Dank der stetigen wertvollen Mitarbeit von H.-P. Schröder können wir auf dem Julius-Hensel-Blog heute mit einer regelmässig erscheinenden Kolumne beginnen: der “Julius-Hensel-Sonntagsmatinee”. Jeden Sonntagmorgen in diesem Theater: Erheiterndes, Besinnliches oder Erstaunliches und ab und zu ein Quentchen Politisches, ein Panoptikum in Wort und Bild, dargeboten im Geiste Julius Hensels.
von H.-P. Schröder
für Mevlana Jelalu`ddin Rumi
Im Gegensatz zu ihren Untertanen schauen Potentaten routinemäßig über Grenzen, weil sie etwas erwarten, ohne es zu befürchten. Sie möchten wissen, was sich der Nachbarpotentat Neues geleistet hat, ob es dessen Frau gut geht, wie es um die dortige Küche bestellt ist, oder was die Bauern über den König denken. Alles wichtige Dinge, die Einfluss nehmen auf das Gemüt des Herrschers und die den Sterndeutern Aufschluss geben, über zukünftig zu erwartende Verhältnisse.
Manche Potentaten können ihre Arme zwar so weit ausstrecken wie die Schlangenmenschen, leiden aber an Kurzsíchtigkeit, die verhindert, daß sie sehen, wonach sie greifen.
Deshalb benötigen sie freundlich gestimmte Augen und Ohren, die sich für sie umsehen. Man nennt sie Späher, Spione, Beobachter oder Diplomaten, je nach Gemütslage. Mancher Spion hat sich nach einem ausgezeichneten Essen in einen Diplomaten und so mancher Diplomat unter den Gunstbezeigungen einer charmanten Dame in einen Spion verwandelt. Je nach Qualität des Essens und der Dame versteht sich.
Eines Tages hörte der König von Ui über Umwege, von einer Neuerwerbung seines Nachbarn, – es sollte sich um ein sehr großes Etwas, angeblich ein Tier von seltsamem Aussehen, handeln. Das ganze Land sprach hinter vorgehaltener Hand darüber und nannte es den Elephanten. Man erzählte sich Wunderdinge von ihm, von seiner Klugheit, seiner Kraft und seinem Appetit, aber niemand hatte das Tier bisher gesehen, oder konnte über sein Wesen, – ist es giftig?, oder seine Gestalt, – ist es überhaupt ein Tier?, eindeutige Auskunft geben.
Als es der König von Ui vor Neugierde nicht mehr aushielt, richtete er eine höfliche Anfrage an seinen Nachbarn und bat ihn um die Gunst, daß dieser eine Beobachtermission empfangen möge, die das Tier begutachten und nach ihrer Rückkehr Bericht erstatten solle, nicht ohne zuvor ausgiebig und in den wohllautendsten Phrasen die Taten und Verdienste seines Nachbarn im hellsten Schein der göttlichen Sonne zu beleuchten.
Nach einer Woche traf ein Kurier des Nachbarpotentaten ein und überbrachte eine Botschaft:
Lieber Bruder !
Mit großer Freude haben wir dein Ansuchen vernommen, deine edle Wissbegierde adelt dich und sei uns freudiger Anlass, deiner Bitte zu entsprechen.
Auf daß sich dein Eindruck ungetrübt von allzu täuschenden Äusserlichkeiten entwickele, schicke uns bitte 3, in Worten: drei, blinde Männer, die wir königlich empfangen und bewirten, denen wir Zutritt gewähren und die wir dir wohlbehalten wieder zurück senden werden.
Was ist in dem hinteren Speicherhaus neben deinem Gemüsegarten?
