Was
für ein Comeback! Joaquin Phoenix, der ganz offensichtlich
wahnsinnig geworden war und seine Schauspielkarriere aufgegeben
hatte, um fortan ein Rap-Superstar zu werden, sich anschließend in
oberpeinlichen Auftritten volltrunken und pöbelnd an der Geilheit
seiner eigenen Person ergötzte, nur um dann der Welt mit zu teilen,
alles sei nur ein Fake gewesen; dieser Joaquin Phoenix kehrt
plötzlich auf die große Leinwand zurück und spielt sich in „The
Master“ förmlich die Seele aus dem Leib. Weil es ein böser Film
ist, der von großmächtigen und manipulativen Sekten handelt- mit
denen Hollywood nicht all zu gerne in Verbindung gebracht wird –
wird seine Leistung nicht im verdienten Maße honoriert. Also
schaltet der Underdog einen Gang zurück und dreht mit einem anderen
Underdog einen niedlichen, kleinen Liebesfilm und wird prompt mit
einer Oscar-Nominierung belohnt. Und wem verdankt er das alles?
„Her“!
Theodore
ist der beste Briefeschreiber, den es gibt. In einer nahezu
vollständig digitalisierten Welt, sind Briefe out. Kaum jemand nimmt
sich noch die Zeit, sich hin zu setzen und seinen Lieben einen Brief
zu schreiben. Dafür gibt es jetzt Dienstleister, wie Theodore. Weil
er in einer kalten, technisierten Welt ein so sensibler Mensch ist,
kann er damit seinen Lebensunterhalt verdienen. Privat geht es ihm
allerdings nicht so gut. Er hat gerade eine Trennung hinter sich und
lebt allein. Eines Tages sieht er die Werbung für ein neuartiges
Operatingsystem, welches die brandneue Technik der künstlichen
Intelligenz nutzt. Theodore legt sich das Betriebssystem zu und nach
einer Reihe von Fragen, die er beantworten muss, piepst es plötzlich
und Samantha ist da. Beziehungsweise ihre Stimme. Die wirkt nicht
weniger real, als die eines echten Menschen und Theodore versteht
sich prächtig mit ihr. Ihre Neugier und Auffassungsgabe gibt
Theodore neue Perspektiven und sie gibt ihm die Gesellschaft und das
Verständnis, nach dem sich seine verletzte Seele so sehnt. Er weiß,
dass Samantha nur ein Stück Software ist, und doch fühlt er sich
immer mehr zu ihr hingezogen. Doch kann sich ein Mensch in ein
Operatingsystem verlieben?
Ja!
Denn das ist ein Film von Spike Jonze. Seinen Filmen haftet immer
etwas skurriles und abgedrehtes an. Denken wir nur an „Being John
Malkovich“, in dem John Cussack durch eine geheime Tür in den Kopf
des berühmten Schauspielers gelangt und ihn steuern kann. So
abgedreht dieses Szenario auch daher kommt, lässt es sich auf wenige
essenzielle Kernmotive reduzieren. Bin ich zufrieden mit meinem
Leben? Wäre ich gern jemand anderes? Habe ich angst vor dem Leben?
Oder eher vor dem Tod? „Wo die wilden Kerle wohnen“ ist das
eskapisrische Abenteuer eines kleinen Jungen, der sich in seiner Welt
von allen Mitmenschen missverstanden sieht. Und „Her“ erzählt
von der Liebe zwischen zwei Wesen, die sich über eventuelle
technische oder physische Grenzen hinaus entfalten kann und genau so
viel Glück oder Leid bringt, wie die Liebe zwischen zwei Menschen.
Spike Jonze schafft es also erneut, eine fundamentale Botschaft in
einen etwas abedrehten Rahmen zu stecken. Das macht Spike Jonze immer
so und in den meisten Fällen funktioniert es auch. Besonders stolz
ist er immer auf seine ausgefallenen Design-Ideen. „Her“ ist
einige Jahre in der Zukunft angesiedelt. Überall Plexiglas und weiße
Monitore. Menschenleere Bergregionen, völlig überfüllte Strände
und alles glitzert ein bisschen in einer leicht angestaubten
60er-Jahre-Ästhetik. Es entsteht ein etwas merkwürdiges Bild voller
Kontraste. So, wie die Hauptcharaktere. Einer ist ein Mensch und
einer ist ein Stück Software und trotzdem haben sie so viel
gemeinsam.
Joaquin
Phoenix spielt hier einen sensiblen, verletzlichen Menschen, der sich
nur nach Wärme sehnt, in einer Welt, die zunehmend kälter zu werden
scheint. Und das macht er gut. Mit seinem, etwas schiefen Gesicht,
dem leichten Genuschel wirkt er stets unsicher und verschüchtert und
man möchte sich die ganze Zeit um ihn kümmern. Scarlett Johansson
ist eine tolle Sprecherin. Sie hat mich in dieser Sprechrolle mehr
überzeugt, als in allen Filmen, in denen sie zu sehen war. Auch,
wenn sie sich eine Gesangseinlage nicht verkneifen kann, funktioniert
sie als Stimme einer faszinierenden künstlichen Persönlichkeit
total gut. Beeindruckend ist mal wieder Amy Adams, die immer häufiger
ihre Wandlungsfähigkeit beweist und vermuten lässt, dass sie wohl
noch einiges mehr auf dem Kasten hat, als man bisher vielleicht
gesehen hat.
Spike
Jonze hatte eben schon immer ein Händchen für spannende
Besetzungen.
Insgesamt
ist „Her“ sehr schlicht und angesichts der ausschweifenden
Werbekampagne und der Vorberichterstattung könnte es sein, dass hier
Erwartungen geschürt wurden, die der Film gar nicht erfüllen will.
Es ist ein kleiner Film, der nicht übertreibt. Weder in seiner
visuellen Darstellung, noch bei der Thematisierung tiefster Gefühle.
Will sagen, der Film ist weder überinszeniert, noch zu kitschig.
Unspektakulär, könnte man vielleicht sagen, wenn man es auf die
positiven Aspekte dieses Wortes bezieht.
„Her“
bietet eben einfach ein vergnügliches Kinoerlebnis, welches man
nicht überbewerten sollte. Für eine dicke Portion der visuellen
Gewalt eines Spike Jonze müssen wir eben einfach noch auf seinen
nächsten Film warten, in welchem er sich aber ruhig wieder richtig
austoben darf.
Her
(USA, 2013): R.: Spike Jonze; D.: Joaquin Phoenix, Scarlett
Johansson, Amy Adams, u.a.; M.: Arcade Fire; Offizielle Homepage
In
Weimar: lichthaus
Kineast
im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.