Über eine Interpretation des Buches “Blöd-Maschinen: Die Fabrikation der Stupidität” (Georg Seeßlen, Markus Metz)
bei “Glanz und Elend – Magazin für Literatur und Zeitkritik”
einige Zitate daraus, die direkt an den Zeitgeist anknüpfen und durchaus Potential haben, ohne dass ich das buch bereits gelesen hätte:
“Kritik in solch selbstreferentiellen Systemen scheint sinnlos, denn auf dem Narrenschiff der Datenströme und binären Codes definiert die Orakelmaschine der Ökonomie selbst, was kritisch ist und was nicht. Der Kapitalismus kann, wie Joseph Vogl in »Das Gespenst des Kapitals« schreibt, »Aufruhr und Anarchie als vitalen Ausdruck ihres eigenen Systems absorbieren.« Kapitalismus als konsequente Selbstoptimierung: Das System »reformiert sich im Widerstand, inkludiert seine Opposition, integriert die spontane Aktion und perfektioniert sich … als eigentliches Kreativitätsreservat.«”
Satirisch ausgedrückt ließe sich ein Buch “die bösen Machenschaften von Facebook” vielleicht exzellent verkaufen, brächte Verlag und Autor jede Menge Knete ein, müsste aber nicht notwendigerweise die Nutzerzahlen bei Facebook reduzieren. Im Gegenteil würden dann dort haufenweise Links zu Kritiken und Rezensionen auf dieses Buch auftauchen und viele “gefällt-mir”-Clicks ernten. Veranstaltungen zur “Buchkritik2 könnten entstehen und eine riesige Facebook-Party mit 20000 Teilnehmern. Evtl. sogar einige zusätzliche Facebook-Neuanmeldungen von Leuten, die irgendwo einen Link auf eine Buchkritik gefunden haben, die eine Facebook-Notiz ist.
“Deshalb, so Vogl weiter, sei der Markt selbst das Wirkliche und damit das Vernünftige schlechthin. Die alte Theodizee mit ihren unbeantwortet gebliebenen Fragen nach der Güte Gottes sei einer Oikodizee gewichen, in der die Antwort auf alle Fragen der Preis ist.”
Oder anders ausgedrückt: “Heute kennt man von allem den Preis, von nichts den Wert” (Oscar wilde). Keine Neue Entdeckung also.
“Ist die Welt einerseits alles, was Unterhaltung werden kann, so sagen andererseits »immer weniger immer weniger durch immer mehr Kanäle zu immer mehreren mit immer mehr Folgen.”
“Von der eigenen Unwissenheit in dieser Welt haben wir überhaupt keine Vorstellung mehr (und darin unterscheiden wir uns kolossal von den alten Griechen): »Wir wissen, daß wir es nicht deswegen nicht wissen, weil wir es nicht wissen können, sondern, daß wir es nicht wissen, weil wir es nicht wissen wollen.”
Das hat möglicherweise nicht einmal direkt mit dem Kapitalismus zu tun. Die Zurückdrängung der Geisteswissenschaften und Künste an den Universitäten muss ja eine Verdummung zur Folge haben, auch wenn zunächst der Anschein einer simplen Konzentration auf die Naturwissenschaften erweckt wird. Dass aber (auch zum naturwissenschaftlichen Denken) ein großes geistiges Ganzes unbedingt nötig ist, wird geflissentlich übersehen. Hier liegt natürlich ein indirekter Zusammenhang zum Kapitalismus vor, denn keine forschung ohne Forschungsgelder.
“Lang lebe (…) der Gott der Unterhaltung, die Wiederholung (in Form der Serie, des Remake und des Remix), die erst dazu führt, dass die Dinge wirklich wahr werden: Das Wuchern der Ein-Euro-Läden, der Stumpfsinn der Talentsuchsendungen, das ganze Bologna-Entertainment an den Unis, die durch Studiengebühren zum Bildungsbordell geworden sind, das elende Schauspiel der Demokratie, die Soap, die Modenschau, der Comedy-Quatsch, die Aufwertung der Dingwelt bei gleichzeitiger Abwertung der Menschenwürde, die Kleiderhöllen und die Trostlosigkeit der Industriegebiete, die als Traumschiff getarnten Verblödungsreisen, das »Totarbeiten als Extremsport der Mittelschicht«, das zunehmende Management des Irrsinns, Politik als Karneval, die Discounter-Diktatur, die Strafverfolgungspornografie à la Aktenzeichen XY und schließlich die »Boulevardisierung der Weltkatastrophe« (Fukushima) zeugen davon, so Metz und Seeßlen, dass die Blödmaschinen einwandfrei funktionieren während Kassandra sich zu Tode plappert.”
so schreiben die dichter, denen offenbar all das zum Halse heraushängt. Es bleibt zu untersuchen, ob der Kapitalismus wirklich die Wurzel dieser Aufzählung abscheulicher Gesellschaftskrankheiten ist.
Zum Artikel “Die Herrschaft der Narren” bei Glanz und Elend, dem Magazin für Literatur und Zeitkritik