Helene von Schell • Eine Gerechte unter den Völkern

Von Renajacob @renajacob

Helene von Schell war Ende der 20er Jahre von Hamburg nach Berlin gezogen und bewohnte eine bescheidende Einzimmerwohnung in Moabit, einem Stadtteil des Bezirks Tiergarten, fast im Zentrum von Berlin. Wie viele Wohneinheiten in Berlin, hatte auch diese ein Kuriosum, sie teilte sich den Wohnungsflur mit einer anderen Wohnung. In Helene von Schells Fall teilte sie sich den Flur mit dem Ehepaar Seeliger; zwar hatte sie mit der Ehefrau von Max Seeliger, Bertha, einen guten Kontakt, doch darüber hinaus lebten die Nachbarn nur Tür an Tür. Die gelernte kaufmännische Angestellte Helene von Schell hatte einen guten Arbeitsplatz in der Firma Wolfram Erz, dort war sie als Kontoristin beschäftigt, was in den Zeiten der großen Arbeitslosigkeit, der Weltwirtschaftskrise, eher selten war. Nachmittags zog es sie häufig in ein Café in Charlottenburg, dort spielte recht häufig der Kaufmann Hans Foß auf dem Klavier und er spielte sich in die Herzen der Caféhausbesucher. Hans Foß war der Sohn der Besitzerin des Cafés, er half seiner Mutter nach seiner Arbeit, wie auch seine Frau Margot. So kamen Hans und Margot Foß mit Helene von Schell ins Gespräch, woraus sich eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelte. Helene von Schell wurde fast in die Familie Foß aufgenommen und sie hatte auch einen äußert guten Bezug zu den Kindern Werner und Harry. Erst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde es zum Thema zwischen den Freunden, dass die Familie Foß Juden waren, was  vorher als völlig normal galt, trennte auf einmal die Gesellschaft in Juden und Nicht-Juden. Doch für Helene von Schell waren all die Bestimmungen und Kontaktverbote völliger Unsinn, sie ließ sich nicht beirren und hielt weiter Kontakt zu ihren Freunden. Sie half ihrer Freundin Margot nach der Geburt des jüngsten Sohnes Harry im gleichen Jahr der Machtergreifung, auch kümmerte sie sich sehr um den damals fünfjährigen Werner. Keiner der Freunde glaubten an eine lange Zeit der Regierung durch die Nationalsozialisten; doch leider waren sie dahingehend im Irrtum. Die Repressionen gegen die jüdische Bevölkerung nahmen immer mehr zu und nach der sogenannten Reichspogromnacht im November 1938 wurde allen klar, dass es noch schlimmer werden könnte. Hans Foß und seiner Familie war es nicht möglich aus Deutschland zu fliehen, zumal die finanziellen Mittel fehlten und sie auch viel zu lange hofften, dass die Lage sich für sie wieder verbessern würde. Immer isolierter lebte die Familie in der Pestalozzistraße in Charlottenburg, im Westen Berlins; doch Helene von Schell blieb ihren Freunden treu zur Seite, so war sie auch am 30. November 1942 zu Besuch bei der Familie Foß, als diese ihren Deportationsbefehl für die nächsten Tage erhielten. Überrascht war keiner von ihnen, denn die Deportationen von Juden hatte sich notwendigerweise herumgesprochen und natürlich gab es dahingehend auch genug ‚Gerüchte’. Auch wenn die Mehrheit der Menschen diesen Gerüchten von unmenschlichen Lagern und Massentötungen häufig nicht glaubten, denn vergleichbare Szenarien waren ihnen nicht bekannt, so war ihnen allen sehr wohl bewusst, dass diese Deportationen nichts Gutes verhießen. Margot Foß wollte noch einen Abschiedsabend geben, doch Helene riet ihrer Freundin ab; denn nachdem sie den ‚Befehl’ gelesen hatte, sagte sie spontan: „Ihr geht da nicht mit. Ich nehme Euch mit zu mir.