Dein dich umarmender Freund,
der König von Zapatadapata
Der König von Ui verspürte zuerst Enttäuschung, denn er fühlte sich ungerecht durchschaut, dann erzürnte er sich und dann geriet er ausser sich. Als er sich beruhigt hatte, wagten sich die Ratgeber in den Thronsaal und rieten dazu, das Angebot anzunehmen. Sie sagten zu ihm: „Ob du Blinde oder Sehende schickst, – immer bestimmt ein fremder Eindruck dein Urteil, ausser“, sprachen sie und betrachteten ausgiebig den Boden, „ ausser du gehst selbst… .“
Der König trat einen Schritt zurück, das ging ihm denn doch zu weit, viel zu weit weg, man kennt sich schließlich, dachte er, man kennt sich, weiß, was man voneinander zu erwarten hat, viel zu gefährlich, zum Schluß fragt er mich dann noch unhöflicherweise direkt nach dem Speicher. Nein.
Er fasste sich und trat einen Schritt vor und sprach: „Ich habe beschlossen, so geschehe es!“
An der Nachbargrenze übergab die Eskorte die drei blinden Männer der Leibwache des Herrschers von Zapatadapata, – den Experten für völlig unbekannte Tiere, einen Olfaktoren und einen für seinen Takt bekannten Taktilen.
Nach einem nicht zu schweren Mahl, mit Kaffe, Eis und Kuchen zum Abschluss, führte man die Männer in den Stall, wo sie sich sogleich mit allen Sinnen an das Werk machten. Der Olfaktor umkreiste den Elephanten 56 mal, wobei er jedesmal eine andere Geruchsprobe einsog, der Taktile wollte alles anzufassen, er kroch auf den Rücken des Elephanten und steckte seine rechte Hand in eines der Ohren und versuchte hartnäckig die Fußsohlen des Tiers zu befingern, was ihm einen verstauchten Finger einbrachte.
Die Wächer waren anständig beschäftigt, Unfälle zu verhindern. Der Experte für unbekannte Tiere stellte nach mehreren Tastversuchen fest, daß es sich um ein ihm völlig unbekanntes Tier handeln müsse, zweifelte jedoch insgeheim an seinen eigenen taktilen Fähigkeiten.
Die Drei entdeckten jede Minute Neues und verloren alle Lust, nach Hause zurückzukehren. Obwohl sie ihre Eindrücke untereinander austauschten und verglichen und hitzige Debatten führten, waren sie sich nach einer Woche immer noch nicht einig, um was es sich bei dem Elephanten handele, ein großes Tier gewiß, das Geräusche machte, ja, aber wie sah es aus?, es wirkte so zusammengesetzt, schien vollständig aus Teilen zu bestehen, die nicht zueinander passten. Und dann die Geräusche, das Prusten und Schnauben und das Kollern in seinem Inneren und die Gasausbrüche. Faszinierend. Nach einer Woche reagierte der Elephant zunehmend gereizter auf Annäherungsversuche.
Es war dann für Alle eine große Erleichterung, als ein Bote des Königs von Ui erschien, der anfragen ließ, ob etwas passiert sei und ob sie sich nicht endlich auf den Heimweg machen wollten. Das war ein eindeutiger Befehl.
Zuhause versammelte sich der Hofstaat im Audienzsaal. Die Drei hatten einen Sprecher ausgelost, der Olfaktor hatte verloren. . Er begann: „Hochverehrter König, wir danken dir für die Gnade die du uns erwiesen hast. Die Reise war beschwerlich und dauerte 7 Tage. Wir wurden gut behandelt, das Essen war ausgezeichnet, nur der Kaffee...“
„Komm` er zur Sache“, unterbrach ihn der König von Ui.
„Sehr wohl Majestät, ich verstehe, der Elephant…“, er schaute in die Runde, „Nach ausgiebigen Untersuchungen, die, wenn Majestät mir gestatten zu bemerken, nicht ganz ungefährlich waren…“
Ich gestatte dir garnichts, dachte der König.
