Hermann, die Neger und ich

oder Warum ich sagen kann, was einem wie dem Herrmann nicht gelingt.
Hermann, die Neger und ichLetzte Woche um exakt diese Zeit schrieb ich von unseren Negern im Osten. Neger! Am selben Abend jenes Tages nannte der bayerische Innenminister in einer Talkshow einen kubanischen Schlagerstar einen »wunderbaren Neger« und erntet Zorn. Darf man dieses Wort denn gar nicht mehr gebrauchen? Das wird man doch noch mal sagen dürfen, oder nicht? Wenn man es zynisch meint, provokativ und polemisch, wenn man etwas mit diesem Unwort unterstreichen will und einen Missstand dokumentieren -  dann kann man es sagen, ja. Wer es bei Aufmärschen so genannter Patrioten gebraucht, der ist doch ganz anders zu bewerten als jemand, der damit jongliert und es als Zynismus verbraucht. Aber die politische Korrektheit und ihre Shitstormianer machen keinen Unterschied mehr. Im Namen einer besseren Welt und Gesellschaft. Doch wer nicht mehr differenzieren kann, der schafft das Gegenteil dieses Planes.

Herrmann hat es so gemeint. Zynisch. Er bezog sich auf einen Einspieler, der Minuten vorher eine lächerliche Gestalt aus dem Freitstaat Bayern zeigte, die von Negern sprach und überheblich betonte, dass sie eben von Negern sprach. Quasi als Ausdruck politischer Unkorrektheit und damit als Ausdruck von zivilem Ungehorsam, wie ihn Rechte heute verstehen. Der Mann nennt Schwarze wohl so, weil er sich vom »linken Zeitgeist« an die Wand gedrückt fühlt. Was für ein Widerstandskämpfer! Herrmann griff diese Intelligenzbestie auf und sagte den Satz, der jetzt überall zitiert wurde. Er wollte damit auf den Kollegen aus seinem Freistaat zu sprechen kommen. Provokativ und polemisch, damit dem Kerl spotten. Und ich verteidige Herrmann heute mal, obgleich ich ihn für hochgradig falsch für diese Demokratie bewerte. Er fiel oft negativ auf. Aber wenigstens doch so geschult, dass er nicht Neger zu einem Schwarzen sagen würde, ist er dann doch. Womit klar ist, dass er sagen wollte: »Horch amoi, Spezl aus meim Land, d' Nega kenna se a integriern. Da Blanco is nua so ein Beispui. Du Depp, du Pack, du oida Dreckbär.«
Nun gut, er hätte es fränkischer gesagt. Und seinen Integrationshintergedanken und seine Leitkulturansprüche muss man ja auch nicht teilen. Aber dass er da wie einer vom Ku-Klux-Klan gesprochen habe, das scheint völlig abwegig. Er selbst wollte Stellung gegen Rassismus beziehen. Das ist gründlich misslungen, was an mehreren Faktoren lag. Einerseits, weil man einem solchen Mann nicht abnimmt, dass er zynisch sprechen kann - und andererseits weil man bei seinem Zynismus jeglicher Feinsinn fehlte. Er agierte wie ein grobmotorischer Schuljunge, dem man etwaige Feinmotorik im Umgang mit so einem Thema nicht attestieren kann. Insofern konnte er sich so einen Kniff nicht leisten. Trotzdem sollte man ihm zugestehen, dass er es nicht so gemeint hat, wie man es ihm nachsagte.
Kurzer Einwurf: Ohne jetzt arrogant wirken zu wollen, habe ich in dieser Sache wohl einen anderen Leumund. Mir nimmt man ab, dass ich es zynisch meine, wenn ich Ossis als Neger oder meinen spanischen Vater als Hausneger bezeichne. Schließlich hetze ich nebenbei nicht gegen Flüchtlinge oder Moslems, weise nicht auf Ausweisung hin oder deklariere nicht die hiesige Gesellschaft als exklusive Gemeinschaft. Das verschafft mir Vorteile auf der zynischen Ebene. Herrmann hat polemisch versagt, weil er diesbezüglich ein Glaubwürdigkeitsproblem hat.

