von Hans-Peter Schröder
Was ist das? Es ist normalerweise 75 cm groß, aber manchmal ist es doppelt so groß. Es ist ein Lebewesen. Alles an ihm ist eßbar, außer einige seiner Teile, die als ausgebildete Segelflieger an luftakrobatischen Vorführungen, wie Langzeitflügen und Gleitschirmwettbewerben teilnehmen und die für ihre Luftkapriolen simpel aufgebaute, Hochbiologie voraussetzende, Gerätschaften benutzen.
Terminal
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Das Lebewesen besitzt den Stapelschein allererster Klasse, es verpackt seine Segelflieger samt Flughafen derart geschickt, daß mehr als 100 Stück in eine Hülle von 7, 5 cm Länge passen, die am unteren Ende 2 cm Durchmesser hat und spitz nach oben zuläuft. Ausserdem liebt es die Art von Leichtigkeit, die unbeschwertes Reisen möglich macht. Vier Flieger wiegen zusammen weniger als 1/100 Gramm. Sobald sie gelandet sind graben sie sich in Erde ein. Ihr Fluggerät verwandelt sich in einen Tiefpflug.
Die Spezies ist alt. Sie repräsentiert zeitlose Schönheit. Einfache Klasse. Das Wesen fliegt mit seinen Bio-“Maschinen“ dem Menschen seit Ewigkeiten vor der Nase herum. Es fliegt den uralten Traum fast schwerelos. Es schwebt.
Break-away-Civilisation, ein Intermezzo für zukünftige Maestros
Eine Zivilisation, die vom Hauptast der Entwicklung, von uns Dummies, wegbricht und einen gelungenen Start und günstige Entwicklungsmöglichkeiten vorausgesetzt, zu einem Hauptast wird, nennt man Break away civilisation. Ursache der Ablösung kann eine kleingruppenhaftkollektive Unzufriedenheit in Form von Unterforderung sein oder der Aufbruch kann von einer vererbbaren Mutation oder von durch Schulung in Erziehung geformte und in Vererbung mündende, bewußte Gestaltung der Lebensumstände ausgelöst werden.
Denkbare Ursachen sind technologische Durchbrüche oder erweiternde „natürliche“ Veränderungen des bewußten Seins, die eine neue Weltsicht ermöglichen, ja geradezu erzwingen. Führungspersönlichkeiten mögen in ihrer Eigenschaft als Katalysatoren eine breaking Rolle spielen, doch erscheint es ebenso vorstellbar, daß ein Prozess selektiv eine Gruppe von Individuen aus der Masser heraus erfasst, die sich zusammenfindend, zu neuen Ufern aufbrechen.
Der Aufbruch verkrusteter Strukturen, das ist Folge und Ursache des Aufbruches. Eine kleine Beobachtung, ein Verweilen Hand in Hand mit genauerem Hinschauen, eine unmerkliche Veränderung des Standpunktes, wo bereits die Gewichtsverlagerung von rechts nach links umstürzlerische Folgen zeigt, wenn dies einem halbwegs wachen Menschen zustößt, dann wäre der Vorgang bereits als ein break away zu bezeichnen. .Ein Heraustreten aus der automatisierten Wahrnehmung. Was das mit unserem kühnen Flieger zu tun hat ?
Detail
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Ein einfaches Beispiel, auf unserem Planeten herrscht Gleichberechtigung, jeder hat dieselbe Chance. Jeder hat die Chance seine Lebenszeit mit „shoppen“ am Samstagnachmittag, mit Autowaschen oder Rasenmähen zu vergeuden oder sich mitten im Akt zu unterbrechen und `mal genauer anschauen, was er da momentan so wozu treibt und ob es das wert ist…… .
Und in so einem goldenen Moment der Abschaltung, in dem uns die Ahnung streift, vor 200, 300, oder 5000 Jahren, da hörte und blickte jemand im richtigen Moment auf und sah etwas durch das Blaue gleiten, der Wind trug es in die Höhe, wirbelte es, senkte es, es rotierte und entfernte sich über die Hügel.