„…. und nach ausgiebigen Beratungen sind wir zu folgenden Schlüssen gelangt: Der Elephant fühlt sich größtenteils warm und rauh an, an ihm sind Vorsprünge aus verschiedenen Materialien angebracht, er sondert Flüssigkeiten und Gase ab, es ist gefährlich, sich ihm zu nähern, da Teile von ihm ständig in Bewegung sind. Er ist groß und er legt sich ab und zu nieder. Dann wirkt er kleiner und man kann ihn gefahrlos betreten, wenn man sich schnell genug bewegt. Der Elephant bewegt sich langsam. Aus seinem Inneren ertönen seltsame Geräusche, er frißt, aber seine Nahrung schmeckte uns nicht besonders, etwas strohig könnte man sagen, bis auf die Früchte, die waren lecker…
Dem König wuchs eine Zornader auf der Stirn. „Und wie sieht er aus, der Elephant?“
„Sofort Majestät, ich komme darauf, einen Augenblick. Wie uns der Experte für völlig unbekannte Tiere versichert und er wäre bereit, das Ganze schriftlich zu fixieren, ist ihm so ein Tier niemals zuvor begegnet. Er steht immer noch unter Schock. Vor allem die Diskrepanz zwischen Flügelgröße und Körpergewicht gibt ihm Rätsel auf. Und wieso sind die Flügel nicht in der Körpermitte sondern am Kopf befestigt?“
Dem König von Ui platzte der Kragen: „Wisst ihr, was mich die Reise gekostet hat, die ganzen Geschenke für die Zapatadapataner?”
„Und die Fragen, die ich mir habe gefallen lassen müssen?“
Vor allem die unverschämte Frage nach dem Speicher, dachte er.
Und jetzt kommt ihr mit Flügeln? Das ist die Höhe…“, er zog eine große Papierrolle aus dem Ärmel „Flügel, Flügel, ich sehe nirgends Flügel, ihr meint vielleicht die in Reihen angeordneten grünen Zapfen hinter der Melkmaschine was, ha damit hättet ihr nicht gerechnet ihr Schurken, daß ich das weiß, was hat euch der König von Zapadapata bezahlt, daß ihr uns diesen Unsinn serviert, um uns zu verwirren, ihr Schurken, sofort heraus damit, wieviel?“
Der Olfaktor war vollkommen verwirrt und bekam es mit der Angst zu tun: „Aber Majestät, ich bin entsetzt, wir gaben unser Bestes….”
„Mag sein”, unterbrach ihn der König von Ui gereizt, „aber das ist nicht angekommen. Welch` ein Glück für Ui, daß ich mich auf euch nicht verlassen habe und eigene Quellen anzapfe, die mich mit der Wahrheit versorgen….“, mit Schwung entrollte er den Papierbogen und wedelte vor ihnen herum, „der Plan des Elephanten, was, ihr Unfähigen, da staunt ihr was!“, er rollte den Plan mit einer Handbewegung wieder zusammen, bevor irgend jemand einen Blick darauf werfen konnte.
„Alles festgehalten und aufgezeichnet, durch einen meiner besten Männer in Zapatadapata, den stillen Fran Chiser.., ha..“ Er konnte sich nicht beruhigen.
Ganz hinten, dort wo sich die Weisen zurückhielten, murmelte jemand „Oh Gott es hat geklappt, mir wird schlecht, bitte helft mir.“ Seine Kollegen fingen ihn auf, bevor er zu Boden fiel. Sie wedelten ihm frische Luft zu.
Der König von Ui fuhr, an die Delegation gewandt, fort: „Ihr habt ausschließlich Spesen verursacht und nichts Brauchbares geliefert, das ist bedauerlich, – für euch. Ihr werdet von mir hören, vorläufig seid ihr entlassen. Wagt ja nicht, euch weiterhin im Palast herumzutreiben. Die Küche ist tabu. Geht.“
Nachdem sich der Audienzsaal geleert hatte, blieben die Ratgeber mit dem König allein zurück. „Und was haltet ihr von der Sache?“, wollte der König von Ui wissen.
„Schwer zu sagen Majestät, aber zuerst unseren Glückwunsch für Ihro Majestät weise Planung.“
„Nun ja, danke, ich hätte den Dreien sowieso kein Wort geglaubt, egal was sie gesagt hätten, alter Trick, zeige den Blinden, was sie sehen wollen und mach sie glauben, was sie glauben sollen.“ Er dachte unwillkürlich an den Speicher. Sollte man die Wachen verdoppeln oder ganz abziehen? Kniffelige Frage.
