Stahlrahmen, Mauerbau und zur Not auch mal ein Schnitzel im Schritt.
Stahlrahmen, Mauerbau und ein Schnitzel im Schritt! Auf diese Art und Weise habe ich sie oft mit einem verschmitztem lächeln beschrieben bekommen: die Wahrheit – über die damaligen Bedingungen im Amateur Radsport der Nachkriegszeit.
Die Wirklichkeit sah natürlich schon etwas anders aus, denn Stahlrahmen in einer passenden Größe gab es kaum zu kaufen, die Lederschuhe passten nur selten gut in die Aufhängung, das Schnitzel aber, das gab es bald wieder im Überfluss und wurde auch gerne mal zweckentfremdet!
Ich habe auch lange so gedacht, aber jetzt weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Trophäen sind nicht der alleinige Maßstab an dem Erfolge gemessen werden sollten. Hier soll es deshalb nicht um irgendwelche Titel gehen, sondern um die Umstände unter denen sie erzielt werden mussten.
Erzählen möchte ich über einen meiner wahren Radsporthelden der frühen 50er und 60er Jahre. Er war ein einfacher Vereinsfahrer aus bescheidenem Elternhaus. Gefahren ist er auf der Strasse und später auf der Bahn. Auch er hat einige Preise gewonnen aber stand nie wirklich im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Jung und hungrig nach Erfolg, den Radsport schon immer geliebt und dem eigenen Vater folgend, so beschreibt er sich wenn man ihn nach seiner Jugend fragt.
Er ist einer meiner wahren Radsporthelden!
DER ANFANG
“Aufgewachsen bin ich praktisch in einem Berliner Hinterhof des zerbombten Berlin. Genau dort habe ich auch das Rad fahren gelernt. Der Hinterhof war klein und ziemlich kahl. Wände aus grauem Stein und selbst am Tage fast nur Schatten. Nur ein paar Mülltonnen und ein Besen standen dort herum. Der Besen gehörte meinem Onkel. Er war nämlich der Hausmeister und wohnte auch im Haus. Er sorgte für Ordnung und hat für mich den Hof immer schön sauber gehalten.
Ich bin rauf und runter gefahren – ständig an der grauen Wand entlang und schön im Kreis – nur damit ich eine große Runde fahren konnte. So habe ich angefangen Rad zu fahren.
Ich war ein fröhlicher kleiner Kerl, wie man auch auf diesen alten Fotos sieht. Eigentlich fehlte es mir an nichts, denke ich. Nur diese verdammte Kartoffelsuppe, die wir ständig Essen mussten, habe ich gar nicht gemocht!”
Gelegentlich treffe ich meinen Radsporthelden und er erzählt dann gerne über seine Jugend. Viele solcher Erzählungen durfte ich mir schon am Mittagstisch anhören. Einige seiner Schilderungen wirken im ersten Moment vielleicht unterhaltsam und unbekümmert. Doch wer zwischen den Zeilen lesen kann erkennt, dass es bestimmt nicht einfach gewesen sein muss.
Autofreie Straßen und darauf spielen zu können, klingt irgendwie romantisch, aber wie war es in Wirklichkeit, mit geringen Mitteln aufzuwachsen und seiner Leidenschaft zu folgen?
“Meine Eltern hatten nicht viel. Vater war schwer verwundet aus dem Krieg heimgekommen. Meine Mutter war eine typische Trümmerfrau, gezeichnet von der harten Arbeit und des Wiederaufbaus unserer Stadt. Wir wohnten in einer 2 Zimmer Wohnung im vierten Stock. Ich erinnere mich, dass unsere Toilette auf halber Treppe des Hauses war und jeder Mieter sie benutzt hat. Auf dem Dachboden haben die Frauen die Wäsche aufgehängt. Jeder kannte jeden. Alle waren bestrebt, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken.
Für uns Kinder im Block war das wichtigste spielen zu können. Blechspielzeug oder Fußbälle haben uns immer in Bewegung gehalten. Mein Vater aber, war schon immer dem Radsport verbunden und deshalb war klar das ich auch bald auf einem dieser Stahlrosse sitzen würde.
