Helmut Schmidt und Peter Scholl-Latour bei Beckmann

Helmut Schmidt und Peter Scholl-Latour bei Beckmann
Ein großartiges Fernsehereignis – noch zu sehen in der ARD-Mediathek: Der Tod Osama Bin Laden war Anlass und Thema der Sendung von Reinhold Beckmann, als Gäste ein einzigartiges Gespann zu beobachten war: Alt-Bundeskanzler und Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt sowie der Journalist und Autor, Weltenbummler und -experte Peter Scholl-Latour. Letzterer wird ja heute gerne verspottet, als alter Alleswisser und dergleichen, aber für mich ist er immer noch einer wenigen Autoritäten in Wissen, Erfahrung und Meinung, wenn es u. a. um die Krisenregionen oder die arabische Welt geht.
Vor allem aber sind Scholl-Latour, 87 und Schmidt, 92, im Rollstuhl und mit der obligatorischen Zigarette, echte Unikate, und die Mischung aus leicht bräsiger Souveränität, Dinosauriertum und vorsichtigem, gerade bei Schmidt immer hübsch diplomatisch verpacktem Geisteswitz lassen sie hier und da schon ein wenig - wenn sie auch nicht so boshaft und viel schildkrötiger sind - an Waldorf und Statler erinnern, die zwei Alten aus der Muppet Show, vor denen Beckmann nicht kuscht und an denen er sich nicht die Zähne ausbeißt, aber zu nagen, das hat er schon.
Helmut Schmidt und Peter Scholl-Latour bei Beckmann
Aber wie stehen die Beiden nun zur Causa Bin Laden Kill? Scholl-Latour findet die Jubelfreude der Amerikaner vulgär, weiß, dass Bin Laden in der islamischen Welt schon nicht mehr allzu populär war und in Afghanistan ironisch als „Obamas Bruder“ verdächtigt wurde – soll heißen, ein Paktieren hätte man beiden, dem al-Qaida-Chef wie dem US-Präsidenten, schon ein bisschen zugetraut.
Schmidt wiederum sieht den Tod Bin Ladens, vor allem aber die Kommandoaktion selbst zwiespältig. Immer wieder erinnert er daran, dass die Souveränität Pakistans verletzt wurde, gegen internationales Recht, gegen Völkerrecht verstoßen wurde.
Aber in Sachen Terrorismus ist Schmidt natürlich auch selbst gefragt – als Bundeskanzler in der Zeit des Roten Armee Fraktion (RAF) und vor allem während des „Deutschens Herbstes“ 1977 bzw.: der Entführung und Befreiung der „Landshut“-Lufthansa-Maschine in Mogadischu. Freilich, einen Unterschied gab es, der den GSG-9-Einsatz in Somalia mit der Navy-Seal-Aktion in Abbottabad unvergleichbar mache: Gegenüber den Somalis offen und ihrem Einverständnis hätte man gehandelt. Fein, denkt man sich, aber ging es in Mogadischu nicht vielmehr auch um eine Geiselnahme, standen nicht fast neunzig unschuldige zivile Leben auf dem Spiel?
Ach, aber Schmidt ist und bleibt halt Staatsmann, der Mann mit dem Blick fürs Große, und wie er denn gleich auch gemeinsam mit Scholl-Latour über ihren gemeinsamen Freund Hans-Jürgen „Ben Wisch“ Wischnewski, diesen Famosen, gedenken, wie der mit den Araber konnte, ja nicht? In Algerien war er, hat sogar für die FLN die Kriegskasse unterm Bett versteckt, war zeitgleich mit Scholl-Latour während des „Schwarzen Septembers“ in Jordanien…
Dann kommt aber leider wieder Beckmann dazwischen.
Später, bevor sie auf die aktuelle Berliner Außenpolitik schimpfen, die Welt- und Sicherheitspolitik analysieren und aus dem eigenen Leben plaudern (Scholl-Latour über seine fundamentalistisch-katholizistische Erziehung), freuen sie sich dann auch noch über den Islam. Schmidt, der gerade ein Buch über die Verantwortung der Weltreligionen draußen hat, schwärmt – die christlichen Propheten sind da drin, auch Jesus. „Und zwar nicht abfällig!“ Und Scholl-Latour freut sich richtiggehend, dass auch die Jungfräulichkeit Marias drin festgehalten sei.
Beckmann will wissen, ob wir zu ignorant seien gegenüber dem Islam, zu abschätzig… „Zu ignorant“, brummt Scholl-Latour nach einem kurzem Moment, ein kleinwenig verärgert über diese Wahrheit – weil sie wahr ist und weil sie ihm wohl als unerwünscht zu oft verargt wurde, so dass man sie nur mehr lustlos, aber mit Nachdruck aussprechen mag. Schmidt lehnt sich rüber zu Scholl-Latour, reckt den nicht mehr vorhandenen Kopf, altersmunter, norddeutschelnd: „Wie? Ich hab nich‘ verstanden?“
70 Minuten unmögliche Mischung aus Größe, Klasse und Realsatire, Niveau, Erfurcht und Museumskreuzfahrt - unbedingt anschauen!
(zyw)

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