Aus der zweiten Reihe meldet sich jemand zu Wort. „Ja mein Lieber“, wandte sich ihm der Herrscher jovial zu, „was gibt es denn?“
„Majestät, wie können Sie sicher sein, daß der Plan des stillen Fran Chiser die Wahrheit über den Elephanten enthält, selbst der aufrichtig bemühte Zeuge unterliegt Irrtümern der Beobachtung, ist von der Tagesform seiner Sinne abhägig, ist überhaupt von seinen Sinnen abhängig, vom Gemüt erst gar nicht zu reden.“
Schon beim ersten Wort zuckten die Weisen zusammen und dachten alle dasselbe: „Halt` bloß den Mund , halt bloß den Mund…“
Die gute Laune des Königs von Ui war verschwunden: „Wisst ihr was, es reicht jetzt, ich weiß daß euch manches nicht passt, aber in diesem Fall ist jetzt wirklich Schluß, ich bestimme was ein Elephant ist wie er aussieht und was man mit ihm anstellen kann. Basta, Ende der Diskussion, aus.
„Äh, Majestät, …”
(…..„Halt bloß den Mund, halt bloß den Mund.“ ….)
„Was gibt es denn noch?” – „…. äh und warum bestimmen Majestät , was ein Elephant ist?“
„Weil ich der Oberbefehlshaber der Armee bin und jetzt `raus.“
Im Quartier der Weisen suchte jederman seine Zelle auf und schloss sich ein. Den Oberweisen beschäftigte die Abschlussbemerkung des Herrschers: „Weil ich der Oberbefehlshaber der Armee bin….“
„Und eben weil du der Oberbefehlhaber der Armee bist“, sagte er zu sich, „deswegen muss ich dir Briefe schreiben, die mit `der stille Fran Chiser´ unterzeichnet sind.“
Er schüttelte bedauernd den Kopf und wandte sich dem Allerhöchsten zu…
Der König ging an diesem Tag befriedigt zu Bett, nicht ohne sich noch einmal in den Plan vertieft zu haben. Mit einem wissenden Lächeln sank er in die Kissen.
Der Elephant verstarb drei Monate später. Man sagt, er wäre melancholisch geworden.
*
Über Mevlana Jelalu`ddin Rumi
„Wie oft sagst du: Du stehst spät auf.“
„Wenn die Sonne mit mir ist, hat dann Zeit irgendeine Bedeutung?“
Rumi: 30.9.1207 (Balch, heutiges Afghanistan) – 17. 12. 1273 (Konya, Anatolien)
Der persische Mystiker und Dichter Jalal od-Din Rumi gehört zu den bedeutendsten Vertretern des Sufismus (islamische Mystik), dessen Anhänger als Sufi oder Derwisch bezeichnet werden. Rumis Lehrer war der berühmte Wanderderwisch Shams (Tabrizi), der ihn in das Geheimnis der Sufi-Liebe einführte. Diese Form der Liebe ist im wesentlichen mit der hinduistischen Bhakti identisch, die auf zwei Hauptprinzipien basiert:
- Der Schlüssel zu einem erfüllten Leben ist die Hingabe an Gott.
- Jeder Mensch kann sich jeden Augenblick der Liebe Gottes gewiss sein.
Für Rumi ist die Liebe zu Gott konstitutiv für alles, was im Universum existiert. Alle Teile des großen harmonischen Ganzen stünden in einer Liebesbeziehung zu einander, die aus der unendlichen Gottesliebe gespeist werde. Wenn in Rumis Versen von dem Geliebten die Rede ist, so meint er damit zunächst unmittelbar Gott, mittelbar aber auch die geliebten Wesen, mit denen ein Mensch durch die Gottesliebe in Verbindung steht. Entsprechendes gilt für den Begriff “der Liebende”. Er ist immer der Gott Liebende, aber auch der die Menschen in Gott und Gott in den Menschen Liebende.
Aus http://www.psp-tao.de/zitate/autor/Rumi/38
„Begib dich auf die Wallfahrt vom Ich zum Selbst, mein Freund…..
„Solch eine Wallfahrt verwandelt die Welt in eine Goldgrube.“ (Rumi)