Springerpresse mehr oder weniger hilflos ausgeliefert seien.
Diese Analyse ist durchaus zutreffend – denn wie findet man Inhalte im Internet, wenn nicht über Google? Google hat in Deutschland einen Suchmaschinen-Anteil von über 90 Prozent und ist ein weltumspannender Konzern mit Milliarden-Umsätzen aus der Online-Werbung, der die Welt neu kartiert, mal eben Drohnen- und Roboter-Hersteller kaufen kann, und jeden, der im Internet gefunden werden will, dazu zwingt, sich intensiv mit dem, was Google gut findet und was nicht, auseinander zu setzen – wenn Google seine Algorithmen ändert, kann das für ein Internet-Unternehmen bedeuten, dass es von einen Tag auf den anderen einen Großteil seines Traffics verliert, womit sein Geschäftsmodell unter Umständen ruiniert ist.
So weit, so schlecht. Natürlich ist es mehr als bedenklich, dass ein einzelnes Privatunternehmen dermaßen viel Macht hat. Aber interessant ist trotzdem, sich klar zu machen, wer da gerade heult. Es ist ja nicht so, dass Axel Springer tatsächlich ein aufrecht gesinnter kleiner David wäre, der gegen den bösen Google-Goliat kämpft, auch wenn Döpfner es so dar stellt. Döpfner ist der Chef eines keineswegs ohnmächtigen Medienkonzerns, sondern einer gut geölten Meinungsbildungmaschine, die den Massengeschmack mit Ressentiments statt mit Argumenten bedient, in dem sie pausenlos unbewiesene Behauptungen wiederholt, etwa, dass Arbeitslose und Ausländer faul und gierig seien. Die Springer-Presse kann Bundespräsidenten und Bundeskanzlerinnen hoch- und niederschreiben und verdient mit selbsterfundenen Skandalen in der Regel prächtig, um sich dann wieder über die herrschende Verlogenheit und Skandalgeilheit aufzuregen. Ja, Springer ist schizophren und zwar nicht nur, was den Umgang mit Google angeht, von dem Döpfner selbst einräumt, dass der durchaus schizophren sei – einerseits streitet Springer mit Google über das Leistungsschutzrecht, andererseits profitiert Springer vom Google-Traffic und der Werbevermarktung. Döpfner zieht aber vor, das nicht schizophren, sondern liberal zu nennen. Oder wie die Bundeskanzlerin sagen würde: alternativlos.
Und weil Google alternativlos ist, kann Döpfner auch nichts tun, außer seine Angst und seinen Unmut darüber zu artikulieren, dass es jetzt einen Spieler gibt, der auch einen Springer-Konzern dazu bringen kann, übers Stöckchen zu springen – das tut weh. Aber im Grunde, und das sieht Döpfner sehr wohl, ist Google ein Produkt des freien Unternehmertums, das Döpfner ansonsten so hemmungslos bewundert und feiert: Da haben ein paar Jungs eine wirklich clevere Idee gehabt und beherrschen quasi die ganze bekannte Welt, zumindest im Internet. Deshalb traut sich Döpfner auch nicht zu fordern, Google zu enteignen und zu zerschlagen, auch wenn er kurz phantasiert, dass ein kluger Politiker das eventuell mal fordern könnte. Aber genau die Sorte von Politikern, die Verstaatlichung und Enteignungen fordern, werden von Springer normalerweise in Grund und Boden geschrieben, am besten gleich meterweise unter die Grasnarbe. Wer etwas gegen Eigentum und die freie Wirtschaft sagt, ist normalerweise der Todfeind der Springerpresse.
Und deshalb ist es schon ein wenig putzig, zu sehen, wie Döpfner sich windet. Ihn beunruhigt, dass Google-Chef Eric Schmidt einmal gesagt hat: “Wenn es Dinge gibt, von denen Sie nicht wollen, dass irgendjemand etwas darüber sagt, dann sollten Sie so etwas nicht tun.” Normalerweise ist es die Bild-Zeitung, die Dinge in die Öffentlichkeit zerrt, von denen keiner wünscht, dass sie bekannt würden. Döpfner findet auch schrecklich, dass Mark Zuckerberg auf die Frage, was er denn vom Schutz der Privatsphäre halte, geantwortet hat: “Ich verstehe Ihre Frage nicht. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.”
Naheliegenderweise fällt Döpfner bei diesem Zitat die Stasi ein, noch so ein Lieblingsthema der Boulevard-Presse, wenn es darum geht, irgendwen zu diskreditieren. Aber jetzt behauptet Döpfner, dass nur Diktaturen den gläsernen Bürger verlangen und das Recht auf den Schutz der Privatsphäre ja erst die Freiheit des Bürgers ausmache. Da kann er mal drüber meditieren, was eigentlich der Freiheits-Schutzdienst Nummer Eins, die NSA und ihre jeweiligen lokalen Hilfsorganisationen mit der heiligen Privatsphäre machen, wenn sie den kompletten Telefon- und Interentverkehr ganzer Länder nicht nur überwachen, sondern auch auf Vorrat speichern, um die Daten später auswerten. Oder wenn sein Konzern wieder kompromittierende Schnappschüsse so genannter Leserreporter veröffentlicht, die ihre Nachbarn oder zufällige Bekannte bloßstellen. Und nebenbei kann Döpfner auch mal über das dadurch betriebene Lohndumping im Medienbereich nachdenken, wenn er wieder gegen die Gratis-Mentalität der Internet-Nutzer wettert. Wobei, na klar, die Lohndrücker-Kultur im eigenen Haus ist natürlich auch wieder dem Konkurrenzdruck geschuldet, schon klar. Schizophrenie Hilfsausdruck.
Und deshalb hat Döpfner für das Dilemma, in dem er steckt, natürlich keine Lösung. Er hofft darauf, dass Google sich zu Tode siegen wird – und wenn das nicht passieren sollte, weil es derzeit dafür ja keine Anzeichen gibt, setzt er, wie jeder in der Wirtschaft, auf das Lieblingsmodell freiwillige Selbstkontrolle. Döpfner appelliert an Google, doch bitte schön mal über freiwillige Selbstbeschränkung nachzudenken, bevor jemand anders kommen müsste, der Google in die Schranken weise. Den es aber nicht gibt, wie Döpfner zuvor seitenlang analysiert hat. Da ist sie wieder, die Schizophrenie. Wie sagt man einem Tyrannosaurus Rex, er möge sich doch bitte mal schön selbst beschränken?
Haps, da isser schon weg der Döpfner. Wäre eigentlich gar nicht so schlimm. Das heißt natürlich nicht, dass ich gut fände, dass Google tatsächlich ein globales Netzmonopol darstellt, eine internationale Internet-Supermacht, die dank Smartwatches und Datenbrillen bald mehr über uns weiß als wir selbst. Insofern wäre es nicht schlecht, ein Kommando Friede Springer zusammen zu stellen und Google zu enteignen, wie Markus Kompa es in seiner Telepolis-Glosse vorgeschlagen hat. Aber ich fürchte, dafür ist es zu spät. Denn die Welt ist eine Google.