Neugierig geworden suchte jener Mensch, in jenem Moment der halben Klarheit, den Heimatflughafen des Fliegers und fand in einer nahen Wiese eine Gruppe von Pflanzen von merkwürdigem Aussehen.
Er trat näher. 12 Generationen später flogen seine Nachkommen mit den Samen um die Wette zum Mond und darüber hinaus. Das geschah lange vor unserer Zeit. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann ……. .
Dynamik, ein Intermezzo für die Objekte der Sozio-Logen
Dynamische Prozesse, die eine Gesellschaft durchströmen, werden von drei Gruppen A, B und C mit unterschiedlichen Aufgaben/Präferenzen geregelt.
Es handelt sich:
A um die Innovatoren – die Erfinder, Pioniere, Scouts
B um die Multiplikatoren – die Rezeptoren, die aufnehmen und weitergeben, die Verbreiter
C um die Konservatoren – die Bewahrer und Erhalter, die Bekanntes und Erarbeitetes der nächsten Generation vermitteln.
Während ein Überfluß an Innovatoren und Multiplikatoren herrscht, wirkt sich der Mangel an Konservatoren dahingehend aus, daß Bewährtes nicht erhalten wird, somit nicht darauf aufgebaut werden kann und immer wieder Neuerfindung benötigt, was den Fortschritt verlangsamt und schöpferische Kräfte bindet.
Was wiederum nicht ausschließt, daß es immer wieder Einzelpersonen Gruppen oder Völkern gelingt, die Mechanismen, durch bewußte Selbststeuerung, harmonisch außer Funktion zu setzen.
Tragopogon pratensis – der Wiesenbocksbart
Blütenwirbel, Samenkugel, Samenwirbel
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Entspannung: Blütenwirbel im Aufgang
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Der Blütenkorb entfaltet sich , 22. Mai
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Aufgang der Blüte, Durchmesser ca. 5 cm
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Die Blüte schließt sich und verwandelt sich unter Ausschluß der Öffentlichkeit
in ein Samenpaket, oben der „Bocksbart“, der die Flieger zusammenhält
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Erneute Entfaltung, dieses Mal mit fertigen Segelflugzeugbündeln
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Achtung Gewitter, alles zurückklappen, kein Flugwetter!
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Trocken! Aufrichten und Entfalten
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Noch nach oben offen
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100 startbereite Flieger, 13 cm Kugeldurchmesser
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Wir warten auf den Wind
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Nach der Brise am Terminal: Letzter Aufruf
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Drei Piloten (Samen 3,5 cm) mit Schirm (Durchmesser 4cm)
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Wenn sich das bescheidene Leichtgewicht, das ein Pusten davonträgt, weil es keinen Widerstand aufwendet, in die Luft erhebt, hat es die Bauanleitung für 100 Millionen Flieger seiner Art und aller Pflanzenzwischenstadien, das dazu benötigte Baumaterial und die Arbeiter, die alles bauen mit an Bord.
Der Zwerg ist eine Universalkapazität, gegen den die Creme unserer Experten wie Paranoiker wirken, die sich unentwirrbar in Fußnoten der Enzyklopädia Britannica verstricken und daraufhin behaupten, ihre Fußkrankheit wäre ein Symptom von Fortschritt.
Wiesenbocksbartstudien, Bleisstift und Kugelschreiber, Blattgröße DinA4
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Résumé
Durch Naturbeobachtung war und ist es jederzeit möglich quantitativqualitative Veränderungen in uns selbst und davon ausgehend in unserer direkten Umgebung auszulösen, deren Verlauf aus der Entfernung, aus der Sicht der Anderen, „radikal bis zum Bruch“ erscheint und die in ihrer Konsequenz zum Verschwinden der Veränderten aus dem eingeschränkten Wahrnehmungsbereich der „Zurückgebliebenen“ führt, bei denen dann das große Vergessen einsetzt.
