Quelle: Helmut Mühlbacher
Ihr Lieben,
heute möchte ich Euch eine Geschichte von Gabriele Ramoserzählen, die mir dankenswerterweise Simone Trautwein zur Verfügung gestellt hat:
„Herzenswärme“
„Es war an einem eisig kalten Morgen in Denver. Das Wetter war die ganze Zeit über launenhaft gewesen. Erst hatte ein vorzeitiger Wärmeeinbruch den Schnee zum Schmelzen gebracht und durch die Entwässerungsrohre davonrauschen oder lautlos über Rinnsteine, Plätze, Gehsteige und unter Zäunen hindurch in niedrig gelegenes Gelände abfließen lassen, wo auch noch die letzte Spur davon versickerte.
Dann kehrte die Kälte wie in einem Rachefeldzug zurück und bedeckte alles unter einer neuen weißen Pulverdecke, unter der das bisschen Schnee, das noch vom Winter übrig geblieben war, gefror und sich in eine eisglatte Falle für die Fußgänger verwandelte.
Quelle: Helmut Mühlbacher
Es war genau der richtige Tag, um sich mit einer Erkältung ins Bett zu legen und darauf zu warten, dass einem die Mutter einen Teller Suppe bringt. Der richtige Tag, um die Meldungen des Nachrichtensenders zu verfolgen und sich vorzustellen, wie es wäre, eingeschneit zu sein, ohne dass einem das allzu große Unannehmlichkeiten bereiten würde. Und genau so hätte dieser Tag eigentlich ablaufen sollen.Ich hatte den Auftrag, im Kongresszentrum von Denver als Redner vor ein paar Hundert Leuten aufzutreten, die es sich ebenso wenig wie ich leisten konnten, einen Schnupfen zu bekommen, zu Hause zu bleiben und sich von ihrer Mutter eine warme Suppe ans Bett bringen zu lassen. Stattdessen saßen wir in der Kongresshalle und konnten gegen das Wetter nichts weiter ausrichten, als darüber zu reden.
Ich brauchte eine Batterie für mein schnurloses Mikrofon. Ich hatte vergessen, eine zweite einzupacken. Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für solche Nachlässigkeiten. Ich hatte keine andere Wahl, ich brauchte eine Batterie. Und so machte ich mich auf den Weg hinaus in den Wind, den Kopf eingezogen, mit hochgeschlagenem Mantelkragen und viel zu dünnen eleganten Schuhen.
Bei jedem Schritt legte sich mir meine dünne Anzugshose hinten an den Beinen an. Der Stoff war winddurchlässig und erinnerte mich daran, dass meine Mutter mich in so unzweckmäßiger Kleidung nie aus dem Haus gelassen hätte. Als ich um die Ecke bog, entdeckte ich in einiger Entfernung das kleine Schild eines Tante-Emma-Ladens. Wenn ich mich beeilen und einen Schritt zulegen würde, könnte ich es schaffen, den Eingang zu erreichen und mich in die Wärme zu retten, ohne noch einmal die schneidend kalte Luft einatmen zu müssen, die in der Lunge brannte.
Die Einheimischen nehmen Fremde gerne auf die Schippe und sagen ihnen, dass man im Winter in Denver jene angenehme Art von Kälte genießen könnte. „Es ist eine ganz trockene Kälte“, sagen die Leute, wenn sie von ihren auswärtigen Verwandten gefragt werden, wie es sich in der sechzehnhundert Meter hoch gelegenen Stadt so lebt. Von wegen trocken! Die Feuchtigkeit peitscht mir mit arktischen Sturmböen bei fünfundsechzig Stundenkilometern gegen den Rücken.
In den kleinen Laden hatten sich noch zwei weitere Seelen verirrt. Eine stand hinter der Kasse und trug ein Namensschild, das sie als Roberta auswies. Sie sah so aus, als wäre auch sie viel lieber zu Hause, um ihren Nachwuchs mit heißer Suppe und tröstenden Worten zu versorgen.