Alles was dann später kam und für mich zählte waren die Wettkämpfe! Wettkämpfe waren immer spitze. Endlich konnte man zeigen aus welchem Holz man geschnitzt war. Gefahren bin ich erst bei der Neuköllner Radfahrervereinigung 1897 und später bei Pfeil Charlottenburg Berlin. Im Verein zu fahren war selbstverständlich für einen ambitionierten Radfahrer, musst du wissen. Von den ausgetragenen Rennen haben wir über den Verein oder den Tageszeitungen erfahren. Die Strassen wurden ohne großen Aufwand gesperrt. Die Ziellinie wurde manchmal einfach mit Kreide auf den Asphalt gezogen. Die Polizei hatte auch wenig Arbeit damit, denn Autos gab es ja kaum. Selbst später in den Sechzigern nicht.”
RADRENNEN IN EINEM GETEILTEN BERLIN
Radrennen in einem geteilten Berlin? Hatten die Leute Interesse sich das anzugucken und wieso sahen die Radhosen eigentlich so schrecklich aus? Dinge, die ich mich als Mädchen oft frage, wenn ich diese alten Fotos betrachte. Auch darauf weiß er gerne zu antworten bei einem dieser gemütlichen Essen der Familie.
“Radrennen hatten sicher einen besonderen Stellenwert im damaligen Berlin. Die Strassen wurden frei gemacht und die Leute konnten ohne Kosten ein gewisses Spektakel erleben. Geschwindigkeit und das Gefühl von Freiheit standen selbst bei den Zuschauern im Mittelpunkt, denke ich. Fahren so schnell man konnte. Wir als Fahrer haben uns vorgestellt, wir könnten es überall hin schaffen. Niemand der uns stoppen konnte. Fahren, fahren, fahren!!! Es war einfach klasse! Nur das an der Stadtgrenze plötzlich Schluss war. Ins Berliner Umland zu fahren, war natürlich nicht möglich.
Meine Güte, als Berlin geteilt wurde war ich gerade in Radevormwald, das liegt bei Wuppertal. Genau in diesen Tagen wurde diese verdammte Mauer gebaut! Wir waren geschlossen als Mannschaft zum Rennen eingeladen worden. Unsere Mannschaft bestand aus 8 Fahrern und 2 Trainern. Nach dem Rennen wurde dann auf einmal viel diskutiert.
Ich erinnere mich an die Bedenken besonders von den Trainern. Richtig sicher waren wir uns nicht ob wir wieder nach West-Berlin kommen würden. Ich habe das alles nicht wirklich verstanden. Ich dachte natürlich an meine Eltern, aber die Situation und die möglichen Konsequenzen habe ich noch gar nicht abschätzen können. Ich war doch erst 15 Jahre alt. Am Ende ist zum Glück ja alles gut gegangen und wir kamen sicher nach Hause.”
GUT GEKLEIDET IN REINSTER BAUMWOLLE
Besonders die Radhosen, die so fürchterlich aussahen, waren schon häufiger Thema in unseren Unterhaltungen. Ich habe nicht nur erfahren, wie es sich anfühlte sie zu tragen, sondern auch dass Namen oder Logos teils mit Pflastern oder Klebeband abgedeckt werden mussten. Schriftzüge von Sponsoren in Amateurrennen waren nämlich nicht gestattet auf diesen Fetzen aus reiner Baumwolle.
“Gucke dir das Foto an (Tour der Jugend), darauf sehen wir doch aus wie dämliche Waschlappen. Genauso haben sich die Hosen auch getragen. Wenn es regnete, hingen die schwer an einem herunter. Einige von uns haben deswegen sogar Hosenträger getragen. Diese Dinger hatten noch einen echten Ledereinsatz. Gut gefettet hat der auch ewig gehalten. Aber selbst nach Jahren und geübt im Sattel konnte man sich trotzdem Wund sitzen.
Du musst wissen, dass ich schon immer alles mit dem Fahrrad erledigt habe. Außerhalb der Rennen oder des Trainings kam dort auch einiges zusammen an Kilometern. Sitzbeschwerden konnten einen deshalb schon wahnsinnig machen und mussten deshalb bekämpft werden. Das mit dem Schnitzel im Schritt ist übrigens nicht ausgedacht. Ich habe das auch mal probiert aber natürlich nicht im Rennen. Das rohe Stück Fleisch wurde einfach in die Hose gelegt und diente so als Polster. Am Anfang war es kalt und ekelig, aber dann kaum noch zu spüren und irgendwie angenehm.”
Wie genau haben sich eigentlich solche Holzfelgen gefahren, wer hat diese Trikots geschneidert und gab es eigentlich schon Preisgelder zu gewinnen? Viel Fragen die es im zweiten Teil meiner Geschichte über meine wahren Radpsorthelden zu beantworten gilt!