Herr Erdmann und die Revolution, die er nicht will, aber kriegt

Also hat er mir ein Grundmissverständnis angedichtet und gleich selbst eines erfunden. Ja, ich weiß. Das ist jetzt schon wieder zwei volle Wochen her. Der Erdmann antwortet auch immer viel zu schnell und ich lasse mich da bestimmt nicht hetzen. Aber eine Frage eilt dann doch: Wenn du nicht »die Revolution« willst, was willst du dann?

Herr Erdmann und die Revolution, die er nicht will, aber kriegt

Quelle: wordans.com.au

Mensch, es läuft doch immer auf Revolution hinaus, wenn man den vollen Bruch mit dem Alten will. Man kann nicht das eine haben, ohne das andere. Die Linke ist seit mehr als anderthalb Jahrhunderten am »Bruch mit dem Herrschenden« dran. Das ist ihr Metier. Zwei Vorstellungen setzten sich bei ihnen historisch durch, wie man das bewerkstelligen könne: Entweder durch Reformismus oder durch Revolution. Ein dritter Weg hat sich bis heute nicht eröffnet und ich muss zugeben, dass ich mir einen solchen dritten Weg auch gar nicht vorstellen kann. Zwischen diesen beiden Formen liegt die Demarkationslinie zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten oder Sozialisten. Wenn du mir also vorwirfst, ich sei »Soze«, dann sagst du damit auch: »Du bist Reformist und unbelehrbar.« Für einen Kommunisten halte ich dich jetzt ja nicht. Aber sag mir doch mal genauer, wie du dir so einen Wechsel vorstellst, wenn du der Ansicht bist, dass das System nicht reformierbar ist.

Daher unterstelle ich dir, dass Du die Revolution »ungewollt willst«. Ich halte meine Unterstellung nicht für ein Grundmissverständnis, denn ich nehme an, dass auch du keinen dritten Weg finden wirst. Erdmann, du bist ein helles Köpfchen, aber hier stößt auch du an deine Grenzen. Nimms nicht so schwer, daran sind schon ganz andere gescheitert. Auch Leute, die nicht unbedingt dieses romantische Bild von Revolution mit Barrikaden, Kokarde an der Brust und ausgeteiltem Eintopf für alle hatten. So bist du auch nicht. Das merkt man ja auch. Romantizismen dieser Art sind dir fremd, auch wenn du natürlich, wie fast jeder Linker, der nicht aus dem technokratischen Milieu dieser Weltanschauung stammt, Romantiker bist. Ich ja auch. Gebe ich auch zu.
Es juckt dir schon in den Fingern, habe ich recht? Ruhig Blut. Lass dir diesmal mehr Zeit, zünd dir erst noch eine an und verdammt, setz mich nicht mit schneller Antwort unter Druck. Dem amtierenden System machen wir zum Vorwurf, dass es nicht entschleunigt und nur so rennt und dann bist du auch nicht besser.
Klar, du hangelst dich ein wenig an der Bewusstseinserweiterung ab. Das wäre der Weg, der dir vorschwebt. Die Leute sollten einsehen, dass sie einem moribunden System anhängen und sich dann Gedanken machen. Aber Erdmann, das haben auch schon Leute vor dir getan. Und dort, wo ihnen die Geschichte den Raum bot, die Gesellschaft tatsächlich neu zu strukturieren, ging man mit diesem idealistischen Eifer auch ans Werk. Meist erkannte man schnell, dass »die große Umdenke« nicht so reibungslos klappt. Dann mobilisierte man die Menschen und rief zur »Fortführung der Revolution« auf. »Viva la revolución!« und so. »Hasta la victoria siempre!« und immer so weiter mit solchen Losungen.
Das was ich demnach mit »die Revolution« meine, ist ja nicht unbedingt Straßenkampf und die Montur der Gewalt, sondern eben diese dauerhafte Mobilisierung zur Erlangung gleichgeschalteter Ideale. Mit dem Ideal ging es auch in der Sowjetunion an, aber bald merkte man, dass man die Revolution nicht verebben lassen darf, denn dann werden auch deren Ideale matt - vor allem dann, wenn nicht gleich alles so funktioniert, wie man es sich ausmalte. Kurzum, wenn du das Bewusstsein schärfen willst, dann brauchst du »die Revolution«. Auch deshalb gibt es aus meiner Sicht kein Grundmissverständnis zwischen uns.
So, und nun noch ein Wort zu Marx. Der Mann ist wie die Bibel. Du findest immer passende Stellen zu allem. Die Bibel gilt als eine Sammlung der Mildtätigkeit und rät an manchen Stellen trotzdem, man solle seine Frau - oder wahlweise sein Kind - züchtigen, wenn man sie liebe. Ganz so krass ist es mit Marx nicht, aber so eindeutig ist er eben auch nicht. Verklären wir den Mann nicht. Privat war er ohnehin charakterlich ausbaufähig. Aber das ist egal. Ich bin als Privatmann vielleicht auch ein blöder Arsch. Aber er sah über viele Jahrzehnte einen Zusammenbruch des Ancien Régime voraus, das dann, weil es eben schon kapitalistisch war, direkt in den Sozialismus münden müsse. Aus dem Kapitalismus würde demnach das Neue erblühen.
Fast sein Leben lang schrieb er, dass die Revolution jetzt schon spürbar sei. Jetzt ginge es los, schrieb er mehrmals Engels oder irgendeinem Sozialisten in der Welt per Brief. Als er starb war alles immer noch halbwegs beim Alten. Bis heute. Unfehlbar war er schon mal nicht. Zum Glück. Ist diese Masche, ich sollte Marx widerlegen, um meine Ansichten zu untermauern, irgendwie ein Überbleibsel aus einem jener Marx-Lesekreise? Der Mann war eine Person des 19. Jahrhunderts. Weite Teile seiner Analyse sind noch immer zutreffend. Viele eben nicht, waren spekulativer Natur. Nein, Erdmann, du musst schon konkreter werden, wenn du mir mitteilst, dass ich erst zum Widerlegen gehen soll.
Du glaubst ferner nicht an das Geldverdienen, schreibst du. Also nicht in dem Sinne, dass ein System, das darauf beruht, Rendite noch rentabler zu machen, nicht funktionieren kann. Und da bin ich doch bei dir, Mensch. Wenn du mir »die Welt als Wille und Vorstellung« unterstellst, dann ist das auch so ein Missverständnis. Ich stelle mir ja relativ wenig vor. Und ich behaupte auch nicht, dass Reformismus immer und überall funktionieren wird. Vielleicht bin ich zu sehr Kulturpessimist, um anzunehmen, dass irgendein (Wirtschafts-)System je reibungslos klappen könnte. Jetzt aber so zu tun, als könne die Maximierungsmasche nicht in Bahnen gelenkt werden, die halbwegs vernünftig sind, halte ich für ein anderes Extrem.
Versteh mich richtig: Wenn wir jetzt von einem Weg in eine neue Wirtschaftsordnung mit neuer Ethik und Ausrichtung quatschen, dann meine ich nicht, dass wir einen Ansatz finden können, der für alle Zeit hält. Dann geht es eben vielleicht und hoffentlich eine Weile besser. Bis es wieder kracht. Das kannst du jetzt einen »Willen, dem die Entwicklung folgt« nennen. Aber eine Gesetzmäßigkeit der Entwicklung ist für mich: Nichts ist für ewig. Auch dieser Text nicht. Und so harre ich deiner Antwort. Aber nochmal: Es gibt keinen Grund zur Eile, ich bin kein Mann für »auf die Schnelle«. Bis in zwei Wochen.
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