Henry James: Washington Square

Von Buchwolf

Washington Square Park, New York City

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Zur Zeit des Romans eine ländliche Idylle, heute ein beliebter Park: Washington Square Park, New York City (Foto: W. Krisai)

Henry James wurde selbst am Washington Square geboren, kennt den Schauplatz also genauestens. Der Roman spielt zu einer Zeit, wo der Platz noch nicht von Wolkenkratzern umstellt, sondern von kleinen Bürgerhäusern gesäumt war und einen durchaus ländlichen Charakter hatte. Sah man aus dem Fenster, konnte man sich wie auf dem Land fühlen.

Der Arzt Dr. Austin Sloper besitzt eines dieser Häuser und lebt dort mit seiner Tochter Catherine und seiner verwitweten Schwester Lavinia. Auch er ist verwitwet.

Der Roman erzählt geradlinig, wenn auch in manchmal ironischem Ton, von der einzigen Liebesgeschichte Catherines. Einer unglücklichen Geschichte.

Vier ausgeprägte Charaktere

In dieser Geschichte stoßen vier ausgeprägte, teils ausgeprägt wunderliche Charaktere aufeinander:

Am normalsten ist noch der Arzt selbst, der als Arzt erfolgreich, als Bürger untadelig und als Vater den Konventionen der Zeit entsprechend streng ist. Sein Fehler ist nur, dass er sich einbildet, einen untrüglichen Scharfblick für die Psyche seiner Mitmenschen zu besitzen.

Von seiner Tochter Catherine hält er wenig. In seinen Augen ist sie ein einfältiges Wesen, das er leiten, lenken und beschützen muss, weil es sonst ins Unglück läuft. Das soll sie natürlich nicht, im Gegenteil, der Vater erhofft für sie eine gute Partie, mit der sie einstmals ihre stattliche Erbschaft, die ihr zusteht, sinnvoll nutzen wird.

Catherine ist jedoch nicht einfältig, sondern nur in höchst ungewöhnlicher Weise langsam und unbeirrbar. Ihre Gefühle entstehen wie in Zeitlupe, doch wenn sie einmal da sind, klingen sie auch nie mehr ab. Für mehr als eine Liebe ist in solch einer Seele kein Platz.

In hohem Grade verrückt

Tante Lavinia hingegen ist in hohem Grade verrückt. Sie ist einer jener Menschen, die ihre verquere Vorstellung von der Wirklichkeit für die einzige Wahrheit halten. Sie träumt von romantischer Liebe für ihre Nichte und deren Verehrer, gleichzeitig ist sie selbst in diesen Jüngling verliebt. Sie fühlt sich berufen, durch geheime Machenschaften die Liebe der beiden zu fördern, und sei es um den Preis des Durchbrennens und geheimer Hochzeit irgendwo im Unbekannten. Wenn sie mit jemandem spricht, fasst sie nur die Hälfte richtig auf, und wenn sie später davon erzählt, stellt sie diese Hälfte völlig anders dar, als sie in Wirklichkeit war. Sie empfindet das nicht als Lüge, sondern glaubt wirklich, was sie daherflunkert.

Der junge Liebhaber …

Wer ist nun der junge Liebhaber? Es ist ein gewisser Morris Townsend, der plötzlich bei einer Gesellschaft auftaucht, die die zweite Schwester Dr. Slopers gibt. Sie hat ihn eingeladen, weil er bei einer Freundin wohnt und ein charmanter junger Mann ist. Viel mehr weiß man über ihn zunächst nicht.

Rätselhafter Weise stürzt sich dieser Charmeur mit bohrender Energie auf die schüchterne Catherine und macht ihr vehement den Hof. Irgendwie ist nämlich bis zu ihm durchgesickert, welch reiche Partie sie ist.

Morris ist ein Habenichts und Luftikus, wie Dr. Sloper schnell herausfindet. Sein ererbtes Vermögen hat er schnell verjubelt, und nun lebt er auf Kosten seiner Schwester, deren Kindern er angeblich Spanisch beibringt als Gegenleistung für Kost und Logis.

… kommt als Schwiegersohn nicht in Frage

Für Sloper ist schnell klar: Dieser Kerl ist nur auf das Geld seiner Tochter aus. Als Schwiegersohn kommt er nicht in Frage.

Sloper ist allerdings zu selten zu Hause, um genau verfolgen zu können, was dort vor sich geht. Ärzte besuchten damals den ganzen Tag lang ihre Patienten in deren Häusern.

Während der Vater also nicht da ist, empfängt Catherine immer häufiger ihren Verehrer, was von Tante Lavinia nach Kräften gefördert wird. Dass Sloper den beiden verbietet, den jungen Mann zu empfangen, hat keine Wirkung. Im Gegenteil, Lavinia ist geradezu stolz darauf, ihren eigenen Kopf durchzusetzen.

Catherine hingegen, die bisher ihren Vater wie einen Gott verehrt hat und nie auf die Idee gekommen wäre, sich ihm im mindesten zu widersetzen, fühlt in sich eine immer unwiderstehlichere Liebe zu Morris wachsen, die sie über die Rechte des Vaters stellt.