Stattdessen musste sie den Tag damit zubringen, den kommerziellen Außenposten in einer so gut wie völlig verlassenen Gegend von Denver zu bemannen. Sie war wie ein Leuchtturm, eine Zuflucht für die versprengten Irren, die dumm genug waren, an einem so eiskalten Tag wie diesem auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen.
Der andere Kälteflüchtling war ein hoch gewachsener älterer Herr, der sich in dieser Umgebung offenbar wohl zu fühlen schien. Er hatte es anscheinend überhaupt nicht eilig, den Laden zu verlassen und sein Schicksal wieder dem Wind und den vereisten Bürgersteigen zu überlassen. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass der Mann entweder den Verstand verloren oder sich verlaufen hatte. Wer sich an einem solchen Tag auf den Weg machte, um im Warenangebot eines Tante-Emma-Ladens zu stöbern, konnte nicht ganz bei Trost sein.
Doch ich hatte keine Zeit, mich näher mit einem alten Mann zu befassen, der seine Sinne nicht mehr beisammen hatte. Ich brauchte eine Batterie, und ein paar Hundert Leute, die noch das eine oder andere im Leben vorhatten, warteten im Kongresszentrum auf mich. Wir hatten ein Ziel vor Augen.
Irgendwie gelang es dem alten Mann, vor mir an die Kasse zu kommen. Roberta lächelte. Er sagte kein Wort. Roberta nahm seine mageren Einkäufe einzeln in die Hand und tippte den Betrag in die Kasse ein. Der alte Mann hatte sich in die Morgenkälte von Denver hinausgewagt, nur um einen läppischen Muffin und eine Banane zu kaufen.
Was für ein Irrwitz! Um einen Muffin und eine Banane zu bekommen, würde ein normaler Mensch bis zum Frühling warten, und sich dann vielleicht sogar über die Gelegenheit freuen, durch die bis dahin wieder annehmbaren Straßen zu schlendern. Aber nicht dieser Kerl hier. Er hatte seinen alten Knochen ins Freie geschleppt, als wäre dies der letzte Tag seines Lebens.
Vielleicht war es ja auch der letzte Tag seines Lebens.
Immerhin war er schon ziemlich alt.
Als Roberta alles eingetippt hatte, griff eine müde, alte Hand tief in die Manteltasche und fischte darin herum. „Mach schon“, dachte ich. „Du hast vielleicht den ganzen Tag Zeit, aber ich habe noch was anderes vor!“
Die Hand brachte schließlich ein Portemonnaie hervor, das so alt zu sein schien wie der Mann selbst. Ein paar Münzen und eine zerknitterte Dollarnote fielen auf die Theke. Roberta nahm sie entgegen, als seien sie der größte Schatz. Nachdem die bescheidenen Einkäufe in einer Plastiktüte verstaut waren, geschah etwas Bemerkenswertes.
Ohne ein einziges Wort zu sprechen, streckte dem Mann seine alte, müde Hand langsam über die Theke. Sie zitterte erst, wurde dann aber ruhig.
Roberta weitete die Griffe der Einkaufstüte und streifte sie dem Mann sanft über das Handgelenk. Die Finger, die in den Raum hineinragten, waren knotig und mit Altersflecken übersät.
Robertas Lächeln wurde noch breiter.
In einer raschen Geste griff sie nach der anderen, müden, alten Hand und hielt nun beide vor ihrem braunen Gesicht. Sie wärmte sie. Erst oben und unten, dann an den Seiten. Dann machte sie sich an dem Schal zu schaffen, der ihm fast von den breiten, aber gebeugten Schultern gerutscht wäre. Sie zog ihn fest um seinen Hals. Er sagte immer noch kein einziges Wort. Er stand da, als wolle er den Augenblick in seinem Gedächtnis zementieren. Er musste wohl mindestens bis zum nächsten Morgen vorhalten, bis er sich wieder auf den Weg durch die Kälte machte.
Roberta knöpfte einen Knopf zu, der den alten Händen entgangen war.
Sie sah ihm in die Augen und hob mit gespielter Strenge den Zeigefinger.