Man könnte jetzt einwenden, daß unsere Sinnesorgane eine natürliche Barriere darstellen, die es nicht erlaubt, Feinheiten zu erfassen und daß erst die Umwälzungen der letzten 200 Jahre zum Beispiel in der Mikroskopie es ermöglichen, Strukturen in ihren Feinheiten zu betrachten. Auch diesem Einwand begegnet die Natur mit Praxis……
Lilienlinsen
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Durch das Vergrößerungsglas
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Letztes Detail
Vielleicht sind WIR Mitglieder einer Break-away-Civilisation? Was wohl der Wiesenbocksbart davon hält?
Zwischen zwei Flügen gab er ein Interview. Ich mußte mich verpflichten, nur weiterzusagen, was ich glaube, verstanden zu haben. In seinem ersten Satz sprach er ein profanes Geheimnis an: „Junger Freund, Größe spielt überhaupt keine Rolle, Größe ist eine momentan-relative Größe und sagt nichts aus. Davon hast du ja bereits, wie ich sehe, eine Ahnung bekommen.
Nimm zum Beispiel mich, ich bin riesengroß, gigantisch, in mir sind ungeheuere Räume, gefüllt mit Trillionen von Pflanzen, jede einzelne, in ihrer Ganzheit, fein säuberlich in ein Samenkorn gefaltet, enthält alle anderen..
In euerer Hast nehmt ihr die Welt schemenhaft wahr, ihr seht entweder nichts, oder verschwommen und das führt euch in die Irre. Du zeigst sehr schön in deinen Bildern Ausschnitte aus meiner stufenlosen Verwandlung, die ihr als Weg, wie ihr es nennt, von der Blüte über den Samen bis zur neuen Pflanze bezeichnet. Für mich ist das alles eins.
Was ihr als Pflanze ansprecht, ist eines meiner Organe, eines meiner Ausdrucksmittel, das in euer Gesichtsfeld ragt. Wie ihr die Welt seht, ist , entschuldige bitte, etwas stark verkürzt. Ich passe mich euerem Verständnis an, wenn ich Bezeichnungen wie Wurzel, Blatt, Samen, Dolde, Halm übernehme und sage, da haben wir die Teile, hübsch aufgereiht nebeneinander, wie auf deiner Skizze, aus dem Zusammenhang gerissen, unfunktional, tot. Wie soll aus all dem Nebendurcheinander eine Ahnung des gewaltigen Ganzen erwachsen?
Betrachte die Blüte, im Wirbel entfaltet sie sich aus sich selbst, schließt sich zusammen, entfaltet sich erneut und dieses Mal enthält sie Samenpakete, zum Wirbel verdreht. Wieder dieselbe Wirbelbewegung. Jeder Samen mündet im zentralen Kern, er ist nicht starr verbunden, sonst wäre er unbeweglich, seine Befestigung und seine Steuerung geht von einer innenliegenden winzigen Zunge aus, die im Kern, im Terminal, wie du es nennst, verschwindet.
Die Samenpakete strecken sich, richten sich auf, ihre Schirme entfalten sich, bis die Kugel fertig ist. Ein Ballet von Bewegungen gleichzeitig ablaufend, dirigiert von einem simplen Ärmchen im hohlen Ende des Samens, das auf Wärme und Feuchtigkeit wie vorgesehen reagiert. Und jetzt stelle dir bitte alle Bewegungen, von der geschlossenen Blüte am Anfang bis zum Losfliegen der Samen, wie in einem Zeitrafferfilm, als eine einzige, harmonisch fließende Bewegung vor. Das mache ich jeden Tag.
Noch ein Wort an deine Kollegen, sobald es euch gelingt, euch als Geschehensablauf in einem Prozess in einem Prozess in einem Prozess zu sehen, in dem es keinerlei Trennung gibt und in dem jeder Scheinteil, zu jeder Scheinzeit, fähig ist, organisch den Gesamtprozess zu empfinden, habt ihr den ersten Schritt Richtung vorurteilsloser Betrachtung, der Voraussetzung jeder objektiven Erkenntnis, hinter euch.“
Ab da konnte ich ihm dann nicht mehr folgen….. .