Dennoch bin ich bereit dazu, ihm zu glauben. Er hat es sicher so nicht gemeint, wie es diese Shitstormianer ihm jetzt anhängen wollen. Dumm gelaufen, weil er sonst auch dumm ist in seinem Auftreten. Aber einer, der die extremistische White Pride hochhält in Wort und Schrift, ist er sicherlich nicht. Und es stellt wahrscheinlich ein viel größeres Problem dar, dass diese Shitstormianer keine Differenziertheit mehr besitzen, als dass ein Innenminister verunglückt dezidiert sein will. Denn denen geht es um einen rigorosen Anspruch, nicht etwa darum, alles auf bestimmte Art und Weise sagen zu können. Sie nehmen die Nuancen aus dem Kontext und stürmen mit einer Orthodoxie los, die keinerlei Gespür mehr zulässt für Abstufungen und Schattierungen. Das ist nicht vernünftig oder dergleichen - es ist inquisitorisch und letztlich eine Tyrannei, die jede Abweichung wie Ketzerei behandelt.
Unworte sind durchaus zu gebrauchen. Richtig eingesetzt, machen sie einen Umstand nachvollziehbarer, erweitern das Spektrum einer Diskussion um Spitzen, die manchmal nötig sind. Sie grundsätzlich aus der Kommunikation zu verbannen, zeugt nicht gerade von einem Stil, den man offen nennen könnte. Ob nun jemand »Du Neger!« keift oder vom »wunderbaren Neger« spottet, den sich Ewiggestrige so gerne als Bediensteten wünschen, ist ein massiver Unterschied. Es hat wie jedes Wort einen doppelten Sinn, eine verschieden interpretierbare Auslegung. Mit Wortstürmer-Mentalität raubt man letztlich der Sprechkultur kleine Nischen, in die man seinen Alltagszynismus legen kann. Wenn Schwarze zum Beispiel weiterhin sozial ausgegrenzt werden im weißen Teil der Welt, wenn sie billig schuften sollen, dann kann man vernünftig darüber reden oder aber auf den Punkt kommen und sagen, dass sie wieder mal Feldneger sein sollen.
Oder man denkt eben an Onkel Tom, den gutmütigen Schwarzen, der nette Geschichten erzählt und sein Umfeld unterhält, nennt Blanco nach diesem Muster wie oben zitiert und persifliert damit die Haltung von Leuten, die Jérôme Boateng oder David Alaba zujubeln, aber ansonsten verächtlich von »den Negern« sprechen, weil sie den Begriff als ihr gutes Recht ansehen. Man sagt eben »wunderbarer Neger«, weil man damit zum Ausdruck bringen möchte, dass Schwarze für viele Dummköpfe durchaus legitim sind, wenn sie unterhalten und entertainen, wenn sie singen und kicken, wenn sie laufen und beim Afrikaner an der Ecke bedienen. Aber neben ihnen wohnen? Und exakt so ein Exemplar gab es im Einspieler vor Herrmanns Äußerung. Ein bayerischer Seppl, der ganz stolz war, weil er laut »Neger« in die Kamera sagen konnte und diesen Begriff freilich ganz anders meinte.
Der Historiker Sebastian Jobs meinte im Zuge dieser Debatte, dass der Begriff immer »Unterwerfung, Gewalt - und zugleich die Rechtfertigung, warum die Unterwerfung gut sei« meine. Da stimme ich völlig zu. Das tut er. Und daher kann man ihn gebrauchen, um etwas wie gesagt zu unterstreichen, in einen Kontext zu rücken. Ihn zu verschlucken, weil man es halt nicht sagt, bedeutet aber auch, diese Konnotationen zu verwischen. Dabei ist es nötig, rassistische Handlungsweisen und Denkmuster mit dem Erbe derer zu verquicken, die man einst als Neger bezeichnete. Wenn man etwas sagt, um es als unsäglich zu skizzieren, dann sollte man es richtig arrangiert auch sagen dürfen, ohne dass gleich Menschen auf den Plan treten, die keinerlei Gespür für solche Zynismen besitzen. Das alles heißt aber letztlich natürlich nicht, dass Herrmann ein guter Streiter in dieser Angelegenheit ist. War er nie. Herrenmensch war er immer. Das gehört zur Lebensart bayerischer Politiker. Aber in dieser einen Sache muss man ihm nichts andichten. Er wollte zynisch sein und ist wohl gescheitert. Mehr aber auch nicht.
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