„Dass sie mir auch ja gut auf sich aufpassen, Mr. Johnson!“ Wie um ihre Worte zu unterstreichen, hielt sie kurz inne, bevor sie dann mit ehrlicher Besorgnis hinzufügte: „Ich will sie doch morgen wieder hier sehen!“
Mit diesen letzten Worten hatte der alte Mann wohl seinen Tagesbefehl bekommen. Er zögerte noch einen Moment, wandte sich dann um und schlurfte mühsam hinaus in den bitterkalten Denver-Morgen.
Ich wusste jetzt, dass er nicht wegen einer Banane und eines Muffins gekommen war. Er kam, um ein bisschen Wärme zu bekommen. Herzenswärme.
Ich sagte: „Wahnsinn, Roberta! Das nennt man Dienst am Kunden. War das Ihr Onkel oder ein Nachbar oder sonst jemand Besonderes?“
Sie reagierte fast ein wenig beleidigt. Wie konnte ich nur denken, dass sie diesen außergewöhnlichen Service nur bestimmten Menschen vorbehalten würde? Für Roberta war wohl jeder etwas Besonderes.“
Quelle: Raymonde Graber
Ihr Lieben,
ich wohne in Bremen in einer dieser typischen Bremer Straßen mit kleinen Mehrfamilienhäusern und Reihenhäusern. Schräg gegenüber dem Haus, in dem ich wohne, wohnt eine alte einsame Dame.
www.bbsr.bund.de
Jedes Mal, wenn es in diesem Winter geschneit hat, habe ich nicht nur vor dem Haus, in dem ich wohne, den Schnee geräumt, sondern auch vor ihrem Haus.Im Sommer, wenn sie alte Pflanzen aufgraben und neue Pflanzen eingraben möchte, helfe ich ihr.
Dabei geht es mir weniger um die Hilfe, die ich der alten Dame leiste, vielleicht würde sie das Schneeräumen und das Ein- und Ausgraben der Pflanzen auch noch selbst schaffen, nein, es geht mir darum, dass die alte Dame spürt, da ist jemand, der sich für mich interessiert, ich bin nicht allein.
Diese alte Dame ist so einsam, dass sie manchmal weint, wenn ich ihr Zeit widme, weil sie sich darüber so sehr freut.
Ich habe das hier erzählt, um Euch zu zeigen, wie wenig nötig ist, um im Alltag ein wenig Liebe, ein wenig Licht, ein wenig Freude zu verbreiten.
Als früher die Pfadfinder in meiner Kindheit und Jugend erzählten, dass sie die Verpflichtung hätten, jeden Tag eine gute Tag zu tun, da wurden sie oft belächelt.
Aber ich glaube, es würde in unserer Welt etwas heller sein und es wäre menschlich wärmer, wenn wir uns vornehmen würden, jeden Tag einem Menschen Liebe zu erweisen.
Liebe schenken, kostet so wenig, schon ein Lächeln kann ein Herz trösten.
Liebe schenken, kostet so wenig, schon ein Telefonanruf kann jemanden aus seiner Einsamkeit befreien.
Liebe schenken, kostet so wenig, schon eine Einladung zu einer Tasse Kaffee kann jemandem zeigen: „Ich bin noch nicht vergessen, es gibt jemandem, dem ich etwas wert bin!“
Liebe schenken, kostet so wenig, schon ein Brief oder eine E-Mail können einem Menschen zeigen: „Ich denke an Dich!“
Liebe schenken, kostet so wenig, eine Ermutigung kann dazu führen, dass ein Kind lernt, mutiger seinen Weg zu gehen.
Liebe schenken, kostet so wenig, ein „Ich liebe Dich!“, ein „Ich habe Dich lieb!“, ein „Ich bin froh, dass es Dich gibt“ kostet nur wenige Worte, bedeutet dem, an den diese Worte gerichtet werden, aber sehr viel.
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Ihr Lieben,
ich wünsche Euch ein überaus fröhliches Wochenende, ein warmes Zuhause bei dem kommenden Winterwetter und denkt daran: Der Frühling kommt, das ist gewiss, die kommenden Tage sind nur ein Rückzugsgefecht des Winters!
Ich grüße Euch ganz herzlich aus Bremen
Euer fröhlicher Werner
Quelle: Karin Heringshausen