Heiratsantrag und Nervenzusammenbruch

Schließlich wagt es Morris, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Von diesem erzählt sie noch am selben Abend dem Vater, der ihr unmissverständlich klar macht, dass er diese Verbindung niemals dulden werde. Catherine reagiert mit einem kleinen Nervenzusammenbruch.

Am nächsten Tag kommt Morris, um offiziell um die Hand Catherines anzuhalten, und wird brüsk abgewiesen. Er kann es selbst kaum glauben. Noch nie hat jemand seinem charmanten Wesen widerstanden.

Catherine hofft nun, bestärkt von Lavinia, der Vater werde, wenn sie in der Liebe standhaft bleibe, eines Tages nachgeben. Das erwartet auch Morris, weshalb er die Flinte noch nicht ins Korn wirft, sondern im Geheimen weiter mit Catherine verkehrt.

Europa hilft nicht

Der Vater hofft, mit einer ausgedehnten Europareise zu bewirken, dass Morris von Catherine ablässt und eine andere aufgabelt. Denn dass Catherine den Verehrten innerhalb eines halben Jahres vergessen werde, ist angesichts von deren Langsamkeit in Gefühlsdingen nicht zu erwarten.

Was der Vater sechs Monate lang nicht mitbekommt, ist allerdings der rege geheime Briefverkehr zwischen Catherine und Morris, der über Lavinia läuft, in deren Briefen die des Verehrers versteckt sind. Als der Vater nach einem halben Jahr einmal fragt, ob Catherine noch an Morris denke, beichtet sie ihm ihre Korrespondenz. Der Vater ist schwer enttäuscht und redet nichts mehr mit der Tochter.

Währenddessen besucht Morris alle paar Tage Lavinia und macht es sich wie ein Pascha in den Räumen von Dr. Sloper gemütlich, pafft dessen Zigarren und trinkt dessen Wein.

Nach einem vollen Jahr kehren die Catherine und ihr Vater zurück. Der eigentliche Zweck der Reise ist völlig verfehlt. Catherine trifft sich sofort wieder mit Morris und plant eine geheime Hochzeit. Lavinia ist hingerissen.

Enterbt und verlassen

Sloper kann seiner volljährigen Tochter nicht verbieten, einen Mann ihrer Wahl zu treffen und gar zu heiraten. Er kann ihr auch nicht die 10000 Dollar Erbe von seiten ihrer Mutter sperren. Sehr wohl aber kann er ihr die 20000 Dollar, die sie von ihm erben sollte, testamentarisch entziehen und das Geld wohltätigen Zwecken widmen. Genau das droht er Catherine und Morris nun an.

Als Morris realisiert, wie ernst es Sloper damit ist, will er von Catherine schlagartig nichts mehr wissen. Diese glaubt das zunächst einfach nicht, sondern wälzt weiter geheime Heiratspläne. Schließlich aber dämmert ihr doch, was Morris’ plötzliche angebliche geschäftliche Verpflichtungen in New Orleans bedeuten. Damit bricht für sie die Welt zusammen.

Nur aus Hass auf ihren unbeugsamen Vater lässt sie sich von ihrem Leid nichts anmerken. Und diese Haltung wird ihr zur Gewohnheit.

Summarisch fasst der Roman zum Schluss zusammen, was weiter geschieht:

Catherine bleibt eine immer ältere Jungfer, die sich für wohltätige Institutionen einsetzt und in dieser Rolle hoch geachtet ist. Morris führt das Leben einer verkrachten Existenz, mit kleinen Geschäften hier und dort. Gelegentlich kreuzt er am Rande des Geschichtskreises von Catherine auf, doch sie will nichts mehr von ihm wissen.

Mit Lavinia pflegt er weiterhin losen Kontakt, und diese glaubt, wenn er nur erscheine, könne er Catherine sofort wieder für sich gewinnen. Als Sloper gestorben ist, arrangiert Lavinia tatsächlich einen Überraschungsbesuch Morris’ bei Catherine. Diese ist über diese Dreistigkeit erbost und wirft ihn hochkant hinaus.

Damit endet diese verquere Liebesgeschichte.

Ironische Distanz, messerscharf formuliert

James schildert das alles aus ironischer Distanz. Man fragt sich, warum überhaupt. Warum lässt ein Autor zweihundert Seiten lang kein gutes Haar an seinen Protagonisten? Sogar Sloper, der noch die am positivsten gestaltete Figur ist, wirkt mit seinem Starrsinn nicht gerade sympathisch. Er will das Beste für seine Tochter, erreicht aber nur, dass ihr Leben zu kalter Routine über düsterem Leid wird. Schlimm ist vor allem seine völlige Blindheit gegenüber den Machenschaften Lavinias, die viel zum Unglück ihrer Nichte beiträgt.

Die Sprache, mit der dieses Panoptikum menschlicher Verbohrtheit dargestellt ist, macht den Roman allerdings zum Vergnügen. James ist ein messerscharfer Formulierer, dessen Sätze man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Das fördert zwar das Lesetempo nicht, lässt einen aber immer wieder über die Treffsicherheit des Ausdrucks schmunzeln.

Henry James: Washington Square. In: Henry James: Novels 1881-1886. The Library of America, Band 29. [Des Moines], o. J., S. 1-189.

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