Die Mittelohrentzündung, die sich am Freitagabend ankündigt und am Samstagmittag mit eitrigem Ausfluss so richtig bemerkbar macht, bringt nicht mehr ganz so viel Stress mit sich wie ehemals. Jetzt, wo sich die Notfallpraxen wie die Karnickel vermehren, kannst du getrost am Samstagnachmittag um halb vier beim Arzt am Bahnhof aufkreuzen und deinem Kind wird geholfen. Du hättest sogar auf die vorherige Anmeldung verzichten können, aber wer eine halbwegs anständige Kinderstube hat, wird natürlich dennoch zum Telefon greifen, ehe er in die Praxis platzt. Vorbei sind die Zeiten, als du dich mit tausend Entschuldigungen à la “Wir hätten gerne bis Montag gewartet, aber das arme Kind schreit seit Stunden wie am Spiess, die Zwiebelwickel wollen nicht helfen und jetzt fliesst auch noch der Eiter” ins Spital begeben musstest. Und deinen Hausarzt musst du nicht mit Notfallbesuchen kurz vor Praxisschluss zusätzlich auslaugen. Dein Kind darf jetzt ganz getrost aufs Wochenende hin krank werden.
Ganz praktisch also, aber nichts für Nostalgiker. Nachdem du Personalien und Krankenkassennummer angegeben hast, wollen die als nächstes wissen, ob du das Angebot aus der Zeitung, aus der Werbung oder von Freunden kennst. Sowas müssen sie dich bei der Hausärztin nie fragen, die wird auch ohne Werbung von Patienten überrannt. Der Arzt zeigt dem Computer mehr Zuwendung als dem Patienten, weil er alle wichtigen Daten erfassen muss. Er kennt das Kind ja auch nicht schon, seit es den ersten Schrei getan hat. Die Mama bekommt einige Zurechtweisungen zu hören, weil der Arzt nicht wissen kann, dass Mama sich nicht zum ersten Mal mit einer Mittelohrentzündung konfrontiert sieht. Alles läuft sehr effizient, zielgerichtet und selbstverständlich korrekt, aber von Herzlichkeit keine Spur. Was an sich kein Problem ist, denn in erster Linie geht es darum, dass dem Kind geholfen wird.
Die nächste Mittelohrentzündung bitte trotzdem wieder irgendwann zwischen Montag und Freitagmorgen, denn bei der Hausärztin ist es halt doch viel heimeliger.