Herr Merkt im Verhör bei Der Digitale Flaneur

Herr Merkt im Verhör bei Der Digitale Flaneur
Ich hatte neulich das Vergnügen Herr Merkt, der den meisten ja durch seine formidablen Sampler  (aktuell hat er die Zehne voll) ein Begriff sein sollte, ein paar Fragen zu stellen. Der stets siezende Blogger erwies sich hierbei als echter Symphatieträger, heller Kopf und sanfte Spötter, der auf alle meine - gerne auch mal pointiert formulierten - Fragen unterhaltsame Antworten zu geben hatte. 
Und da mich dieses Interview sehr unterhalten hat, schenke ich es mir hiermit heute selbst zum Geburtstag. Habt Spass. Und natürlich fordere ich euch auf seinen feinen Blog zu frequentieren und seine Sampler zu ziehen, hier versteht wer sein Handwerk, bloggend wie sammelnd.
So und hier nun das lustige kleine Q&A-Spielchen von uns zwei Bloggern.
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Meine erste Frage Herr Merkt dreht sich natürlich um die gehobene soziale Etikette, die sie stets an den Tag legen, weshalb pflegen sie im Biotop der Mutterbesteiger die Tradition des Siezens?

Zunächst einmal möchte ich entschieden gegen Ihre Aussage protestieren, dass es sich bei der HipHop-Szene um ein Biotop der Mutterbesteiger handelt. Gleichwenn der Grundtenor in den Massenmedien einen anderen Eindruck vermitteln mag, veranlassen mich Künstler wie Marteria, Casper oder auch das gesamte Chimperator-Umfeld zur Hoffnung, dass HipHop-Köpfe vernünftige Menschen sind.
Und selbst jenen Künstlern, die sich in ihren Texten dem Mutterbesteigen widmen, hilft es an sich kein Stück weiter, wenn sich (1) die Berichterstattung entweder am Slang der Mutterbesteiger bedient und damit lediglich die gleiche Zielgruppe anspricht, die der Künstler sowieso schon erreicht oder (2) die Berichterstattung mit gehobener sozialer Etikette kein gutes Haar am Produkt lässt. 
Als Person, die mit HipHop erwachsen wurde, erachte ich es beinahe schon als meine Pflicht, HipHop auch dem Bildungsbürger näher zu bringen. Dort liegt im Zweifelsfall auch das Geld, das CDs, Konzertkarten und „Fick mich Felix“-T-Shirts kauft.
Zum zweiten: Wann haben sie sich entschieden sich als Netzmultiplikator vollkommen dem deutschsprachigen Rap zu verschreiben und was motivierte sie dazu?

Seinerzeit hat mich eine wenig wohlwollende Rezension eines Auftritts von Olli Banjo in einem lokalen Presseerzeugnis dazu bewegt, „Herr Merkt spricht über HipHop“ ins Leben zu rufen. Die HipHop-Szene ist sozusagen der grandiosen Fehlinterpretation des Titels „Pistole“ mit gehobener sozialer Etikette zum Dank verpflichtet!
Glauben sie an die Idee, die Marcus Staiger neulich in einem Interview mit Falk aufbrachte, dass Hip Hop eine Kultur ist, in der über markante gesellschaftliche Grenzen hinweg diskutiert werden kann oder ist dies Mumpitz und die Utopie eines Idealisten?

Die Idee an sich finde ich naheliegend. Schließlich entsteht HipHop auch in sozialen Brennpunkten und bietet damit sicherlich auch Anhaltspunkte zum Diskurs über politische Themen. Andererseits vermittelt mir die Diskussionskultur in verschiedenen HipHop-Foren den Eindruck, dass man mit manchen Menschen prinzipiell nicht vernünftig diskutieren kann. 
Dabei erweisen sich leider oftmals jene Kandidaten, die sich öffentlich mit ihrer ausgezeichneten Bildung brüsten, als die größten Vollpfosten. Entschuldigen Sie bitte die Gossensprache!
Wie wichtig ist Bildung für guten Rap? Oder anders formuliert was favorisieren sie: Bissige Punchlines oder raffinierte Wortspiele?

