Henan? Nie gehört!
Bevor ich vor unlängst meinen Fuß auf chinesischen Boden gesetzt habe, ich ehrlicherweise auch nicht. Im Allgemeinen nicht ganz verwunderlich, denn die Provinz im Herzen Chinas – auch Mittelland genannt – ist noch nicht wirklich auf dem Radar westlicher Touristen. Allenfalls China Liebhabern und erfahrenen China Reisenden wird sie ein Begriff sein.
Bestenfalls streift man die Region bei größeren Rundreisen oder würdigt die beiden herausragenden Kulturdenkmäler, das weltberühmte Shaolin Kloster in Dengfeng sowie die Longmen Grotten in Luoyang, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen, im Schnelldurchlauf.
Reiseführer strafen Henan annähernd mit Missachtung oder widmen der Region ein klägliches Kapitel von wenigen Seiten. Und wohlhabende Chinesen rümpfen auch schon mal die Nase, wenn die Sprache auf die verarmte Binnenprovinz kommt. Gilt Henan doch trotz enormer Bevölkerungsdichte als vergleichsweise rückständig und provinziell.
Höchste Zeit das zu ändern, denn immerhin ist Henan der Geburtsort der chinesischen Zivilisation und war Jahrtausende lang das herrschaftliche Zentrum Chinas Kaiserdynastien.
Neben zahlreichen Kulturdenkmälern, die den oben genannten in nichts nachstehen, überrascht die Provinz vor allem mit Authentizität, außergewöhnlich schöner Natur und Berglandschaften fernab überfüllter Touristenpfade.
Drei Langnasen mit Auftrag
Im Auftrag von Chinatours war ich 9 Tage mit meinen Bloggerkollegen Ariane und Stefan in der Region unterwegs, um deren Schönheit zu erkunden und kann Euch jetzt den Mund wässrig reden, von einer geschichtsträchtigen Gegend, die mehr zu bieten hat, als für Touristen abbestellte, durch die Luft wirbelnde Kung-Fu Mönche – auch wenn die mich ehrlicherweise doch ziemlich beeindruckt haben. Schließlich bin ich mit einem älteren Kung-Fu-Fan-Bruder an meiner Seite und Bruce Lee in Endlosschleife groß geworden.
Der Reisezeitpunkt im Januar war zugegebenermaßen bei dauerhaft frostigen Minusgraden nicht optimal gewählt. Andere Langnasen, auch heimische Touristen waren dafür weit und breit nicht zu sehen. Klare Luft, friedliche Tempelanlagen und viel Natur ganz für uns allein. Oftmals allerdings auch verschlossene Türen und akute Frostbeulengefahr. Dafür bin ich nun stolze Besitzerin einer langen Polyester-Unterbuxe, die mir beste Dienste geleistet hat.
Lost in Translation
Wir, allesamt reiseerfahren aber blutige China-Beginner, staunen zeitweise Bauklötze und wären ohne Guide in diesem unfassbar großen anders tickenden Land manchmal ziemlich verloren.
Hier in Anyang, im nördlichen Henan, der Ausgangspunkt unsere Reise wo uns der Schnellzug im Niemandsland ausspuckt, werden wir ganz schnell mit der chinesischen Wirklichkeit konfrontiert. Ein riesiger Bahnhof im markanten sozialistischen Baustil und drei verlorene Langnasen fast allein auf dem Bahnsteig. Hier hilft kein Englisch weiter, keine kosmopolitische Gewandtheit.
Ich war in so vielen Ländern der Welt, dessen Sprache ich nicht beherrschte, dessen Schrift ich nicht lesen konnte, dessen Kultur ich nicht verstanden haben, doch noch nie in einem Land, in dem man so „blind“ und vielen Fragezeichen im Gesicht umherläuft wie in China.
Wenig ist intuitiv. Infos an den Straßenrändern, Läden und Häusern versteht man nicht und kann sie auch nicht deuten. Begegnet man in Peking beispielsweise noch bekannten Markenlogos und oftmals zweisprachigen Schildern, erkenne ich hier nicht einmal einen Supermarkt von außen. Auf Bilder im Restaurant kann man sich auch nicht verlassen, geschweige denn eine Speisekarte.
Wir begreifen schnell, dass China unsere westlichen Denkmuster auf den Kopf stellt. In kaum einem anderen Land der Erde prallen Geschichte und Moderne so ungeniert aufeinander, werden alte Strukturen so gnadenlos niedergewalzt aber glücklicherweise inzwischen die reiche Geschichte und Kultur wieder stolz und hemmungslos inszeniert.
Das geht gelegentlich schief, denke ich da beispielsweise an den Qingming Park in Kaifeng, wirkt kitschig und banal, manchmal auch unfreiwillig komisch, aber nicht weniger interessant.