“ Nun gab es eine Diskussion über das Leben in der Illegalität, über die Versorgung der Familie und die beengten Verhältnisse in Helenes Wohnung, zumal der Nachbar Max Seeliger ein strammer Parteigenosse der NSDAP geworden war; doch Helene ließ keins der Argument gelten, denn glaubte auch sie nicht allen Gerüchten über die Behandlung der Juden im Osten, so war ihr klar, dass die Verhältnisse, die sie der Familie bot, allemal besser waren, als das was sie erwarten würde. So galt es dann als ausgemacht, dass zuerst Hans Foß mit dem nunmehr 14jährigen Werner in Helenes Wohnung einzogen; Margot Foß und der nunmehr 9jährige Harry kamen bei anderen Freunden unter. Helene von Schell gestaltete ihre Wohnung um, das Zimmer bekamen die Gäste, sie selbst richtete sich in der Wohnküche ein. Doch nach wenigen Tagen kamen auch Margot und Harry hinzu, denn sie wurden von anderen bei ihren Freunden erkannt, und alle hatten sie vor Denunziationen Angst; diese waren damals häufig an der Tagesordnung. So wohnte nun die vierköpfige Familie bei Helene von Schell, zwar in Sicherheit, doch so völlig reibungslos war das natürlich nicht. Zwar war die Nachbarin Bertha Seeliger eingeweiht und half wo sie konnte, doch ihr Mann und auch die anderen Hausbewohner des Hauses in der Waldstraße 6 durften nichts von den Flüchtlingen erfahren. Die Enge belastete alle doch sehr, war sie doch getragen von Ängsten der Entdeckung, aber auch von der immerwährenden Rücksichtnahme aufeinander, vor allen Dingen machte das Helene von Schell nervlich sehr zu schaffen. Hinzu kam die Versorgungslage der Familie, denn Helene hatte nur Lebensmittelkarten für eine Person und das reichte hinten und vorne nicht, auch wenn die Nachbarin das eine oder andere beisteuerte; so machten sich Hans und später auch Margot Foß auf um als Illegale draußen Arbeit zu finden. Hans bekam einen Aushilfsjob bei einem Kohlenhändler, der keine Fragen stellte, da Hans über keine Papiere verfügte. Auch Margot fand ab und zu einen Job, um so zur Haushaltskasse beizutragen, sogar Werner, der älteste Sohn fand hin und wieder eine Schwarzarbeit. Sie bekamen zwar keine Lebensmittelkarten, da sie auch keine gefälschten Papiere besaßen; doch mit dem Geld konnte Helene ‚unter dem Ladentisch’ einiges erstehen, so dass die Versorgung der Familie einigermaßen gesichert war. Prekär war, dass die Familie während der dann folgenden Bombenalarme nicht in den Luftschutzbunker konnte, sondern hoffen musste, dass das Haus verschont bleiben würde. So blieb die Familie Foß bis zum Einmarsch der Roten Armee in der Wohnung von Helene von Schell. Diese drei Jahre des Zusammenlebens hatte alle Beteiligten stark geprägt und an einander gebunden. Die Familie Foß fand gleich nach dem Krieg eine Wohnung im selben Haus in der Waldstraße 6 in Moabit, doch wollten sie nicht in Deutschland bleiben; aber in den Nachkriegswirren blieb ihnen erst einmal gar nicht anderes übrig. Als die Anfang der 50er Jahre alle Papiere zusammen hatten, auch das nötige Bargeld um sich eine neue Existenz im jungen Staat Israel aufzubauen, erkrankte Helene von Schell schwer. So verschoben die Foß´ ihre Auswanderung, um der Freundin beizustehen; doch sie gesundete nicht mehr. Die am 20. Juli 1903 geborene Helene von Schell verstarb im Oktober 1956 mit nur 53 Jahren; die Freunde immer an ihrer Seite wissend.

Erst spät und auf Initiative der Söhne von Hans und Margot Foß erkannte Yad Vashem am 13. Februar 2000 Helene von Schell als ‚Gerechte unter den Völkern’ an; der jüngste Sohn Harry und sein Sohn pflanzten den Baum für ihre Retterin Helene von Schell. 

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Bild 1: Helene von Schell – Quelle: google.com · Bild 2: Familie Foß 1938 – Quelle: netzzeitung.de · Bild 3: Gedenktafel H.v. Schell – Quelle: wikimedia.org