Rap braucht kein Abitur, Abitur ist jedoch sicherlich auch kein Hindernisgrund für eine Rapkarriere – es sei denn, die Eltern haben bereits andere Pläne mit dem Nachwuchs. Wenn ich mir eine Platte anhöre, dann interessiere ich mich nicht für Schulabschlüsse, sondern dafür, ob mich eine Platte bewegt. Dabei hängt es von meiner Tagesform ab, ob ich bissige Punchlines oder raffinierte Wortspiele bevorzuge!
Wer waren ihre Kinderhelden?

Wie es der Zufall so will, habe ich dazu bereits vor Jahren einen Eintrag in meinen Blog (hier nachlesbar) verfasst. Um das Ganze etwas abzukürzen, möchte ich an dieser Stelle Namen wie Kastelruther Spatzen, Pet Shop Boys, E-Rotic und Nana in den Raum stellen. Alles weitere lesen Sie bitte in meinem Blog.
Welche deutschen MCs würden sie in das (noch zu errichtende) Herr Merkt Pantheon einlassen – drei Nennungen möglich. Und welche internationalen MCs?

Eine Begrenzung der Nennungen auf drei Zeremonienmeister grenzt beinahe an Folter, ich werde jedoch mein Möglichstes tun. Aus deutschen Landen würde ich zum aktuellen Zeitpunkt vermutlich Olli Banjo, Marteria und sido Einlass gewähren. 
Olli Banjo, weil er technische Finesse, thematische Vielfalt und unterhaltsame Konzepte am überzeugendsten verbindet – sprich: ein kompletter MC. Marteria, weil er mit „Zum Glück in die Zukunft“ der öffentlichen Wahrnehmung von HipHop einen positiveren Anstrich verliehen hat. Und sido, weil er nachweislich der beste Entertainer im Spiel ist.
International möchte ich ohne weitere Begründungen die folgenden Zeremonienmeister nennen: Immortal Technique, Kanye West, Jay-Z. Eminem wird an dieser Stelle nicht genannt, da er sich in meinen Augen mit seinen beiden letzten Alben selbst entzaubert hat.
Wo stehen sie? Mit einem Fuss in der Oldschool? Mit beiden Beinen im aktuellen Musikleben oder sind sie eher auf der steten Flucht in die Zukunft?

Ich würde mich als geschichtsbewussten HipHop-Kopf mit zwei offenen Ohren für neue Strömungen bezeichnen. Wenn Sie es so nennen wollen, stehe ich zwischen Ihren Antwortalternativen.
Peinlichste Aktion im dt. Hip Hop in 2010?

Die gewaltsame Lösung von Meinungsverschiedenheiten ist mir aus einer erwachsenen Perspektive doch sehr peinlich.

Erfreulichste Aktion in 2010?

Persönlich habe ich mich natürlich am meisten an Marsimotos „Frau Merkt“ erfreut. Von größerer allgemeiner Relevanz dürfte jedoch das wunderbare Abschneiden von Marterias „Zum Glück in die Zukunft“ sein. So oder so war Marten Laciny in dieser Spielzeit der größte aktionsgebundene Freudenspender!
Wer sind ihre Leistungsträger in 2010?

In meinem Jahresrückblick (hier nachlesbar) belegen Marteria, sido, Maeckes, Kollegah und Tefla & Jaleel die vorderen Ränge. Vermutlich müsste man besagter Liste noch Morlockk Dilemma hinzufügen, dessen eisernen Besen ich in einem unachtsamen Moment während der Listenerstellung übersehen habe.
Warum eigentlich diese Liebe zur Kultur? Wie motivieren sie sich in Zeiten der Blaupausenclowns und Instanttrends?

Wieder einmal muss ich gegen Ihre Übergeneralisierung protestieren. Wenn man einen genaueren Blick hinter die Fassade von HipHop deutscher Machart wirft, so wird man eine lebendige Szene mit einer Vielzahl von eigenständigen Künstlern entdecken. Vor allem in der Spielzeit 2010 hatte eigentlich jeder erfolgreiche Zeremonienmeister ein individuelles Alleinstellungsmerkmal, welches ihn von seinen Kollegen abhob.
Vernetzung in Deutschland, stark genug oder fehlt noch ein wenig? Oder gibt es ein Konkurrenzdenken das hemmt?