Akklimatisierung an die chinesische Kultur
Unfreiwillig komisch sind auch wir. Natürlich werden wir, wo wir auftauchen, schüchtern und neugierig beäugt, belächelt, wie wir ungeschickt mit Stäbchen hantieren, uns seltsam verhalten. Doch wir lernen schnell, uns anzupassen.
Ich kann meine gute Kinderstube ausblenden und Nudelsuppe lauthals schlürfen, weiß jetzt heißes Wasser zum Essen zu schätzen (warum es im Land des Tees aber selten Tee gibt, verstehe ich immer noch nicht) und lerne, dass man sich von Henans durchaus würziger Küche einfach getrost überraschen lassen kann. Alles schmeckt köstlich und die vegetarische Auswahl ist immens. Nie zuvor ist mir eine reichere Pilz- und Gemüseauswahl untergekommen. Das wenigste kann ich bis heute benennen.
Ich weiß die chinesische Vorliebe für Kategorisierungen aller Art (Landschaftsgebiete, Kulturdenkmäler, Toiletten) zu deuten und bin Virtuose im Benutzen der Stehtoiletten – der fünf Sterne Version, das sind die mit Tür und Privatsphäre.
Wenn es weiterhin so kalt wäre, würde ich es gar wagen, mich in die rosarote Plüschversion des beliebten chinesischen Schlafanzuges zu werfen, der wie selbstverständlich von erwachsenen Menschen auf der Straße getragen wird.
Auch diese unglaublich pragmatischen Erfindungen wie Mofas mit Handschuh-Lenkern und Kniekälteschutz sowie die knuffigen umweltfreundlichen Elektroautos (auch China geht der Umweltschutz nicht am A… vorbei!) imponieren mir.
Wenn ihr mich fragt, ich habe ein bisschen gebraucht, aber ich bin in China angekommen.
Authentisches Henan
Zu sehen und erleben gibt es in Henan eine Menge. Einen Überblick, was man auf keinen Fall verpassen sollte, stellt Chinatours hier vor. Die Auswahl unterschreibe ich gerne. Das sind Spezialisten, die müssen das wissen, und diese Orte haben mich definitiv auch nachhaltig beeindruckt. (Unseren Reiseverlauf könnt ihr hier übrigens auch im Detail verfolgen)
Wahr ist, in Henan kann man in ein echtes Stück China eintauchen – mit allen Facetten und Ausprägungen. Diese intensive Begegnung mit dem Land und dem Kulturkreis China, den einfachen Bergdörfern, den Erlebnissen und Eindrücke am Straßenrand, sind genau das, was mir ganz besonders in Erinnerung bleibt. Chinas Alltag und Leben auf diese Weise authentisch kennenzulernen, auch wenn es nicht immer ganz bequem ist, einem mitunter auch mal als häßliche Fratze einer Industrienation mit voller Wucht ins Gesicht schlägt.
Dann wären da aber wieder die herausragenden Naturerlebnisse, die mir Gänsehaut erzeugt haben. Einen Berggipfel der Yuntai Berge, auf dem ein Tempel thront, erklimmen. Die Aussicht genießen, die sprachlos macht, untermalt mit atmosphärischen Klängen, Gebetsgemurmel, Duft der Räucherstäbchen und geheimnisvollen Reliquien. Für mich besondere Kraftpunkte!
Henan interessiert Euch? Das sollte ihr noch wissen:
- Henan gehört zu den ärmeren Provinzen. Die hygienischen Standards sind einfacher als man es vielleicht sonst in China an touristischen Hotspots gewohnt ist. Dafür kommt man aber um den Besuch der üblichen chinesischen „Freundschaftsläden“ (Souvenirshops) herum. Es gibt nämlich keine/kaum welche.
- Der westliche Einfluss ist weniger ausgeprägt, insbesondere im nördlichen Henan. Wer westliches Frühstück im Hotel erwartet, muss sich zeitweise umorientieren oder mit einem labbrigen Toast begnügen – ohne Aufstrich.
- Die Winter sind kalt, sehr kalt und die Sommer heiß und feucht. Besser im Frühling oder Herbst reisen, aber dann kann es auch in Henan in einigen Gegenden voll werden. Die Chinesen sind ein reisefreudiges Volk
- Henan ist gut angebunden und Zengzhou der Knotenpunkt. Aber auch Luoyang, Kaifeng, Anyang werden von Hochgeschwindigkeitszügen angefahren Es ist Reisenden problemlos möglich herumzukommen.
- Das Preisniveau ist angenehm günstig, allerdings muss man für verhältnismäßig überteuerte Eintrittsgelder oftmals ganz schön bluten.
Bilder: ©HIDDEN GEM, Nudelsuppe von ©Heldenwetter