In Ermangelung eines ausführlichen Soziogramms der Deutschrap-Szene vermag ich diese Frage leider nicht zu beantworten. Jedoch zweifele ich die von Ihnen implizierte grundlegend positive Auswirkung von Vernetzung an. Man sieht ja, welch musikalische Grausamkeiten der Entourage einiger Camps entspringen. Bevor hier jetzt Gerüchte entstehen, möchte ich anmerken, dass damit nicht das Kölner Label gemeint ist. Zumindest nicht jenes, welches Huss & Hodn, Sylabil Spill und O-Flow zu seinem Küntlerrepertoire zählt.
Ich selbst versuche mich bewusst aus Netzwerken heraus zu halten, da ich nicht in irgendwelche Abhängigkeiten geraten möchte. Jedoch gönne ich jedem Kollegen mit entsprechender Qualität und Individualität seine Klicks, so dass ich in dieser Hinsicht nicht von einem hinderlichen Konkurrenzdenken sprechen würde.
Rapjournalisten der alten Schule haben sicherlich auch sie motiviert. Haben sie geweint als Supreme abgesetzt wurde? – Seien sie ehrlich.

Supreme habe ich zu meiner Schande nur am Rande mitbekommen, da ich damals hauptsächlich den Künstlern aus dem Umfeld Master Ps (von No Limit Records und nicht vom Blumentopf) hörig war, die in diesem Format kaum stattfanden. Die Absetzung von Mixery Raw Deluxe oder der täglichen Ausgabe von fettMTV war da schon ein größeres Drama. Zum Glück kehrte Mixery Raw Deluxe gemeinsam mit Supremes Falk wieder zurück auf unsere Bildschirme – wenn auch „nur“ über das Internet!
Auf welche Leckereien darf sie das Gourmetohr bei der nächsten Kennenlernrunde einstellen? Und ne paar Nebenfragen: (1) Wie kann man sich ihre Selektion der Songs vorstellen? (2) Haben sie manchmal auch Wunschinterpreten die nicht liefern oder die sich weigern für ein nichtkommerzielles Format wie ihren Sampler zu arbeiten?

Ich darf an dieser Stelle exklusiv verkünden, dass Kennenlernrunde Vol. 11 am 11.11.11 um 11:11 Uhr erscheint. Daher werden Sie sicherlich verstehen, dass die Planungen noch nicht allzu ausgereift sind. Es gibt ein paar heiße Kandidaten, aber ich möchte an dieser Stelle nicht über ungekochte Eier sprechen.
Zu Ihren Nebenfragen: (1) Den Großteil der Titel hole ich mir mittlerweile gezielt von Künstlern ab, die ich als würdig erachte. Natürlich erhalte ich auch viele eMails mit Anfragen und Titelvorschlägen, die aufgrund von Formfehlern (im Sinne von: Titel wäre nicht exlusiv) oder mangelnder Qualität abgewiesen werden. 
(2) Sicherlich gibt es auch Wunschinterpreten, die aus zeitlichen Gründen nicht an der Kennenlernrunde teilnehmen können. Jedoch konnte ich mir mit den Beiträgen von Olson Rough, Megaloh und Pierre Sonality bei dieser Ausgabe gleich drei dieser Kandidaten sichern. Dass sich ein Künstler explizit weigert, für ein nicht-kommerzielles Format zu arbeiten, habe ich bis jetzt noch nicht erlebt. Wir werden sehen, inwiefern diese Aussage auch dann noch Gültigkeit besitzt, wenn in wenigen Tagen die Anfragen für „Kennenlernrunde Vol. 11“ rausgehen und bei einer Deadline, die in ferner Zukunft liegt, der Zeitfaktor keine wesentliche Rolle mehr spielen dürfte.
Hat sich die Arbeit als Rapfachjournalist durch die breite Digitalisierung vereinfacht oder wurde sie durch die immense Vielfalt und den hohen Output erschwert?

Bei der Bezeichnung meiner Person als Journalist wird der ein oder andere Leser sicherlich an die Decke gehen. Daher beantworte ich diese Frage lieber einmal aus der Perspektive eines irrelevanten Möchtegernjournalisten SLASH Bloggers. Weiterhin muss ich die Frage insofern einschränken, dass ich während der nicht-digitalen Phase ausschließlich in meiner Funktion als Konsument tätig war. 
Wenn ich mich jedoch rein hypothetisch in eine Zeit vor der Digitalisierung zurück versetze, so würde ich durchaus annahmen, dass es heutzutage einfacher ist, mit Künstlern in Kontakt zu treten als in der analogen Zeit, in der Künstlerkontakte ausschließlich über andere Kanäle funktionierten. Auch hat sich die Digitalisierung des Produkts in sofern positiv auf die Arbeit als Blogger ausgewirkt, dass man dem Leser – zumindest im Falle von Videos oder kostenfreien Downloads – das besprochene Produkt gleich mitliefern kann. 
Je nach den Autoritätsansprüchen eines Mediums ist dies eventuell sogar ein Nachteil, da der Leser nicht mehr alles wortlos schluckt und gegen die Autorität des Mediums aufbegehren kann. Digitalisierung ist wundervoll!
Weshalb schreiben sie so selten Rezensionen und fokussieren sie sich so stark auf Videos? Audiovisueller Typ oder einfach arbeitsökonomischer Zeitzwang?

Dabei handelt es sich ausschließlich um eine Frage der Zeit. Da einige meiner Kolleginnen und Kollegen mein digitales Schaffen aufmerksam verfolgen, bin ich vermutlich gut beraten, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass ich mich vielmehr meinem Arbeitgeber als meinem Blog verpflichtet fühle. Ich hoffe jedoch, im kommenden Jahr wieder mehr Kurzkritiken zu schreiben. Als nicht-kommerzielles Produkt muss ich mich im Umfang und in der Sorgfalt meiner Reviews schließlich höchstens an der HipHop-Bravo messen. 
Und diese nennt in ihren Zehn-Zeilern schließlich auch gerne einmal Titel, die es aus Zeitgründen nicht mehr auf Alben geschafft haben bzw. niemals für Alben vorgesehen waren, als Album-Highlights.
Welche Art von Rap fehlt noch in den deutschen Landen? Und von welcher Art Rap haben sie genug und fordern sein Aussterben?

Ich denke, dass Deutschrap in punkto Vielfalt sehr gut aufgestellt ist, daher bin ich in dieser Hinsicht wunschlos glücklich. Der zweite Teil Ihrer Frage lässt sich hingegen nicht so einfach beantworten, so dass ich etwas ausholen möchte. Zu Beginn meines Daseins als HipHop-Blog entstand offensichtlich der Eindruck, dass ich mir aufgrund von kritischen Äußerungen gegen Massiv, La Honda oder Bushido ein Aussterben des Genres „Gangsterrap“ wünsche. Ein klarer Fall einer Fehlwahrnehmung, die im Extremfall dazu führte, dass mich Rapper kontaktierten, die genauso sehr neben dem Takt ihre linke Propaganda an den Mann bringen wollten. 
Scheinbar kam bei diesen Menschen nicht an, dass ich mich mit meinen Aussagen nicht gegen „Gangsterrap“, sondern gegen schlechten Rap positionierte. Da zu dieser Zeit eben vor allem schlechter Gangsterrap in die Öffentlichkeit gespült wurde, kam es dabei offensichtlich zu einem Ungleichgewicht in meiner Berichterstattung, die jedoch keinesfalls die Forderung nach der Auslöschung eines Subgenres beinhaltete. Vielmehr sollte schlechter Rap aus allen Subgenres eliminiert werden. Leider sind jedoch viel zu viele Blogs vielmehr Sklave ihrer LayerAds-Abrechnung anstatt der künstlerischen Qualität.
Und mit diesen wunderbaren weisen Worte schliesse ich dann für heute die Pforten des Digitalen Flaneurs. Feedback ist auf beiden Seiten sicher gerne gesehen.

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